Angela Merkel - Das Ende von Amt und Müdigkeit

Statt auf die FDP und Christian Lindner einzuprügeln, sollte man ihn zu seinem Mut gegen Angela Merkel beglückwünschen. Was Lindner mit seinem Nein begonnen hat, könnte nun die SPD vollenden

Wer bringt Angela Merkel den Verzicht bei? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Volkssedierung. Was für ein Wort. Und offenbar nicht nur ein Wort. Sondern ein Lehrfach, früher in der DDR. Das schreibt jedenfalls der Kollege André Mielke in der Berliner Zeitung. Er sei in seinem Studium am Roten Kloster in Leipzig in diese Techniken eingewiesen worden als angehender Journalist.

Angela Merkel, so insinuiert sein kluger und stilistisch erquickender Text, muss wohl auch die eine oder andere Vorlesung in Volkssedierung besucht und belegt haben. Wenn man Mielke richtig versteht, dann hat die Kanzlerin mit ihrer einlullenden Art aus ganz Deutschland in den vergangenen zwölf Jahren eine große DDR gemacht. Gelernt ist gelernt. Vielleicht begehren deswegen die Brüder und Schwestern im Osten der Republik so auf. Sie haben schlicht und einfach ein Déjà-vu.

Doch Merkel in ihrem Lauf halten weder Wahl noch Lindner auf. Sie sei nicht sauer, hat sie nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gesagt. Sie sei „bedächtig“. Ja, ja, war man geneigt zu murmeln, und schwer wurden schon wieder die Augenlider und bleierne Müdigkeit drohte Besitz vom Zuschauer zu ergreifen.

Die Moderatorin ist das personifizierte Problem

Es ist schwer, sich gegen diese Sedierung Merkels zu feien. Es fühlt sich ja auch so gut an, so wohlig, so geborgen. Wie damals im muckeligen Osten. Wer sich allerdings der  sirenenhaften Sedierung der Kanzlerin widersetzt wie bei Homer die Matrosen von Odysseus, der kommt nicht umhin zu erkennen, dass sie von der maßvollen und angenehm gemäßigten Moderatorin ihrer Anfangsjahre zu einem personifizierten Problem geworden ist. Gegen den Mief der späten Angela Merkel war das Deutschland des späten Helmut Kohl ein Sauerstoffzelt.

„Frische Luft“, wünscht sich deshalb auch der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer-AG Mathias Döpfner in der Bild und verteidigt zu Recht FDP-Chef Christian Lindner. Lindner, ob nun geplant oder spontan, hat sich gegen Merkels Sedativum immunisiert und hat aufrechten Ganges und für seine Überzeugungen der Versuchung widerstanden, für Kompromisse, die nicht mit den Prinzipien der Liberalen vereinbar sind, einen Rockzipfel von Merkels Machtmantel halten zu dürfen. Dass er dafür von einer breiten Presse-Phalanx zum Paria erklärt wird, schmälert die Dimension seiner mutigen Tat nicht. Und den Rückhalt in der für ihn entscheidenden Klientel übrigens auch nicht. Im Gegenteil.

Schröder äußerte sich redlicher als Merkel

Angela Merkel wirkt inzwischen wie Gerhard Schröder nach der Wahl 2005. Der SPD-Kanzler wollte damals auch nicht einsehen, dass es für ihn vorbei ist. Übrigens hatte er auch vorher einen wichtigen Satz zum entscheidenden Thema jener Zeit mit dem Verb „schaffen“ gesagt, allerdings redlicherweise einen konditionierten. „Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, dann haben wir weder verdient wiedergewählt zu werden, noch werden wir wiedergewählt.“ Was dann auch trotz eines fulminanten Finales von Schröder im Wahlkampf auch so kam.

Merkel hat auch einen Satz mit dem Verb „schaffen“ und dem Subjekt „wir“ formuliert, auch im Zusammenhang mit dem entscheidenden Thema dieser Zeit. Bei ihr war nur weniger klar, wer mit „wir“ gemeint war. Und er war nicht konditioniert. Aber der Satz hat eben deshalb viele Wähler in ihrem Wahlverhalten konditioniert. Und bei der Wahl davon abgehalten, Merkel zu wählen, weshalb sie und die CDU/CSU so viel verloren haben gegenüber der Bundestagswahl vier Jahre vorher wie keiner ihrer Vorgänger im Amt.

Ein doppelter Verzicht ist notwendig

Damals, 2005, oblag die Aufgabe Franz Müntefering, Gerhard Schröder mit den Machtmöglichkeiten eines Parteivorsitzenden sachte und behutsam beiseite zu schieben und die Große Koalition möglich zu machen. Diesmal ist es eine doppelte Aufgabe. Jemand von Rang in der SPD muss dem Wahlverlierer Martin Schulz klar machen, dass er nach dem Wahldesaster und dem kategorischen Nein zu einer Großen Koalition dem im Wege steht, was jetzt ansteht: nämlich die Sondierung einer abermaligen Großen Koalition, in der die SPD für den Verzicht ihres Vorsitzenden den Verzicht Angela Merkels im Gegenzug verlangte.

Dann ist jemand von der CDU am Zug.

 

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