Streit mit dem Innenministerium - Baerbock blockierte strengere Sicherheitsprüfung für Afghanen

Außenministerin Annalena Baerbock hat Sicherheitsbedenken gegen ihr Aufnahmeprogramm für Afghanen monatelang nicht ernstgenommen. Sie ließ es sogar auf einen Streit mit dem Innenministerium ankommen. Das geht aus einem vertraulichen Dokument hervor, das Cicero exklusiv vorliegt.

„Bis zur Ebene Bundesministerin eskalieren“: Nancy Faeser und Annalena Baerbock auf dem Flughafen in Tokio / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock blockierte Forderungen nach höheren Sicherheitsstandards bei der Aufnahme von angeblich gefährdeten Afghanen. Inzwischen ist bekannt: Die Bedenken von Sicherheitsbehörden und aus dem Innenministerium waren berechtigt. Denn wie Cicero-Recherchen zeigten, gibt es in vielen Fällen erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Bedrohungslage der Antragsteller.

Erst nachdem wir über interne Warnungen vor einem systematischen Missbrauch des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan berichteten, stellten Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dieses Programm Ende März vorübergehend ein. Man habe sich auf die Einführung einer zusätzlichen Sicherheitsbefragung verständigt, um Täuschungsversuche zu unterbinden, hieß es damals. Jetzt kommt heraus: Vorausgegangen war ein monatelanger Streit zwischen beiden Ministerien.

Das Innenministerium drängte schon lange auf höhere Sicherheitsstandards und wollte Afghanen, die angeblich von den Taliban verfolgt werden und deshalb in Deutschland aufgenommen werden sollen, genauer überprüfen. Doch das Auswärtige Amt stemmte sich bis zuletzt dagegen. Ein internes Dokument, das Cicero exklusiv vorliegt, zeigt: auf Weisung von ganz oben. Außenministerin Baerbock forderte ihre Untergebenen darin auf, gegenüber dem Bundesinnenministerium auf Konfrontationskurs zu gehen.

„Hier hart bleiben“

Das Dokument aus dem Auswärtigen Amt ist eine vertrauliche Vorlage des „Arbeitsstabs Ausreiseprogramm Afghanistan“ sowie des für Afghanistan und Pakistan zuständigen Referats AP 05. Berichtet wird darin über Schwierigkeiten bei der Ausreise schutzbedürftiger Afghanen und über mögliche Lösungsansätze. Die Vorlage ist vom 30. November 2022. Baerbock billigte sie einen Monat darauf und versah sie mit Kommentaren. Diese Anmerkungen sind das Brisante an dem Dokument.

So werden in der Vorlage „Interessenskonflikte“ innerhalb der Bundesregierung benannt: Das Innenministerium wünsche bei Ausreisen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms die „Durchführung zusätzlicher Sicherheitsinterviews“ und ein „vollständiges Visumverfahren im Drittland“. Dies würde zur einer „Verengung der derzeitigen Ausreiserouten auf Islamabad führen“, klagen Baerbocks Beamte.

In ihrer dieser Passage angefügten Anmerkung fordert Baerbock: „Das sollten wir nicht akzeptieren. Hier hart bleiben, ggfs. weiter bis zur Ebene BMin (Bundesinnenministerin Faeser, Anm.) eskalieren, ggfs. öffentlich.“

Mit dieser Aussage konfrontiert, behauptet die Pressestelle des Auswärtigen Amts nun: „Alle Verfahren im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms wurden auf das Engste zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMI abgestimmt, in dem gemeinsamen Verständnis, dass höchste Sicherheitsstandards gewahrt werden.“ Die schriftliche Aufforderung der Ministerin, im Streit mit dem Innenministerium auf Eskalation zu setzen, klingt allerdings anders.

Ausschnitt aus der vertraulichen Vorlage mit Anmerkung der Außenministerin / Cicero

Umstrittene Zusammenarbeit mit NGOs

Das Aufnahmeprogramm, das Baerbock und Faeser im Oktober 2022 gemeinsam gestartet haben, war von Anfang an umstritten. Zum einen, weil Deutschland damit zusätzlich zu den Ortskräften und den illegal einreisenden Asylbewerbern weitere 1000 Afghanen im Monat aufnehmen will – darunter Menschenrechtsaktivisten, Juristen und Homosexuelle. Zum anderen, weil die Bundesregierung die Vorauswahl derjenigen, die für eine Aufnahme in Frage kommen, zivilgesellschaftlichen Organisationen überlässt. Das Verfahren ist intransparent und missbrauchsanfällig.

Die von der Regierung ausgewählten Organisationen können Fälle angeblich verfolgter Afghanen über ein elektronisches Eingabesystem melden. Doch wer diese „meldeberechtigten Stellen“ sind, gibt die Bundesregierung nicht bekannt. Es sei den zivilgesellschaftlichen Organisationen selbst überlassen, ob und wie sie ihre Beteiligung öffentlich machen, heißt es. Das stößt selbst bei Beteiligten auf Kritik.

Anfällig für Korruption

„Die Bundesregierung wusste, dass kaum eine Organisation an dem Programm mitwirken würde, wenn sie sich öffentlich zu erkennen geben müsste“, sagt Theresa Breuer, Mitgründerin der Initiative „Kabul Luftbrücke“. „Wer es getan hat, so wie ‚Kabul Luftbrücke‘, wurde mit Anträgen überflutet. Und weil sich die Bundesregierung nicht selbst mit Anträgen herumschlagen wollte, hat man Organisationen damit gelockt, ihre Beteiligung geheimhalten zu dürfen.“

Dieses Angebot sei ebenso perfide wie zerstörerisch, kritisiert Breuer die Regierung. „Es hat nicht nur die Idee eines fairen Aufnahmeprogramms unterminiert, sondern auch Korruption und Nepotismus Tür und Tor geöffnet.“ Sie habe sich deshalb Ende des Jahres aus der Initiative zurückgezogen. „Kabul Luftbrücke“ wird von dem Verein Civilfleet-Support e.V. getragen, dessen Vorstand der Grünen-Politiker Erik Marquardt ist.

Auch aus der deutschen Botschaft in Pakistan kamen deutliche Warnungen. Da die Bundesrepublik seit der Machtübernahme der Taliban keine offizielle Auslandsvertretung mehr in Afghanistan hat, müssen Visaanträge in den Nachbarstaaten gestellt und bearbeitet werden. Die Beamten in Islamabad wurden angesichts der Fälle, die sie im Rahmen eines Vorläufers des Bundesaufnahmeprogramms auf den Tisch bekamen, zunehmend misstrauisch.

Warnschreiben des deutschen Botschafters

Im Februar 2023 schrieb der deutsche Botschafter einen alarmierenden Bericht an das Auswärtige Amt in Berlin. Er warnte darin, dass sich Islamisten fälschlicherweise als Verfolgte ausgeben würden, um nach Deutschland zu gelangen. Zudem beschrieb er einen Korruptionsverdacht: „Hinweise liegen vor, dass diverse Gefährdungsanzeigen über Mittelsmänner und auch gegen Bezahlung gestellt worden sind.“
 

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Dieses vertrauliche Schreiben machte Cicero Anfang März öffentlich. Wenige Wochen später reagierte die Bundesregierung. Auswärtiges Amt und Innenministerium setzten das Aufnahmeprogramm für Afghanistan mit sofortiger Wirkung aus, um die zuvor von Außenministerin Baerbock blockierte zusätzliche Sicherheitsbefragung einzuführen. Es sei angestrebt, „das Verfahren in den nächsten Tagen wieder aufzunehmen, sobald die zusätzliche Befragung umgesetzt sei“, hieß es damals. Doch das Programm pausiert immer noch.

Aufnahmeprogramm soll „zeitnah“ wieder starten

„Die gemeinsamen Vorbereitungen mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) und den Sicherheitsbehörden zur Etablierung der angepassten Verfahren sind weit fortgeschritten“, teilt das Auswärtige Amt nun, anderthalb Monate später, auf Cicero-Anfrage mit. „Wir sind zuversichtlich, diese zeitnah aufnehmen zu können, um die Ausreisen aus Afghanistan wiederaufzunehmen.“

Hinzu kommt: Es gibt offenbar erhebliche Differenzen zwischen NGOs und der Bundesregierung, was die Aufgabenteilung in dem Meldeverfahren angeht. Mit einer Beteiligung an dem Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan würden meldeberechtigte Stellen bestätigen, „dass Vorschläge, die an die Bundesregierung herangetragen werden, zuvor auf Plausibilität geprüft wurden“, teilte die Bundesregierung jüngst auf eine parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Fraktion mit. „Die meldeberechtigte Stelle muss die Gewähr dafür geben, dass die Informationen zu der vorgeschlagenen Person plausibel sind“, so die Bundesregierung.

Ganz anders klingt die Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung (NRV), die laut eigenen Angaben zu den meldeberechtigten Stellen gehört oder gehört hat. Nachdem Cicero über mutmaßliche Islamisten im Bundesaufnahmeprogramm berichtet hatte, teilte der deutsche Juristenverein mit: „Eine inhaltliche Prüfung der Begehren konnte die NRV zu keinem Zeitpunkt durchführen und hat dies auch nicht vorgegeben. Dies war und ist die Sache der beteiligten Ministerien und ihrer Einrichtungen und der von diesen informierten Sicherheitsbehörden.“

CDU-Innenpolitiker fordert Baerbocks Rücktritt

In der Opposition stößt das Verhalten von Außenministerin Baerbock auf scharfe Kritik. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker Detlef Seif fordert sogar ihren Rücktritt. „Sollte zutreffen, dass Bundesaußenministerin Baerbock angewiesen hat, auf Sicherheitsüberprüfungen zu verzichten, wäre das ein Skandal. Dann müsste sie zurücktreten“, kommentiert er die neueste Cicero-Enthüllung.

„Die Bundesregierung ist verpflichtet, sicherzustellen, dass auch aus humanitären Gründen aufgenommene Personen kein Sicherheitsrisiko darstellen. Sicherheitsüberprüfungen sind hierfür wesentlich“, so Seif. Und weiter: „Wenn Ministerin Baerbock diese Anweisungen gegeben hat, muss man die Frage stellen, ob sie ihrem Amtseid noch gerecht wird. Denn wer bewusst auf Sicherheitsüberprüfungen verzichtet, nimmt billigend in Kauf, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger Schaden nehmen.“

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