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(picture alliance) Chinas Militär: gleichgeschaltet und intransparent

Chinas Militär - Alle Mann an die Waffen

China untermauert seine Weltmacht-Ambitionen und rüstet kräftig auf. In diesem Jahr investiert die Volksrepublik 72 Milliarden Euro in ihr Militär, Tendenz steigend

Admiral Zhang Zheng steht in blütenweißer Uniform an Deck. Es ist sein erster Tag als Kapitän des ersten Flugzeugträgers Chinas. „Dies ist ein riesiges Schiff mit teurer Ausrüstung und einer großen Mannschaft“, sagt er in fließendem Englisch in die Kamera des internationalen Fernsehkanals vom Staatssender CCTV. „Der Betrieb wird eine große Herausforderung sein.“ Dies sei „ein Meilenstein in der Geschichte der Volksbefreiungsarmee (VBA)“, betont Ministerpräsident Wen Jiabao bei der Feier. „Der Träger verbessert unsere operativen Fähigkeiten und erhöht die strategische Abschreckung sowie die Fähigkeit zum Gegenangriff“, ergänzt Admiral Zhang nüchtern.

Tatsächlich ist der Koloss vor allem ein Symbol. Bis Chinas Marine in der Lage sein wird, den Flugzeugträger „Liaoning“ einsatzfähig zu machen, werden nach Ansicht von Experten noch Jahre vergehen. Vorerst unterstreicht das Riesenschiff Pekings Anspruch, militärisch in der ersten Liga der Weltmächte mitzuspielen. Schon lange hatte China nach einem eigenen Flugzeugträger gestrebt. Da es selbst keinen entwickeln konnte, kaufte die Marine 1998 in der Ukraine den nur halbfertigen Träger „Varjag“ der sowjetischen Kusnezow-Klasse. Ohne Maschine und Navigationssysteme wurde der graue Gigant nach China geschleppt.

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Seit gut 20 Jahren modernisiert China seine Streitkräfte, um sie fit zu machen fürs 21. Jahrhundert. Die Kommunistische Partei hatte die Armee – die ihr bis heute formal unterstellt ist – 1927 gegründet. Damals rekrutierte die Partei Bauern als Freiheitskämpfer und Guerilla. Auch nach der Gründung der Volksrepublik 1949 blieb das Militär lange Zeit unterentwickelt. Mit Beginn des Umbaus verschlankte China die Truppe und startete die Modernisierung der veralteten Waffenarsenale.

Heute hat die Armee 2,3 Millionen Soldaten,1570 Kampfjets und 550 Bomber, 79 Zerstörer und Fregatten, gut 50 U‑Boote und rund 7000 Panzer. Das Nukleararsenal besteht aus 50 bis 75 Interkontinentalraketen, die laut Chinas Atomdoktrin eine „minimale Abschreckung“ garantieren sollen. Außerdem sind nach Angaben des Pentagons 1000 bis 1200 Kurzstreckenraketen auf Taiwan gerichtet. Sie sollen verhindern, dass die von Peking als abtrünnige Provinz betrachtete Insel die formale Unabhängigkeit ausruft.

China betont stets, dass sein Militär für niemanden eine Bedrohung darstelle – zuletzt bei der Präsentation der „Liaoning“. Über Rüstungsziele äußert sich Peking hingegen nur vage. China wolle sein Militär in die Lage versetzen, „lokale Kriege unter Bedingungen der Informatisierung“ zu gewinnen, sagte Wen Jiabao in seiner Regierungserklärung im März. Damit meine er „intensive, informationszentrierte Operationen von kurzer Dauer“, erklärt das Pentagon in seinem diesjährigen China-Bericht. Weniger blumig ausgedrückt heißt das: Cyber-Kriegführung.

Wie ernst es Peking mit seinem Militär meint, zeigen die Zahlen: Das Verteidigungsbudget stieg in den vergangenen 20 Jahren jährlich zweistellig. 2012 legte es offiziell um 11,2 Prozent auf 670 Milliarden Yuan (72 Milliarden Euro) zu. Die tatsächlichen Ausgaben liegen allerdings nach Schätzungen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) gut 50 Prozent über dem offiziellen Wert. Die Sipri-Experten gehen davon aus, dass Forschung und Entwicklung getrennt budgetiert werden.

Genau weiß dies aber niemand. Chinas Militär agiert so intransparent, dass nur bekannt ist, was Experten auf Umwegen herausbekommen. So berichtet das Pentagon beispielsweise, dass China sein Raketenarsenal stetig modernisiert. Dazu stelle es in großer Zahl bodenbasierte Marschflugkörper her, die Präzisionsschläge ausführen können. Außerdem entwickle China „Dongfeng 21D“, ein auf den Beschuss von großen Schiffen spezialisiertes Raketensystem. Solche Informationen gelten generell als zuverlässig.

Seite 2: Chinas rasanter Wandel vom Rüstungsimporteur zum -exporteur

China sorgt immer wieder für Überraschung und Besorgnis in Fachkreisen. Etwa als vor wenigen Jahren Satellitenbilder einer Marinebasis auf der Tropeninsel Hainan Tunneleingänge zeigten, die auf die Existenz von Atom‑U‑Booten hindeuten. Dass China solche atomgetriebenen U-Boote mit ballistischen Raketen der „Jin“‑Klasse baut, bestätigt inzwischen das US‑Verteidigungsministerium. Diese sollen in etwa zwei Jahren atomfähige Raketen mit einer Reichweite von bis zu 7400 Kilometern abfeuern können und somit China erstmals eine atomare Abschreckung auf See ermöglichen. „Viele Experten glauben, dass China dieses System eigens für Tiefseepatrouillen in umstrittenen Gewässern des Südchinesischen Meeres entwickelt“, schreiben die US-Militärexperten Michael Chase und Benjamin Purser. Dort streitet sich China mit anderen Anrainerstaaten um mehrere Riffe und Inseln, unter denen Rohstoffe vermutet werden.

Ein weiterer Fall: Ende 2010 und im Mai 2012 tauchten in Blogs Bilder eines pechschwarzen Flugzeugs auf. Sie zeigten Testflüge des J‑20, eines von China entwickelten Tarnkappenbombers. Nach einigem Zögern druckten auch staatliche chinesische Medien die Bilder. Weitere J‑20‑Prototypen seien in der Entwicklung, berichtete die Zeitung Global Times.

Dass China vermehrt seine Waffen selbst herstellt, ist immerhin belegbar. Zwischen 2007 und 2011 gingen Chinas Rüstungsimporte nach Daten des Sipri um 58 Prozent zurück. Zuvor war die Volksrepublik jahrelang der weltgrößte Rüstungsimporteur gewesen. Vor allem aus Russland kaufte Peking Kampfjets, Kriegsschiffe oder U‑Boote. Aus Israel bezog China laut Sipri Elektronik und Raketentechnologie – bis die USA Tel Aviv zu einem Exportstopp drängten. Importe aus den USA und der EU sind Peking verwehrt: Beide hatten 1989 nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz Waffenembargos gegen China verhängt.

„China hat einen großen Sprung gemacht in den vergangenen 15 Jahren“, sagt Siemon Wezeman, Sipri-Experte für Waffenhandel. Die Qualität seiner selbst gebauten Ausrüstung nähere sich dem Niveau des Westens an. Chinas J‑10‑Kampfflugzeuge etwa ähneln nach Angaben der einflussreichen US‑Denkfabrik Rand Corporation den amerikanischen F‑16‑Jets. Allerdings basieren nach wie vor fast alle chinesischen Innovationen auf einstigen Importen, vor allem jenen aus Russland. „China ist der Weltmeister des Reverse Engineering“, sagt Emmanuel Puig vom Forschungsinstitut Asia Centre in Paris. „Der Vorteil dieser Art der Innovation ist, dass man schnell und relativ preiswert aufholen kann. Aber sie führt zu einer hohen Abhängigkeit und reduziert die Fähigkeiten zur Grundlagenforschung.“ Grundlegende Innovationen aber seien Voraussetzung für den Aufstieg eines Landes zur echten Großmacht.

Chinas Armee ist also noch lange nicht am Ziel. Zwei Drittel der Kampfjets basieren nach Angaben der Rand Corporation immer noch auf uralten russischen MiG‑19- und MiG‑21‑Flugzeugen. Chinas Bodentruppen leiden nach Ansicht des Pentagons unter zu geringer Kampferfahrung und mangelnder Führungsstärke der leitenden Offiziere. Besseres Training gehört daher zu den Schwerpunkten der Armeereform.

Auch die „Liaoning“ ist mit ihren 58 800 Tonnen nicht wirklich konkurrenzfähig. Die amerikanischen Flugzeugträger der Nimitz-Klasse sind beinahe doppelt so groß. „Wir haben nicht genug Erfahrung mit dieser Art Schiff“, gibt Admiral Zhang denn auch freimütig zu. Man müsse erst mal Sicherheitsmaßnahmen und Managementmethoden entwickeln. Chinas künftige J‑15‑Trägerjets – gebaut auf Basis russischer Sukhoi S‑33‑Flugzeuge – sind zwar bereits von Land aus geflogen, aber noch nicht serienreif. Chinas Piloten sind für Landungen auf einem Träger nicht ausgebildet. Bei ersten Testfahrten der „Liaoning“ waren daher nur Modelle der Flieger an Bord. Bis dort echte J‑15 landen, werden noch Jahre vergehen.

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