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(Picture Alliance) Europas Blick auf das geliebte und gefürchtete Deutschland

Ein Ire kommentiert - Deutschland hat das schlechteste Image in Europa

Auch wenn Irland gerade mit breiter Mehrheit für den EU-Fiskalpakt gestimmt hat, ist Deutschlands Image dort und in Europa schlecht – vor allem seit aus einem nationalen Schuldenproblem eine systemische Krise geworden ist. Derek Scally, Korrespondent der Irish Times, über eine problematische Nachbarschaftsverständigung

Vor knapp zehn Jahren waren in Deutschland Wirtschaftsbücher in Mode, in denen prophezeit wurde, dass Deutschland dem Untergang geweiht sei. In den Talkshows verkündeten die Autoren, das Land stehe am Abgrund, und der Letzte, der es verlasse, möge bitte das Licht ausmachen. Beim Lesen stellte sich schnell heraus, dass es sich weniger um ökonomische Analysen als um populistische Traktate handelte: als Verkaufsstrategie für ihre Bücher clever, aber eher destruktiv, um notwendige Reformen anzuschieben. Deutschland hatte zwar ernsthafte strukturelle Probleme, aber es verfügte gleichzeitig über Qualitäten, die selbst meine damals boomende Heimat Irland gern gehabt hätte.

Zehn Jahre später ist aus Schwarz plötzlich Weiß geworden. Die Untergangspropheten von damals sitzen noch immer in den Talkshows. Jetzt lautet ihre Botschaft, Deutschlands ökonomische Stärke – von der sie zehn Jahre vorher nur in der Vergangenheitsform sprachen – werde von den hoffnungslos verschuldeten Peripheriestaaten der EU bedroht, denen sie gleichzeitig zum Austritt aus der Eurozone raten.

Man könnte über eine solch radikale Kehrtwende schmunzeln, wenn sie nicht so ernst genommen würde. Während deutsche Populisten besessen sind von ihren verarmten EU-Nachbarn, fürchten sich die deutschen Nachbarn inzwischen vor der größten Volkswirtschaft in ihrer Mitte. Selbst ernannte Experten in ganz Europa kritisieren entweder Deutschlands Exportstärke oder seine schwache Nachfrage. Deswegen müsse Berlin sich stärker engagieren, um die Krise zu lösen, bellt der europäische Chor einhellig. Wenn die Bundesregierung dann allerdings nur sanfte Reformvorschläge macht, kommt sofort der Vorwurf, Deutschland entdecke „sein historisches Verlangen nach Dominanz wieder“, wie ein irisches Boulevardblatt kürzlich schrieb. Auch fünf Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise finden vor allem populistische Szenarien ein gewaltiges Echo. Dem Hakenkreuz auf Seite eins einer griechischen Zeitung am Montag folgt dienstags unweigerlich die fauchende Antwort der Bild.

Wie konnte es so weit kommen? Es scheint, dass die moderaten Teilnehmer der Debatte spätestens zu dem Zeitpunkt über Bord geworfen wurden, als aus nationalen Schuldenproblemen eine systemische Krise wurde. Seitdem fokussiert sich Europas Blick auf Deutschland, den gleichsam geliebten, aber auch gefürchteten Rettungsanker. „Was will Deutschland?“, lautet seither der Refrain der Europahymne.

Erfahren Sie auf Seite zwei, welches Bild der Rest Europas von Deutschland hat...

Das Bild, das der Rest Europas von den Deutschen hat, bleibt dabei seltsam undifferenziert: Entweder halten sie sie für unsichere Giganten oder für größenwahnsinnige Halbstarke. Die Deutschen tragen aber eine Mitschuld daran, weil sie zwar hervorragend darin sind, ihre eigenen Probleme zu lösen, sich aber gleichzeitig unfähig zeigen, mit ihren Nachbarn zu kommunizieren.

Bei Besuchen in Irland muss ich ständig Deutschlands Finanzpolitik erklären: Wenn die Leute hören, dass der Fiskalpakt vor allem dazu da ist, den Politikern die Möglichkeit zu nehmen, immer neue Schulden zu machen, reagieren sie verständnisvoll bis enthusiastisch auf die deutschen Vorschläge.

Ein zusätzliches Problem für Deutschland in der Krise um die Gemeinschaftswährung liegt darin, dass in Europa die Ansicht weit verbreitet ist, die Deutschen seien prinzipiell gegen Rettungspakete und staatliche Konjunkturspritzen, um die eigene wirtschaftliche Stärke zu verteidigen und anderen zu schaden.

Deutschlands schlechtes Image wird zusätzlich dadurch verschlimmert, dass viele Leute in Europa die Prinzipien der keynesianischen Wirtschaftspolitik kennen und dadurch Äußerungen und Artikel einflussreicher angelsächsischer Ökonomen eher zur Kenntnis nehmen und besser verstehen. Sehr wenige haben dagegen jemals etwas von den Traditionen deutscher Wirtschaftspolitik gehört. Sie wissen nicht, was Ordoliberalismus ist oder was genau die soziale Marktwirtschaft in der aktuellen Situation bewirken soll.

Jedes Mal, wenn ich zu diesen Themen Artikel schreibe, werde ich mit positiven Reaktionen aus Irland überflutet, die sich in der Aussage zusammenfassen lassen: „Endlich verstehe ich die Deutschen.“ Journalistisch ist das befriedigend, aber wie kann es sein, dass es Deutschland nicht gelingt, den Nachbarn sein traditionelles ökonomisches Fundament zu erklären, auf dem seine wirtschaftspolitischen Entscheidungen beruhen?

Paul Samuelson, der erste amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger, pflegte zu sagen, dass Gott den Ökonomen zwei Augen gegeben habe, und es an ihnen sei, beide zu benutzen. Neben vielen anderen Dingen ist die Eurokrise auch die Auseinandersetzung zweier ökonomischer Traditionen. Momentan werfen sie sich gegenseitig eine eingeschränkte Sichtweise vor, während sie sich selbst das andere Auge zuhalten. Deutschland muss seine Politik viel offensiver verkaufen, ansonsten trägt es selbst die Schuld daran, wenn seine Vorschläge für eine europäische Wirtschaftspolitik missverstanden oder falsch interpretiert werden.

Erfahren Sie, welche drei Massnahmen Deutschland ergreifen muss...

Um die Debatte zu versachlichen, müsste Deutschland drei Maßnahmen ergreifen: Erstens mithilfe einer Kommunikationsoffensive die Populisten in Europa entzaubern, die sich durch das Schüren von Angst vor Deutschland zu profilieren versuchen. Deutschland hat während der Krise einige Schläge in der europäischen Öffentlichkeit einstecken müssen. Es steht aber immer noch beeindruckend solide da mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze, die auf dem ganzen Kontinent weiterhin großen Respekt genießt als ehrliche Vermittlerin. Sie sollte ihre Stärken ausspielen und in klaren, verständlichen, pathosfreien Sätzen die Verdienste, aber auch die Grenzen der deutschen Europapolitik und ihre Vision zur Zukunft der EU erläutern.

Zweitens muss man sich mit den antieuropäischen Populisten in Deutschland auseinandersetzen, indem man die Wähler mit der Wahrheit konfrontiert. Die Eurokrise müsste eigentlich jedem verdeutlicht haben, dass wir in einer Ära vernetzter Volkswirtschaften leben. Trotzdem weigern sich immer noch viele zu akzeptieren, dass in einer Währungsunion das Verhalten jedes einzelnen Mitglieds immer auch Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der anderen hat.

Es stimmt ja: Einige Mitglieder der Eurozone haben verrückt gespielt auf Kosten der anderen. Einige Banken haben ihre Kredite zu sorglos vergeben, andere Geldhäuser sich gleichzeitig rücksichtslos mit billigem Geld versorgt. Aber jeder, der auch nur ansatzweise das Prinzip der doppelten Rechnungslegung versteht – die Guthaben des einen sind die Schulden des anderen –, sollte begreifen, dass es in einer Währungsunion keine Alternative zu gegenseitiger Solidarität gibt. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn deutsche Politiker diese Verbindungen öffentlich herausstellten und in einer Regierungserklärung der Satz fiele: „Wir helfen den Iren, um deutsche Sparguthaben zu sichern, die ihre Banken dort unvorsichtigerweise angelegt haben.“

Drittens müssen die europäischen Institutionen reformiert werden. Angela Merkels größtes Verdienst war es, dass sie die Krise genutzt hat, um die europäische Integration voranzutreiben und die Reform der Maastrichtkriterien und den Fiskalpakt auf die Tagesordnung zu bringen. Aber genauso wichtig wäre eine Reform des EU-Parlaments, der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs. Ansonsten sind die Wähler nicht bereit, weitere Souveränitätsrechte nach Brüssel abzugeben, mangels ausreichender demokratischer Legitimation der EU.

Deutschland sollte das Momentum der Krise nutzen und diese Maßnahmen schnell ergreifen. Andernfalls könnte Berlin zwar seinen Fiskalpakt bekommen, aber dabei so viel Porzellan zerschlagen haben, dass die Umsetzung zum Scheitern verurteilt wäre.

Es wäre eine Tragödie, wenn Historiker später über diese Krise sagen würden: Der Kontinent hat kurzfristig seine Gemeinschaftswährung gerettet, aber sich seine gemeinsame Zukunft verbaut.

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