
- Wie im Mafia-Film
In New York findet derzeit ein Prozess statt, der den türkischen Präsidenten Erdogan in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte. Es geht um die Verletzung von US-Wirtschaftssanktionen und die wahren Hintergründe für die Verfolgung der Gülen-Bewegung
Nicht nur Donald Trump, auch der türkische Präsident Erdogan hat ab dieser Woche allen Grund, einen Mann und seine Informationen vor Gericht zu fürchten. Der eine, Michael Flynn, ist Trumps ehemaliger Sicherheitsberater, der sich in der Russland-Affäre für schuldig bekannt hat und damit auch seinen früheren Chef Trump in Bedrängnis gebracht.
Der andere ist Kronzeuge in einem weit weniger beachteten New Yorker Prozess, der aber für Erdogan so desaströs zu werden droht, wie die Russland-Affäre für Trump. Dort steht der ehemalige türkische Top-Bänker Hakan Atilla wegen Missachtung der Sanktionen, die die USA gegen den Iran verhängt haben, vor Gericht. Der Kronzeuge, der gegen Atilla aussagen wird, ist Reza Zarrab – ein dubioser iranisch-türkisch-aserbaidschanischer Goldhändler.
Mit schwindelerregend komplizierten Geschäften soll Zarrab Ölimporte aus dem Iran verschleiert haben, die er über diverse internationale Banken und mit Hilfe gefälschter Dokumente bezahlt hat. Wie Flynn ist Zarrab bereit, mit den Ermittlern zu kooperieren, um damit seiner drohenden Strafe zu entkommen. Seine Informationen könnten Erdogan, mehrere seiner ehemaligen Minister und viele regierungsnahe Unternehmer schwer belasten.
Flynn auch verstrickt in geplante Gülen-Entführung
Weniger bekannt ist, dass auch Michael Flynns Türkei-Deals bei genauerer Betrachtung kein gutes Licht auf Ankara werfen. Wie US-Medien berichteten, soll Flynn verstrickt sein in Pläne zur Entführung des türkisch-stämmigen Sektenführers Fethullah Gülen, der im US-Bundesstaat Pennsylvania lebt. Es soll Absprachen gegeben haben, wonach Gülen anschließend den türkischen Behörden überstellt werden sollte. Erdogans Regierung hatte noch in Putschnacht Gülen als Drahtzieher des Putschversuches im Sommer 2016 ausgemacht.
Sollte Flynn von Sonderermittler Robert Mueller auch hierzu vernommen werden, könnten diese Details die türkisch-amerikanischen Beziehungen empfindlich belasten.Das könnte sich Erdogan in seiner zunehmenden politischen Isolation kaum leisten.
Erdogans Sohn belastet
Die Affäre Zarrab ist eigentlich nicht neu. Sie leitete eine folgenschwere Wendung in der Geschichte der modernen Türkei ein. Der Geschäftsmann wurde zunächst Ende 2013 in der Türkei verhaftet. Im Schleppnetz der Ermittlungen landeten auch die Söhne von drei damaligen Ministern in Untersuchungshaft. Man warf den herrschenden Familien vor, gigantische Bestechungssummen akzeptiert zu haben.
Auch Erdogans Sohn Bilal war den Ermittlungsbehörden ins Netz gegangen. Im Internet tauchten Mitschnitte mehrerer Telefongespräche auf, die Erdogan am Tag der Verhaftungen mit seinem Sohn führte. Darin warnt der damalige Ministerpräsident Bilal vor der Polizeiaktion und weist ihn an, das Geld in seiner Wohnung vorsichtshalber in Sicherheit zu bringen. Zunächst behauptete Erdogan, die Mitschnitte seien gefälscht. Den Verdacht konnte er jedoch nicht entkräften. Heute heißt es nur noch, dass sie illegal aufgezeichnet und daher als Beweismittel nicht zulässig seien.
Der politische Schaden für Erdogan war immens. Immer tiefer verstrickte sich die AKP-Führung in Widersprüche, und reagierte schließlich mit der längst dokumentierten Brutalität und Aggression. Quasi über Nacht wurden Polizisten und Staatsanwälte, die mit der Akte Zarrab in Berührung gekommen waren, gefeuert und mit Berufsverbot belegt. Diejenigen unter ihnen, die sich nicht rechtzeitig ins Ausland absetzen konnten, wurden später inhaftiert. Ihnen wird heute Mitgliedschaft in der Terrororganisation Fetö vorgeworfen.
Anlass für politische Säuberungen
Fetö steht für „Fethullah Gülen Terrororganisation“, eine angeblich im Untergrund agierende Organisation des Sektenführers Gülen aus Pennsylvania. Im Rückblick wird klar, dass es dieser flächendeckende Korruptionsfall war, der Erdogan dazu motivierte, Angriff als die beste Strategie der Selbstverteidigung zu wählen. Plötzlich sprachen er, die türkische Regierung und die gleichgeschalteten Medien von einer bis dahin unbekannten „Terrororganisation Fetö“. Und Erdogan begann, im Windschatten der angeblichen Bekämpfung dieser „Terrororganisation“, sich seiner politischen Gegner in den eigenen Reihen zu entledigen.
Der gescheiterte Putschversuch hat Erdogans Feldzug nur noch neuen Treibstoff geliefert. Die Verhaftungswellen, denen zehntausende Menschen, tausende Soldaten, Polizisten, Juristen, hunderte Journalisten und einige Dutzend Abgeordnete zum Opfer fielen, seien notwendig, um dem Terror Einhalt zu gebieten, hieß es. Terroranschläge, die paradoxerweise genau diese Gruppen zum Ziel hatten – auch alles Machenschaften der Fetö. Selbst vor ausländischen Regierungen machte Erdogan nicht mehr Halt, indem er argumentierte, Deutschland, das es gewagt hatte, die Türkei zu kritisieren, stehe ebenfalls unter dem Einfluss der Fetö.
So lässt sich ziemlich genau datieren, wann die systematische Demontage des einst halbwegs rechtsstaatlichen und demokratischen Systems der Türkei begann. Es begann mit dem Fall Zarrab.
USA bleiben unbeirrt
Die USA haben es im bevorstehenden Prozess jedoch auf den Bankmanager Atilla abgesehen. Sanktionsverletzungen gelten in Washington keineswegs als Kavaliersdelikt. Wie ernst es die US-Regierung damit meint, das belegte einst schon der Fa Manuel Noriega in den 1980er Jahren. Der General und Drogenhändler aus Panama musste seine letzten 28 Jahre in einem US-Gefängnis verbringen, weil er den USA in die Quere gekommen war. Jetzt werfen US-Staatsanwälte den damaligen Politikern in der Türkei vor, die windigen Ölimporte und die Sanktionsmissachtung Attilas gedeckt zu haben. Gegen den Ex-Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und weitere sechs Personen liegt mittlerweile ein US-Haftbefehl vor.
Erdogan versucht mit allen Mitteln, den Prozess in New York aus dem Ruder laufen zu lassen. Zunächst forderte Ankara die USA auf, die Beweismittel auszuhändigen – angeblich, um sie auf ihre Echtheit zu prüfen. Türkische Amtsträger forderten zudem jahrelang von US-Vertretern, die Ermittlungen einzustellen und Zarrab gehen zu lassen. Erdogan selbst telefonierte dazu mehrmals mit Barack Obama und auch mit Trump. Alles ohne Erfolg.
Erdogans jämmerliche Vertuschungsversuche
Erdogan griff weiter in die Trickkiste und stört sich bis heute nicht an der fadenscheinigen Wirkung seiner jämmerlichen Vertuschungsversuche. Kürzlich wurden türkische Gesetze dahingehend geändert, dass Erdogan einen zuvor verhafteten US-amerikanischen Geistlichen gegen Gülen und Zarrab tauschen könnte. Vergangene Woche erließ ein türkischer Staatsanwalt Haftbefehle gegen Zeugen des US-Prozesses. Er ermittelt nebenbei auch gegen die US-Staatsanwälte und ihre Mitarbeiter wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation – gemeint ist selbstverständlich Fetö.
Der Prozess in New York sei politisches Theater, tobt Erdogan, und mutmaßt, dass die USA diesen dazu benutzten, um die Türkei und deren Wirtschaft in Schieflage zu bringen. Erdogan reitet damit kühn auf einer Welle anti-amerikanischer und anti-westlicher Sentiments, die sich in der türkischen Bevölkerung seit geraumer Zeit Bahn gebrochen haben. Türkische Medien behaupten ohnehin, dass hinter dem Putschversuch nicht nur Gülen, sondern auch die CIA stecke, freilich ohne je irgendwelche Beweise vorzubringen.
Bereit zum Äußersten
Es ist zu vermuten, dass Erdogan bis zum Äußersten gehen wird, um sich zu verteidigen. Dass er dabei vor keinem Tabu zurückschreckt, ist längst bekannt. So schlug er am vergangenen Freitag keineswegs zufällig die Gründung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt vor. Also just an dem Tag, an dem aus Washington zu hören war, dass sich die Trump-Regierung anböte, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Im New Yorker Gerichtsprozess ist unterdessen noch kaum etwas passiert. Kleinigkeiten wie die, dass der damalige türkische Wirtschaftsminister Bestechungsgeld in Höhe von 50 Milllionen US-Dollar angenommen habe, wurden bisher nur in Nebensätzen erwähnt. Dass Erdogan darüber im Bilde war und die Aktion sogar politisch gebilligt habe, ebenso. Der Richter sprach aber auch von der Existenz eines „eventuell folgenschweren Telefonmitschnittes“, dessen Echtheit noch untersucht werde.
Erdogans Nerven, soviel ist sicher, dürften bis zum Jahresende blank liegen. Es ist nicht zu erwarten, dass der ehrgeizige Karrierepolitiker reumütig seinen Amtssitz räumen wird, bloß weil ein paar weitere skandalöse Intrigen und Machenschaften aktenkundig werden. Zu befürchten ist vielmehr, dass er in seinem Wahn noch viel größeren politischen und wirtschaftlichen Flurschaden in der Türkei anrichten wird.