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Algerier bekämpft Burka-Verbot in Frankreich - „Der Laizismus ist eine gewaltvolle Ideologie“

Der algerische Geschäftsmann Rachid Nekkaz bekämpft das französische Burka-Verbot: Er übernimmt die Geldstrafen von Frauen, die verurteilt wurden, weil sie in der Öffentlichkeit einen Gesichtsschleier trugen. Nekkaz sieht sein Engagement in der Tradition von Immanuel Kant

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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2010 gründete Rachid Nekkaz die Initiative „Touche Pas à Ma Constitution“ (zu deutsch: „Rühre meine Verfassung nicht an“). Der Fonds umfasst eine Million Euro. Immer wieder rief er Frauen zum „zivilen Widerstand“ auf. Derzeit schreibt er ein Buch, in dem von seinem Kampf für die Willensfreiheit beim Gesichtsschleier berichtet.

Herr Nekkaz, warum sollten wir uns an die Vollverschleierung gewöhnen, die zugleich ein Symbol ist für religiösen Eifer, für die Unterdrückung der Frau und die Einschränkung der Weltsicht?
Die UN-Menschenrechtscharta erlaubt es jedem Bürger, seine Religion frei auszuüben. Doch Frankreich kehrt seinen republikanischen Werten gerade den Rücken. Das Europa von Luther, Kant, Hegel, der großen Philosophen, verwandelt sich gerade in ein freiheitsfeindliches, intolerantes Europa.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das französische Verbot des Gesichtsschleiers im vergangenen Jahr für rechtmäßig befunden. So sehr kann das Verbot also Freiheit und Menschenrechte nicht einschränken.
Ich war an diesem Tag in Straßburg, ich habe die Entscheidung des Gerichtshofes gelesen. Darin heißt es, die Strafen des Gerichts gegen die betroffenen Frauen seien nicht relevant. 150 Euro seien nicht schlimm.

In Belgien haben Sie die Geldstrafe einer katarischen Prinzessin übernommen, die den Gesichtsschleier nicht ablegen wollte. 150 Euro sind doch für eine Adlige höchstens ein Trinkgeld – da muss man den Richtern doch zustimmen, oder nicht?
Selbst wenn die Strafe ein Euro wäre, würde ich das niemals akzeptieren. Meine algerischen Eltern konnten niemals die Schule besuchen, aber sie haben mir beigebracht, dass man für Prinzipien kämpfen muss. Deshalb verteidige ich jede Frau, die in Europa einen Niqab tragen möchte – aber nur auf der Straße, nicht in Einkaufszentren, Verwaltungsgebäuden, Schulen oder Banken. Das ist übrigens auch die Auffassung des obersten französischen Verwaltungsgerichtes: Ein Niqab-Verbot sei nur in geschlossenen öffentlichen Räumen rechtmäßig, nicht aber auf der Straße.
Persönlich lehne ich das Tragen des Gesichtsschleiers übrigens ab.

Warum? Was haben Sie gegen Niqab und Burka?
Man muss unterscheiden: Die Burka ist wirklich ein Gefängnis. Sie wird vor allem in Afghanistan getragen. In Europa sprechen wir daher vom Niqab, der weicher ist, weniger gewaltvoll. Wer den Niqab trägt, hat extreme Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden oder sich zu integrieren. Trotzdem verteidige ich das. Voltaire sagte, selbst wenn ich gegen euch bin, werde ich das Äußerste tun, damit ihr euch frei äußern könnt.

Was ist mit den Frauen, die zur Vollverschleierung gezwungen werden?
66 Prozent der Frauen, die einen Niqab tragen, sind Urfranzösinnen, Urbelgierinnen, Urholländerinnen. Sie sind nicht aus Algerien, Tunesien oder Mali. Sie sind blond, brünett, heißen Nathalie, Marie, Emily. Französische Behörden haben mehr als 1600 Niqab-Trägerinnen befragt. Fazit: Keiner ihrer Gatten, Väter oder Brüder wurde durch die Justiz verfolgt; keiner dieser Männer hatte seine Frau, Tochter oder Schwester unter den Schleier gezwungen. Und das ist sehr wichtig: Die Frauen entscheiden sich freiwillig für den Niqab. Anders ist es in islamischen Staaten wie in Afghanistan, Saudi-Arabien und Ägypten, wo die Gesellschaft Frauen unter die Burka zwingt. Man muss fundamental unterscheiden zwischen Europa, wo es eine persönliche Wahl ist, und muslimischen Ländern, wo es Nötigung ist.

Kämpfen Sie auch in diesen islamischen Ländern?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Dezember 2013 habe ich eine Frau in der sudanesischen Hauptstadt Khartum verteidigt, die sich weigerte, das dortige Kopftuch – die Hidschab – zu tragen. Sie sollte auf einem öffentlichen Platz ausgepeitscht werden. Glücklicherweise wurde ihr das dank meiner Intervention erspart. Ich habe mich für Uiguren in China und für Roma in Frankreich eingesetzt.
Ich habe auch dagegen protestiert, Saudi-Arabien den Vorsitz des UN-Menschenrechtsausschusses zu übertragen. Was für eine Provokation: Dieses Land tritt fundamentale Menschenrechte mit Füßen.

Sie haben schon ganz schön viel Geld ausgegeben, um die Geldstrafen von Niqab-Trägerinnen zu übernehmen. Wer sind die Spender Ihres Vereins?
Ich bin mit meiner Frau, einer Amerikanerin, der einzige Spender. Sie trägt übrigens keinen Niqab.

Also können Sie auch ausschließen, dass Gelder aus Saudi-Arabien, Katar oder anderen Golfstaaten in Ihren Verein fließen?
Kein Cent kommt aus dem Ausland. Alles gehört mir und meiner Frau. Die Spenden gebe ich entweder den betroffenen Frauen oder ich zahle direkt die Geldstrafe an die Justizbehörden – und lade die Medien zu einer Pressekonferenz ein.

Was ist Ihr Geschäft?
Ich verdiene mein Geld am Immobilienmarkt. Das gibt mir finanzielle Freiheit für mein Engagement. Der französische Staat bekämpft mich mit seinen Finanzbehörden – ich musste in den vergangenen fünf Jahren, seitdem ich mich für die Schleierträgerinnen einsetze, schon vier internationale Steuerkontrollen über mich ergehen lassen. Wie Sie sehen, bin ich immer noch da, und ich zahle immer noch diese Geldstrafen, damit sich die Gesetze ändern. Ich bin ein algerischer Staatsbürger und habe mich 2013 dafür entschieden, meine französische Staatsangehörigkeit abzugeben.

Warum ist es schlimmer, Franzose zu sein als Algerier?
Frankreich hält sich für die größte Demokratie der Welt, für das Land der Menschenrechte. Algerien hat das niemals behauptet. Es ist eine Demokratie-Baustelle, ein junges Land, das durch ein Jahrhundert der Kolonialisierung noch immer traumatisiert ist.

Sie sind bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen in Frankreich als unabhängiger Kandidat angetreten. Was sind Ihre nächsten politischen Ambitionen?
Ich habe eine politische Partei gegründet, die „Mouvement pour la Jeunesse et le changement“ (Bewegung für die Jugend und den Wandel). Ich werde an allen künftigen Wahlen des Landes teilnehmen.

In Deutschland gibt es auch Befürworter eines Burka-Verbots, zum Beispiel die CDU-Vize Julia Klöckner.
Wissen Sie, das ist doch nicht anders, als wenn jemand sagt: „Ich mag kein Rot, das ist die Farbe des Blutes. Deswegen sollten wir rote Kleidung für Frauen verbieten.“ Das ist sehr, sehr gefährlich.

Vor drei Wochen haben Sie im Schweizerischen Tessin angekündigt, dortige Geldstrafen für Niqab-Trägerinnen zu übernehmen. Würden Sie auch in Deutschland eingreifen, wenn es hier ein Verbot gäbe?
Ich würde das in allen Ländern der Welt tun, die Demokratie für sich beanspruchen.

Wie vielen Frauen haben Sie schon geholfen?
In Frankreich waren es 1003 Fälle. Darunter war eine Frau, die 31-mal zu Geldstrafen verurteilt wurde. In Belgien waren es 253 Bußen, in Holland zwei. Im Tessin wird das Gesetz erst im April 2016 greifen, obwohl es dort nicht einmal 30 Frauen betrifft.

Waren unter diesen auch radikalisierte Frauen oder solche, deren Familienmitglieder Islamisten oder Terroristen waren?
Alle Frauen, die mich kontaktieren, versicherten mir, dass sie jede Form von Gewalt oder Extremismus ablehnen. Unter meinen Klientinnen gab es keine einzige, die bislang inhaftiert wurde. In Frankreich wurde auch noch nicht ein einziger Mann von der Justiz verfolgt, weil er seine Frau, Schwester oder Tochter zwang, einen Niqab zu tragen. Das zeigt doch. Das ist eine persönliche Wahl.
Deswegen müssen die Intellektuellen diese Debatte eröffnen: Dürfen ureuropäische Frauen freiwillig Niqab tragen? Man darf diese Frage nicht allein den politischen Parteien überlassen.

Warum sollten wir gerade jetzt darüber reden, nicht einmal einen Monat nach den Attentaten von Paris?
Ich fordere schon seit Jahren diese Debatte! Seit 2010 sage ich den Parteien, beachtet diese Frauen. Was passiert denn, wenn wir das verbieten? Der Staat sperrt die Frau in ihrer Wohnung ein! Und was macht sie da den ganzen Tag? Das wird die Radikalisierung in Europa nur noch verschärfen. Aber wenn Sie mit ihr in den Dialog treten, ihr vielleicht eine Arbeit anbieten, wird sie Kontakt mit der Bevölkerung haben und vielleicht, mit der Zeit, von selbst den Niqab ablegen. Warum tragen Frauen denn so etwas? Offenbar gibt es da doch ein Problem! Und Probleme bekämpft man mit Debatten, nicht mit Gesetzen! Ich verstehe die Angst, aber man muss sie mit Intelligenz bekämpfen.

Viele Beobachter sind überzeugt, dass es diese Angst vor Muslimen war, die den Sieg des Front National bei den Regionalwahlen ermöglichte.
Ja, das ist der wichtigste Grund. Parteien spielen mit dem Feuer, wenn sie das Anti-Burka-Gesetz nutzen, um Wahlen zu gewinnen. 30 Prozent für den Front National – das ist dramatisch! Ich hatte Marine Le Pen übrigens einmal angeboten, mich zu treffen. Aber sie hat sich geweigert.

Nach den Attentaten im Januar haben Sie angeboten, die Mehrheitsanteile der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zu übernehmen. Wie war die Reaktion?
Das ist immer dasselbe in Frankreich. Wenn ein moderater Muslim einen intelligenten Vorschlag macht – und das war sogar schon mein zweites Übernahmeangebot –, erhält man nur Absagen. Es hieß, uns wird kein Muslim kaufen! Und das ist traurig, schade.

Unterstützen Sie die Mohammed-Karikaturen?
Nein, ich unterstütze nicht die Karikaturen, ich unterstütze die Freiheit. Mir missfiel, wie die Medien behaupteten, Muslime würden Charlie Hebdo und die Pressefreiheit bedrohen. Also fühlte ich mich als Muslim herausgefordert.

Wie kann man die Radikalisierung der jungen Muslime bekämpfen?
Das ist die ernsthafte Frage! Wir haben nicht nur ein Integrationsproblem in Europa, wir stecken mitten in einer tiefen moralischen und spirituellen Krise. Das Problem ist auch der Laizismus – ein Staatsgebilde, der im Widerstand zur Religion konstruiert ist.

Sie bekämpfen also auch den Laizismus?
Der Laizismus ist eine gewaltvolle Ideologie. In Frankreich sind Kirche und Staat laut Gesetz getrennt. Ich bevorzuge das belgische Konzept, wo der Staat neutral sein muss, oder das amerikanische, wo Spiritualität ein Teil der Gesellschaft ist. Da gibt es keinen Konflikt zwischen der Politik und der Religion. In Frankreich schon.
Im Januar 2015 haben die Bildungsministerin und 45 Abgeordnete der Nationalversammlung einen Gesetzentwurf eingebracht – nur für mich. Sie wollten mich wegen meiner Niqab-Aktivitäten für drei Jahre ins Gefängnis stecken und mit einer Geldstrafe von 100.000 Euro belegen.

Die Initiative endete erfolglos.
Weil der Premierminister nicht mitspielte. Aber Sie sehen, diese politischen Parteien nutzen Gesetze, um fundamentale Freiheiten einzuschränken. Das ist der Beginn der Diktatur.

Das Interview führte Petra Sorge

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