
- Worst-Case-Szenario für den Iran
Dass nun einige arabische Staaten zu Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen, ändert das Gleichgewicht der Kräfte in der Region fundamental. Jetzt ist es der Iran, der sich der Feindschaft gegenübersieht.
Diese Kolumne erscheint regelmäßig auf cicero.de in Kooperation mit der Denkfabrik Geopolitical Futures.
Vor kurzem nahm Marokko diplomatische Beziehungen zu Israel auf und schloss sich damit drei anderen arabischen Ländern – den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan – an, die in diesem Jahr ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben. Im Falle Marokkos war Teil des Abkommens die Anerkennung des marokkanischen Anspruchs auf die Westsahara durch die USA, so wie sie auch zugestimmt hatten, den Sudan von ihrer Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus zu streichen.
Dieser Prozess, der mit den VAE begann, wurzelt teilweise in einem Paradoxon der US-Nahostpolitik. Die Vereinigten Staaten haben eine wichtige Rolle gespielt, indem sie den Prozess stillschweigend unterstützten und gelegentlich ein Bonbon auf den Tisch legten. Aber die Vereinigten Staaten haben auch deutlich gemacht, dass sie ihre Streitkräfte aus der Region abziehen und ihre Verpflichtungen dort reduzieren werden.
USA als Koordinator und Brücke
Das ließ die Region ohne jene Macht zurück, die sie zusammenhielt. Öffentliche Feindseligkeit zwischen den Nationen in der Region, und insbesondere mit Israel, war möglich, während die USA als Koordinator und Brücke dienten. Diese Länder konnten zusammenarbeiten und taten es auch, aber nur durch geheime Kontakte und die Koordination durch die USA. Ohne die Vereinigten Staaten war jeder Staat auf sich allein gestellt oder musste sinnvolle Beziehungen im Ganzen aufbauen. Die US-Politik zwang die Länder der Region, sich einer Realität zu stellen, die sie zu verbergen versucht hatten: Sie brauchten sich gegenseitig.
Sie brauchten einander, weil die sunnitisch-arabische Welt Feinde hatte, von denen keiner gefährlicher für ihre Interessen war als der Iran. Die Araber formulierten ihre Politik in der Annahme, dass die Vereinigten Staaten ihre Interessen, ja sogar ihre Existenz, gegen eine iranische Bedrohung garantieren würden. Das ist nach wie vor möglich, aber die Vereinigten Staaten haben jetzt eine kritische Unsicherheit geschaffen: Der Iran kann nicht sicher darüber sein, was die Vereinigten Staaten unter bestimmten Umständen tun würden. Das können die Araber auch nicht. Jeder muss sich auf abwesende USA vorbereiten, anstatt einfach von einer amerikanischen Reaktion auszugehen.
Der Iran hat weniger Handlungsspielraum
Zugleich sind die Iraner nun in einer geschwächten Position. Eine ihrer Strategien war es, die arabischen Staaten gegen Israel, die Vereinigten Staaten oder gegeneinander auszuspielen. Sie konnten auch Konflikte ausnutzen, die periodisch zwischen zersplitterten arabischen Staaten aufflammten. Jetzt hat der Iran weniger Handlungsspielraum, während die Araber sich gezwungen sehen, mit ihren Nachbarn zu verhandeln, anstatt Risiken und Verantwortung auf die USA abzuwälzen. Die Entscheidung, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, würde allein normalerweise keine Allianz schaffen. Die USA und China haben diplomatische Beziehungen; sie sind aber keine Verbündeten.
Im Fall der arabischen Welt jedoch ist die Sache anders. Innerhalb jedes Landes gibt es Fraktionen, die Israel gegenüber feindlich eingestellt sind. Jedes Regime, das Beziehungen zu Israel aufnimmt, muss sich dieser Realität stellen. Die Bedrohung erwächst hier aus dem Inneren, und jeder Staat, der Israel anerkannt hat, hat eine Barriere durchbrochen. Aus Perspektive der USA und Israels ist dies ein willkommener Durchbruch. Viele Araber sehen darin jedoch die Verletzung eines fundamentalen Prinzips. Saudi-Arabien hat den Schritt der Anerkennung Israels nicht vollzogen, obwohl es seit langem mit Israel zusammenarbeitet – weil es sich in dieser Frage nämlich vor den heftigen Gefühlen in einem bedeutenden Teil der eigenen Gesellschaft fürchtet.
In Anbetracht der Politik in der Region könnte die Anerkennung genauso gut eine Allianz sein. Die arabischen Staaten, die Israel anerkannt haben, haben wenig zu verlieren und viel zu gewinnen.
Worst-Case-Szenario für den Iran
Die implizite Allianz bringt den Iran in eine äußerst schwierige Lage. Die arabische Welt war vorher in vielerlei Hinsicht untereinander feindselig gestimmt. Jetzt ist sie um die israelische Macht herum organisiert, was Israel noch gefährlicher für sie macht. Zusätzlich zu den ruinösen Sanktionen, den internen politischen Spannungen und der potentiellen Bedrohung durch die Vereinigten Staaten sieht sich der Iran nun nicht nur mit der Möglichkeit einer arabischen Feindseligkeit konfrontiert, sondern auch mit der Möglichkeit einer arabischen Ausrichtung auf Israel. In vielerlei Hinsicht ist dies das Worst-Case-Szenario für den Iran, und die gegen ihn aufgestellten Geheimdienste werden alles tun, um die interne Opposition zu ermutigen.
Irans Kontermöglichkeiten sind ernstzunehmen. Der Anerkennungsprozess lässt die Palästinenser isoliert von ihren ehemaligen Verbündeten zurück. Der Iran kann sich also glaubhaft als einziger Unterstützer der Palästinenser und als einzig „wahrer Feind“ Israels darstellen. Die arabischen Staaten haben Palästina lange Zeit als Nebenthema betrachtet. Aber das gilt nicht unbedingt für deren Bürger. Der Iran macht sich die palästinensische Sache zu eigen und spricht in der arabischen Öffentlichkeit vom Verrat an den Palästinensern und der Kapitulation vor Israel.
Das Gleichgewicht der Kräfte hat sich verschoben
Es ist völlig ungewiss, ob irgendein arabisches Regime deshalb gezwungen sein wird, seine Politik wieder zu ändern oder sogar Gefahr läuft, gestürzt zu werden. Andererseits ist auch nicht klar, ob die formale Isolierung des Iran dort einen Regimewechsel herbeiführen wird. Klar ist nur eines: Sollte der Iran militärische Aktionen jeglicher Art gegen Staaten unternehmen, die Israel anerkannt haben, steht es Israel frei, unverhältnismäßige Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen. Das gilt auch für alle iranischen Verbündeten in der Region, etwa in Syrien oder im Irak.
Dieser Schritt hat die Umstände, unter denen Israel den Iran angreifen kann, ohne mit einer Verurteilung durch die arabische Welt rechnen zu müssen, erheblich ausgeweitet. Das Gleichgewicht der Kräfte hat sich in der Region seit den 1970er Jahren dramatisch verschoben: Damals war es Israel, das einer einheitlichen Feindesfront gegenüberstand. Jetzt ist es der Iran, der sich der Feindschaft gegenübersieht. Wie geschlossen sie sein wird, bleibt abzuwarten. Einigkeit herrscht in der arabischen Welt selten, aber die Risiken für die arabischen Regime, sowohl an der entstehenden Struktur teilzunehmen als auch sie zu destabilisieren, wären zu groß.
Vieles könnte schiefgehen, aber wir erleben eine tiefgreifende Neudefinition des Nahen Ostens – wo auch immer das hinführt.