Kinder am Flughafen Charles de Gaulle in Paris
Nach dem Absturz der Egyptair-Maschine werden 66 Menschen vermisst / picture alliance

Absturz der Egyptair-Maschine - Tragödie über dem Mittelmeer

Ein ägpytisches Flugzeug ist am Donnerstagmorgen abgestürzt. 66 Menschen werden vermisst. Die Unglücksursache ist unklar. Das Land, das bislang nur widerwillig Fehler einräumt, ist seit Januar schon von 210 Terroranschlägen heimgesucht worden

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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Der Schock stand ihm in Gesicht. „Wir sind sehr bewegt und traurig“, erklärte Ägyptens Verkehrsminister Sherif Fathi. Draußen vor der Küste orteten währenddessen Flugzeuge und Schiffe aus Ägypten, Griechenland und Frankreich erste größere Wrackteile der abgestürzten Egyptair-Maschine.

Seine Regierung schließe keine Hypothese aus, versicherte Fathi, weder ein technisches Versagen, noch einen Terroranschlag, den er allerdings als die wahrscheinlichere Ursache bezeichnete. „Wir werden uns einzig und allein auf Fakten stützen und nicht leichtfertig und voreilig herumreden“, erklärte er. Von ägyptischer Seite versprach er ein „absolut professionelles Verhalten“ und sagte den Angehörigen jede Unterstützung zu. Doch solange die Flugschreiber nicht gefunden sind, bleibt vieles rätselhaft an dem nächtlichen Unglück über dem Mittelmeer. Eines jedoch wissen die Verantwortlichen in Kairo: Ihr Land kann momentan nichts schlechter gebrauchen, als eine neuerliche Debatte über Terrorgefahr und Sicherheit in Ägypten.

Plötzlich von den Radarschirmen verschwunden


Die Egyptair-Unglücksmaschine, ein 13 Jahre alter Airbus 320, war am späten Mittwochabend um 23.30 Uhr auf dem Charles-de-Gaulle Flughafen in Paris gestartet. An Bord befanden sich 56 Passagiere, darunter 30 Ägypter, 15 Franzosen und 11 Bürger anderer Nationen plus sieben Besatzungsmitglieder und drei Sicherheitsleute. Nach Angaben der Fluggesellschaft verschwand die Maschine gegen 2.40 Uhr früh plötzlich von den Radarschirmen, etwa 45 Minuten vor der geplanten Landung in Kairo. Der vermutliche Unglücksort liege rund 280 Kilometer von der ägyptischen Küste entfernt, hieß es in der Mitteilung. Wie Fotos von Wettersatelliten zeigten, herrschte in der Region wolkenloser Himmel und gutes Wetter. Der Jet befand sich auf seiner Reiseflughöhe von rund 11.000 Metern und hatte den Landeanflug auf Kairo noch nicht begonnen.

Frankreich und Ägypten richteten Krisenstäbe ein. Die Präsidenten François Hollande und Abdel Fattah al-Sissi telefonierten miteinander. Die ägyptische Seite hatte zunächst gemeldet, die Piloten hätten Minuten vor dem Absturz ein Notsignal gesendet. Diese Information wurde später wieder dementiert. Bewohner der griechischen Insel Karpathos wollen einen Feuerball gesehen haben. Im Internet kursierte ein 17 Sekunden langes Video, was angeblich ein brennendes Flugzeug am Nachthimmel zeigt. Das griechische Verteidigungsministerium meldete, die Maschine mit der Flugnummer MS-804 habe zunächst eine 90-Grad-Kehre nach links gemacht, sich dann einmal um die eigene Achse gedreht, bevor sie rapide an Höhe verlor.

210 Terroranschläge seit Jahresbeginn


Eine plötzliche Katastrophe an Bord, die den Piloten selbst für einen Notruf keine Zeit mehr ließ, nährt Spekulationen über einen Terroranschlag. Beide Länder, Frankreich und Ägypten, standen in den vergangenen zwei Jahren im Fokus von Al Qaida und dem „Islamischen Staat“. Im Januar 2015 starben in Paris bei Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt 17 Menschen. Im November massakrierten IS-Anhänger 130 Besucher in einem Konzerthaus und in mehreren Straßencafés. In Ägypten kamen bisher über 700 Polizisten und Soldaten bei Anschlägen ums Leben, die meisten im Nordsinai, Dutzende aber auch in Kairo. Im Juni 2015 konnte auf dem Gelände des Karnak-Tempels in Luxor ein Massaker an Touristen in letzter Minute verhindert werden. Allein für die ersten drei Monate 2016 registrierte das „Tahrir Institute for Middle East Politics“ 210 Terroranschläge im ganzen Land.

Egyptair genießt in der Luftfahrtbranche einen guten Ruf. Die beiden Piloten waren sehr erfahren, der 36-jährige Kapitän hatte 6275 Flugstunden, davon 2101 auf dem Airbus 320, der Co-Pilot 2766 Flugstunden. Die Maschine war seit 13 Jahren im Dienst und hatte nach Angaben des Herstellers Airbus rund 48.000 Flugstunden hinter sich. Am Tag vor dem Unglücksflug war der Jet von Asmara in Eritrea kommend auf der Strecke Kairo – Tunis eingesetzt und anschließend auf der Route Kairo – Paris.

Ägypten gesteht selten Fehler ein


Die ägyptische Fluggesellschaft ist Mitglied der Star Alliance, zu der auch die Lufthansa und Austrian Airlines gehören. Das bisher schwerste Unglück mit einer Egyptair-Maschine ereignete sich 1999 vor der amerikanischen Küste nahe der Insel Nantucket. Damals war eine Boeing 767 gut eine halbe Stunde nach dem Start in New York ins Meer gestürzt. Alle 217 Menschen an Bord kamen ums Leben. Nach Überzeugung der US-Ermittler brachte der Co-Pilot das Flugzeug bewusst zum Absturz, eine Analyse, die die ägyptische Seite auch 17 Jahre nach dem Unglück immer noch bestreitet. Im Mai 2002 krachte eine Boeing 737 während des Landeanflugs auf Tunis bei Nebel in einen Sandhügel sechs Kilometer vor dem Flughafen. 14 der 62 Insassen starben. Ende März 2016 entführte ein Ägypter, der mit der Attrappe eines Selbstmordgürtels an Bord gelangt war, eine Egyptair-Maschine auf einem Inlandsflug nach Zypern. Der Mann, den Mitpassagiere als geistig verwirrt bezeichneten, sitzt in Larnaka in Auslieferungshaft.

Das Land hat bislang einen sehr schlechten Ruf, wenn es darum geht, eigene Fehler oder Versäumnisse einzuräumen sowie Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. So weigert sich Kairo nach wie vor, den Absturz des russischen Ferienfliegers im letzten Oktober, der auf dem Weg von Sharm al-Sheikh nach St. Petersburg über dem Nordsinai explodierte, offiziell als Terroranschlag einzustufen und damit schwere Lücken bei der eigenen Flughafensicherheit zuzugeben. Damals weigerten sich die ägyptischen Offiziellen sogar, das Wort Terroranschlag oder Bombe im Zusammenhang mit dem Absturz überhaupt in den Mund zu nehmen.

Die Terrororganisation „Islamischer Staat“, die auf dem Sinai eine Filiale hat, hatte in einem Artikel in ihrem Propaganda-Magazin Dabiq behauptet, die Bombe sei in einer Getränkedose an Bord geschmuggelt worden. Russland und Großbritannien stoppten nach dem Unglück, das 224 Urlaubern das Leben kostete, ihren gesamten Charterverkehr in die ägyptischen Baderegionen am Roten Meer. Sie haben ihn bis jetzt, acht Monate später, nicht wieder aufgenommen, weil die Behörden in London und Moskau mit den Sicherheitsprozeduren auf den ägyptischen Flughäfen nach wie vor unzufrieden sind.

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