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(picture alliance) Der Ruf nach einer Rückkehr zur D-Mark wird lauter

Europamüdigkeit - Zurück zur D-Mark?

In Deutschland greift die Euromüdigkeit um sich, und der Ruf nach der D-Mark wird immer lauter. Ein Austritt Deutschlands aus der Gemeinschaftswährung wäre aber ein historisches und ökonomisches Desaster, das am Ende mehr kostete als die gefürchtete Transferunion

Erst waren es Griechenland, Portugal und Irland. Nun ist es Italien. Bald dürfte Spanien folgen. Ein Euroland nach dem anderen taumelt in die Staatsschuldenkrise. Nur dank breiter und zunehmend größer werdender Rettungsschirme lässt sich der Bankrott einzelner Euroländer noch verhindern. Unsicher bleibt, ob die Hilfe nachhaltig greift. Gewiss ist nur, dass Deutschland den ewigen Zahlmeister zu spielen hat. Ohne seine stetigen Milliardenhilfen würde der Euroraum auseinanderbrechen.

Wen wundert es da, dass hierzulande eine Euromüdigkeit rasch um sich greift. Mehr als 70 Prozent der Deutschen haben momentan „weniger“, „kaum“ oder „gar kein Vertrauen“ in die Gemeinschaftswährung. Der Ruf nach einer Rückkehr zur D-Mark wird lauter.

Der Euro war in Deutschland von Anfang an ein ungeliebtes Kind, die Folge einer ungewollten Schwangerschaft, von Frankreich aufgedrängt als Gegenleistung für die französische Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung.

Viele Deutsche wollten den Euro von Geburt an los werden, einige haben – einem Vaterschaftstest ähnlich – gegen den Bastard und dessen Folgekosten vor Gericht geklagt: bis dato vergeblich. Die europäische Staatsschuldenkrise scheint nun eine neue Chance zu bieten, den mittlerweile in der Pubertät steckenden und entsprechende Sorgen bereitenden Jugendlichen los zu werden. Ein Austritt Deutschlands aus dem Euro und eine Rückkehr zur D-Mark wären jedoch ein Desaster von historischem Ausmaß, sowohl politisch wie ökonomisch.

Erstens bieten weder der EU-Vertrag noch die Eurogesetze eine rechtliche Handhabe für einen Austritt Deutschlands aus der Währungsunion. Genauso, wie geborene Kinder nicht ungeschehen gemacht werden können, gibt es keinen Plan B, der den Euro beseitigt. Wie die Ehe ist der Euro auf Ewigkeit ausgelegt. Anders als in der Ehe hat man bei ihm bewusst auf ein Scheidungsrecht verzichtet, um den Kapitalmärkten zu signalisieren, dass Austritt und Ausschluss unmöglich sind. Das Ewigkeitsgelöbnis bot Anlegern somit von Anfang an ein Höchstmaß an Sicherheit. Nur deswegen kam es zu den niedrigen Risikoprämien für Eurokredite, von denen alle Schuldner in den Euroländern profitierten – auch jene in Deutschland.
Eine Austrittsregel hätte von Beginn an zu Spekulationen an den Märkten und höheren Risikoprämien geführt. Genau das würde nun auch bei einer Rückkehr Deutschlands zur D-Mark geschehen. Die Märkte würden darauf spekulieren, dass es früher oder später doch wieder zu einem neuen Währungsverbund kommen könnte. Oder darauf, dass auch Deutschland aufgrund seiner hohen Verschuldung irgendwann seine heimische Währung abwerten müsste. All das würde für die D-Mark die Kreditkosten nach oben treiben – so oder so.

Zweitens könnte Deutschland aus der EU austreten, was seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags am 1. 12. 2009 möglich wäre. Dann müsste es automatisch auch den Euroraum verlassen. Das aber wäre für Deutschland der ökonomische Gau. Eine Absage an Europa würde bei den Nachbarn die schlimmsten Ängste eines national isolierten Großdeutschlands wiedererwecken. Es wäre wohl das Ende der deutsch-französischen Freundschaft und der Anfang einer nationalen Misstrauenspolitik sowohl bei den westlichen wie auch östlichen Nachbarn.

Drittens würde eine Wiedereinführung der D-Mark hohe Umstellungskosten verursachen. Nur zur Erinnerung: Dem Euro ging eine mehrjährige Übergangsphase voran. Genauso müssten bei einer Rückkehr zur D-Mark zunächst neue Noten gedruckt, Münzen geprägt, Umtauschkurse fixiert und eine landesweite Versorgung mit Bargeld zum Stichtag X sichergestellt werden. Das wären technische Herausforderungen, die sich jedoch mit viel Aufwand und Kosten bewältigen ließen.

Genauso schwierig, aber ebenso lösbar, wäre es, die Forderungen und Verbindlichkeiten Deutschlands innerhalb des Europäischen Sytems der Zentralbanken mit der gemeinsamen EZB als Kern zu entflechten. Würde Deutschland sein Stammkapital zurückerhalten? Was passiert mit den faulen Krediten, die sich seit Mai 2010 in steigendem Maße in den Büchern der EZB befinden: Welchen Teil müsste Deutschland übernehmen?

Schon kritischer wäre es, das Vertrauen und die Reputation der wieder autonom agierenden Deutschen Bundesbank und ihrer eigenständigen Geldpolitik wiederherzustellen. Welche Risikoprämien müssten D-Mark-Schuldner an Kreditgeber, Anleger und Investoren bezahlen? Viele erwarten, dass sich Deutschland günstiger als heute Kredite beschaffen könnte. Das mag sein. Aber nicht auszuschließen ist, dass es auch ganz anders kommt und die neue D-Mark erst um Geldgeber aus aller Welt werben muss.

Viertens würde in einem Szenario, in dem Deutschland aus dem Euro austritt, die Statik des gesamten EU-Konstrukts bedroht. Wenn Deutschland bei der Währung seinen eigenen Weg geht, fühlten sich andere Länder nicht mehr an die EU-Verträge gebunden. Wieso auch? Eine Ära des Rosinenpickens begänne: Da, wo es kostet, geht man raus, aber da, wo man profitiert, will man drinbleiben. Es käme zu einer Renationalisierung der Wirtschaftspolitik und einem Zusammenbruch des Binnenmarkts. Deutsche Produkte würden gegenüber heimischen Erzeugnissen diskriminiert. Vielleicht nicht mit Zöllen oder direkten Abgaben, aber die Waffenkammer des Protektionismus ist vielfältig.


Der Zusammenbruch des gemeinsamen Binnenmarkts würde das auf den Außenhandel fixierte Deutschland besonders hart treffen. Die wirtschaftlichen Vorteile des europaweit grenzenlosen Warenhandels, der Arbeitnehmerfreizügigkeit und des freien Kapitalverkehrs haben eine effizienzsteigernde, kostenminimierende europaweite Arbeitsteilung in den vergangenen Dekaden erst möglich gemacht. Wie stark deutsche Firmen innerhalb Europas mittlerweile vernetzt und verbunden sind, lässt sich bei Streiks gut erkennen. Legen die Franzosen mal wieder die Arbeit nieder, kommt es in Deutschland rasch zu Produktionsschwierigkeiten, weil Vorleistungen oder Zulieferteile knapp werden.

Der gemeinsame Binnenmarkt kommt allen EU-Volkswirtschaften zugute. Zwar profitieren nicht alle gleichermaßen stark, aber alle haben seit ihrer Zugehörigkeit zur Wirtschafts- und Währungsunion den durchschnittlichen Lebensstandard verbessern können. Das gilt auch für Deutschland. Denn erst der gestiegene Wohlstand in den anderen EU-Ländern hat jene Kaufkraft erzeugt, mit der dann wiederum auch deutsche Produkte gekauft werden konnten. Der absolute Wert der deutschen Warenausfuhr in die Euroländer hat sich von 230 Milliarden 1999 auf fast 400 Milliarden 2010 nahezu verdoppelt.

Fünftens wäre ein Austritt Deutschlands aus der Währungsunion der Tod des Euros. Warum sollten Frankreich, die Niederlande oder Österreich nicht dem deutschen Vorbild folgen, ja, vielleicht folgen müssen, weil sie ihrerseits viel zu stark von Deutschland abhängig sind? Wer würde den „Euro light“ ohne Deutschland noch haben wollen? Wie hoch wohl wären die Risikoprämien, die jene verlangten, die den Rest-Euroländern Geld leihen? Die Zinskosten würden für die ohnehin schon kaum mehr kreditfähigen peripheren Länder noch einmal kräftig weiter nach oben schnellen. Damit würde automatisch deren Niedergang beschleunigt. Es genügt, sich an den Zerfall der DDR zu erinnern, um zu erkennen, was es heißt, wenn ein Staat bankrott und eine nationale Wirtschaft vor die Hunde geht.

Sechstens sollte niemand ernsthaft glauben, dass sich Deutschland in einem auseinanderbrechenden Europa entspannt zurücklehnen und ungeschoren davonkommen kann. Von einer politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Implosion der übrigen Euroländer wären auch deutsche Gläubiger direkt und unmittelbar betroffen. Sie müssten alle noch bestehenden heutigen Forderungen gegenüber den Schuldnern in den Rest-Euroländern mehr oder weniger stark abschreiben. Das betrifft dann eben nicht nur griechische, irische oder portugiesische Schuldner. Es würde zu einem Dominoeffekt kommen, der früher oder später auch Spanien, Italien, wohl auch Belgien mitreißen würde. Das könnten auch an sich gesunde deutsche Banken nicht alleine bewältigen, weswegen neue Rettungsschirme für den Finanzsektor notwendig würden. Am Ende könnte die Rückkehr zur DMark viel teurer werden als die jetzt so schrecklich gefürchtete Transferunion. Denn zur Rettung der Finanzinstitute kämen noch weitere Schutzmaßnahmen – auch militärische –, die finanziert werden müssten, um eine deutsche Insel der Glückseligkeit vor einem Ansturm aus dem Süden abzuschotten.

Siebtens vergessen die D-Mark-Nostalgiker immer, dass sich seit der Euroeinführung die Weltwirtschaft radikal geändert hat. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Es gibt keine Rückkehr ins alte westdeutsche Paradies. Die Gütermärkte sind heutzutage zu stark vernetzt, die Finanzsysteme zu eng verbunden. Milliarden von Menschen in Südostasien und Lateinamerika wollen teilhaben an ökonomischer Prosperität. Sie sind bereit, dafür lange und hart zu arbeiten. Um im globalen Wettstreit ökonomisch mithalten zu können, bedarf es entweder offener Märkte oder eines riesigen eigenen Binnenmarkts. Letzteren können einzig die USA und China, in Teilen Indien, Russland und Brasilien vorweisen. Alle anderen sind auf offene Märkte angewiesen, um die Enge des Heimatmarkts zu überwinden.

Gerade das Geschäftsmodell „Deutschland“ ist in existenzieller Weise von der weltweiten Öffnung nationaler Märkte abhängig. Eine Rückkehr zu nationaler Orientierung ist für Deutschland weder politisch klug noch ohne ökonomischen Wohlstandsverlust machbar. Nur ein gemeinsames europäisches Vorgehen hilft Deutschland, zu den USA und China aufzuschließen. Nur so kann deren Marktmacht im Zaum gehalten werden. Nur so kann Deutschland auf eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft hoffen.

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