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Abhörskandal - „Stasi, FBI und CIA gleichzusetzen ist falsch“

Der Hüter der Stasi-Akten Roland Jahn verurteilt die Schnüffeleien der westlichen Geheimdienste, warnt aber davor, NSA, FBI und CIA mit der Stasi gleichzusetzen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ein prominenter US-Amerikaner nannte kürzlich die US-Geheimdienste „die vereinigte Stasi von Amerika“. NSA, FBI und CIA hätten „mit der neuen digitalen Technologie die Möglichkeit, unsere Bürger in einem Ausmaß zu überwachen, von dem die Stasi nicht einmal träumen konnte“. Was empfindet der Hüter der Stasi-Akten, wenn er so etwas hört oder liest?
Das Zitat ist angesichts der Nachrichten, die uns erreichen, auf jeden Fall gut nachzuvollziehen …

„… es stammt übrigens von Daniel Ellsberg, der 1971 mit der Veröffentlichung von streng geheimen Dokumenten nachwies, dass alle Präsidenten der USA, von Lyndon B. Johnson angefangen, die Öffentlichkeit über ihre langjährige systematische Vorbereitung des Vietnamkriegs belogen hatten …
… was damals zweifellos verdienstvoll war. Dennoch birgt das Ellsberg-Zitat, das Sie mir gerade vorgelesen haben, eine Gefahr. Es könnte dazu verleiten, Stasi und US-Geheimdienste gleichzusetzen. Und das wäre falsch.

Wieso eigentlich?
Die Stasi war eine Geheimpolizei mit dem Ziel, die Macht einer Partei zu sichern. Zu diesem Zweck hat sie ganz bewusst und zielgerichtet alle Menschen verfolgt, die auf ihre Menschenrechte pochten. Sie hat das Machtmonopol auf Informationen für sich genutzt. Die westlichen Geheimdienste hingegen haben den Anspruch oder geben ihn zumindest vor, ihre Bürger vor Einschränkungen der Freiheit, etwa durch Terrorismus, zu schützen. Eine Gleichsetzung vernebelt diesen Unterschied fundamental.

Waren Sie als ehemaliger DDR-Bürger eher wenig verwundert über das Ausmaß der Datenschnüffelei der Briten und Amerikaner?
Ich war schon überrascht. Zunächst müssen aber die Fakten aufgeklärt werden, ehe ich den ganzen Vorgang bewerten kann. Wenn sich herausstellen sollte, dass Geheimdienste im Namen des Staates Grundrechte der Bürger aushöhlen, ist die Demokratie in Gefahr. Geheimdienste müssen sich auf dem Boden des Rechtsstaats bewegen. Sie sind dem Schutz der Bürger verpflichtet und dürfen keine Methoden anwenden, die ihr demokratisches Mandat übersteigen.

Könnte es sein, dass die Geheimdienste aufgrund ihrer schieren Größe, ihrer technischen Möglichkeiten und ihrer enormen finanziellen Ausstattung unkontrollierbar geworden sind? Dass sie sich aus systemischen Gründen außerhalb der Demokratie bewegen?

Diese Gefahr besteht im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Geheimdiensten immer. Die technische Entwicklung macht es nur noch extremer. Umso wichtiger sind klare internationale Regeln, damit die Grundrechte der Bürger geachtet werden. Auch in der Vergangenheit gab es ja Missbrauch durch Geheimdienste. Aber der vorgegebene Rahmen heißt Demokratie. Wenn die Dienste die Regeln systematisch missachten, müssen Staaten sich die Fragen gefallen lassen, wie sie es verantworten können, zum Schutz der Freiheit die Freiheit mit Füßen zu treten.

Benjamin Franklin soll gesagt haben: „Wer die Freiheit aufgibt für Sicherheit, der wird am Ende beides verlieren.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Ja, so ist es. Was nützt uns die Freiheit, wenn wir die Sicherheit nicht haben, und was nützt uns die Sicherheit, wenn wir die Freiheit nicht haben?

 

Aber ist es nicht naiv, Transparenz von einem Gewerbe zu verlangen, das die Geheimhaltung braucht, um überhaupt zu funktionieren?
Es geht um demokratische Kontrolle. Eines muss klar sein: Auch Geheimdienste dürfen nur im rechtsstaatlichen Rahmen agieren. Wir können nicht mit Unrechtsmethoden den Rechtsstaat zu schützen vorgeben. Die Diskussion darüber muss jetzt sehr offen, geradezu tabulos geführt werden.

Was hätte denn wohl die Stasi mit den neuen technischen Möglichkeiten gemacht?
Die Stasi hätte diese technischen Möglichkeiten nie so entwickeln können. Die Wirtschaft der DDR hinkte immer hinterher. Bis zuletzt hat die Stasi vor allem mit Karteikarte und Bleistift die Bevölkerung überwacht. Und die neuen technischen Möglichkeiten hätte sich natürlich auch die Opposition zunutze machen können. Wir haben es doch gesehen, in den arabischen Ländern, dass gerade die neue Technik ein Transportmittel für den Gedanken der Freiheit ist.

Ist es nicht absurd zu behaupten, man schütze US-Bürger, indem man Einrichtungen der EU, das Kanzleramt und die Botschaften verwanzt?
Das ist in der Tat eine absurde Begründung und in keiner Weise akzeptabel.

Freunde abhören – das geht gar nicht, hat die Kanzlerin ausrichten lassen …
… nicht nur Freunde abhören geht nicht. Das Abhören muss generell in einer Form rechtsstaatlich geregelt sein, dass die Freiheit der Bürger geschützt und nicht verletzt wird. Diese Grenze darf in einer Demokratie nicht überschritten werden. Und wenn sich ein Geheimdienst andauernd und vorsätzlich darüber hinwegsetzt, ist das in keiner Weise akzeptabel.

Wie soll es denn die von Ihnen angemahnten internationalen Regelungen geben, wenn Geheimdienste ein Instrument nationaler Interessenpolitik sind?
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung muss universal gelten. Und in Grundrechte darf nur in sehr engen Grenzen eingegriffen werden, auf präziser gesetzlicher Basis. Der Staat muss dann gewissermaßen im Auftrag der Demokratie Verfahren entwickeln, um ein noch höheres Gut zu schützen. In freien Gesellschaften werden miteinander divergierende Grundrechte gegeneinander abgewogen. Nicht zuletzt der Blick auf die DDR lehrt uns: Wenn wir den Rechtsstaat außer Kraft setzen, um den Rechtsstaat zu schützen, befinden wir uns auf dem Irrweg. Der totale Überwachungsstaat schützt uns vielleicht vor Terrorismus, nimmt uns aber die Freiheit.

Wie soll Deutschland sich da verhalten?
Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen. Unsere Standards müssen wir weltweit einfordern. Die Wirtschaft steht ja auch vor dieser Herausforderung und darf keineswegs laxe Bedingungen andernorts ausnutzen, um dort unter Verstoß gegen die Menschenrechte oder gegen Umweltauflagen billig zu produzieren oder unter Umgehung von Patientenrechten Pharmaka zu testen. Genau das müssen wir auch von den Geheimdiensten verlangen.

Was bedeutet das im schwierigen Umgang mit den USA oder Großbritannien?
Es reicht nicht, wie zum Beispiel beim Besuch von Obama, freundlich zu lächeln. Aber ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung klar benennt, welche Vorgänge sie nicht akzeptieren kann. Die Fakten müssen auf den Tisch.

Erntet der moderne Mensch vielleicht jetzt, was er selbst gesät hat? Sind die Datenskandale nur Kollateralschäden der schönen bunten Online-Welt?
Nein. Der Bürger im Rechtsstaat hat ein Anrecht auf Freiheit, und er muss zugleich geschützt werden vor dem Missbrauch der Freiheit.

Ist Edward Snowden für Sie nun ein Held oder ein Verräter?
Ich wehre mich dagegen, Menschen in Schubladen zu stecken. Eine solche Bewertung ist immer auch ein gesellschaftlicher Prozess. Die Ansichten über Snowden werden sich wahrscheinlich noch wandeln, auch bei mir.

Genau wie die über Daniel Ellsberg. Der wurde 1971 als „Verräter“ geschmäht, heute gilt er als Held der Aufklärung. Verrat kann man übrigens auch wie Bertolt Brecht buchstabieren. Der legte Wert auf die Feststellung, die Nazis hätten ihn verjagt, weil sie in ihm einen „Verräter ihrer Anschläge“ sahen – so sah er sich auch.
Brecht war eben schon ein Dialektiker.

Also: Verräter oder Held?
Ich glaube, ich würde eher bei Brecht bleiben. Aber mir fehlen die Fakten. 

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