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(picture alliance) Judenfeindlichkeit gibt es noch heute in der Linken

Linkes Denken - Zwischen Antisemitismus und Israelkritik

Die Linke und Israel – sie verbindet nach wie vor ein schwieriges Verhältnis. Aus anfänglicher Euphorie entwickelte sich Misstrauen, das in seiner radikalsten Ausprägung antisemitischen Mustern folgte.

Der Antizionismus hat innerhalb der Linken nach wie vor Konjunktur. Dabei war die nach dem Zweiten Weltkrieg im Entstehen begriffene Neue Linke dem Staat Israel zunächst äußerst positiv gegenüber eingestellt. Sozialdemokratie, linksliberale und christliche Linke setzten sich in den 50er und 60er Jahren an die Spitze einer Israel-Solidarität, die gleichzeitig auch einer innenpolitischen Oppositionshaltung gegenüber dem restaurativen Adenauer-Staat verschrieben war. Israel stieg nach Ansicht großer Teile der Linken plötzlich zu einem „antikolonialistischen Pionierstaat“ auf und wurde nicht zuletzt aufgrund der sich dort etablierenden Kibbuz-Bewegung zu einem sozialistischen Vorzeigestaat stilisiert, mit dem sich linke Hoffnungen und Visionen nach gesellschaftlich organisierten Alternativmodellen verbanden. In Folge dieser Israelfixierung geriet die Situation der Palästinenser völlig aus dem Blickfeld: „Nahostwahrnehmung war Israelwahrnehmung.

Noch zu Beginn des Sechs-Tage-Krieges Anfang Juni 1967 kam es zu zahlreichen pro-israelischen Solidaritätsbekundungen von Seiten linker Gruppierungen. Israel setzte sich schließlich militärisch gegen einen zahlenmäßig überlegenen arabischen Gegner, der von der Sowjetunion ausgerüstet worden war, durch und entfachte eine pro-israelische Begeisterung in bürgerlich-konservativen Kreisen der Bundesrepublik. Israel schien sich endgültig im Koordinatensystem des Kalten Krieges auf Seiten der USA zu positionieren und folglich Teil des Westens geworden zu sein. Die außerparlamentarische Linke quittierte dies mit der Aufkündigung des israelfreundlichen Konsenses. 

Eine gegen die Elterngeneration bewusst ausgeübte pro-jüdische, also pro-israelische Positionierung hatte nun ihre oppositionelle Sprengkraft verloren. Wenn Springer für Israel sei, dann müsse man als Linker nun dagegen sein, lautete das neue Credo.  Israel schien in den Augen der Neuen Linken nun Teil des „US-Imperialismus“ zu sein und imperiale Ansprüche zu verfolgen. Die philosemitische Mär vom Juden als dem besseren Menschen fiel in sich zusammen.

Der Nahost-Fokus der entstehenden Neuen Linken richtete sich nun fast ausschließlich auf die Palästinenser. Die sich 1964 konstituierende Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) inszenierte sich als Teil einer sozialrevolutionären Befreiungsbewegung, die sich innerhalb eines globalen Kontextes mit nationalen Bewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika solidarisch erklärte und ihre antizionistische Agitation in einen imperialismus-theoretischen Zusammenhang stellte. 

An der „Heimatfront“ solidarisierte sich die Neue Linke mit in der Bundesrepublik lebenden arabischen Al-Fatah-Anhängern und übersah scheinbar kritiklos Aussagen der palästinensischen Nationalcharta, in der die Nichtanerkennung des israelischen Existenzrechtes zum Ausdruck kam. Die Israelkritik der Neuen Linken verdichtete sich sukzessive zu einer sich radikal zuspitzenden antizionistischen Weltanschauung, die auch eine Gleichsetzung von Zionismus mit dem Nationalsozialismus beinhaltete.

Die Fatah stieß mit ihrer Strategie eines „Volksbefreiungskrieges“ antiimperialistischer Spielart auf offene Ohren der SDS-Linken. Zusammen mit anderen Gruppierungen  flankierte beispielsweise der SDS den Staatsbesuch des israelischen Außenministers Abba Ebans im Februar 1970 mit den Worten: „Der Besuch Abba Ebans, der als Vertreter eines rassistischen Staates in die Bundesrepublik reist, muss zu einer Demonstration und zum Protest gegen den zionistischen, ökonomisch und politisch parasitären Staat Israel und seine imperialistische Funktion im Nahen Osten werden [...]. Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde Israel.“ 

Lesen Sie mehr über den antizionistischen Terrorismus in der Linken.

Die terroristische Dimension der antizionistischen Propaganda

Der sich innerhalb der Neuen Linken zunehmend verschärfende Ton gegenüber Israel, der in seinen bittersten antizionistischen Zuspitzungen antisemitischen Mustern folgte, nahm Ende der 1960er Anfang der 1970er nochmals an Deutlichkeit zu. Aus Agitation wurde Aktion. Aus scharfer Rhetorik schließlich terroristische Wirklichkeit. Am 9. November 1969, also am Jahrestag des von den Nationalsozialisten höhnisch als „Reichskristallnacht“ bezeichneten Judenpogroms, das die systematische Vernichtung der europäischen Juden einleiten sollte, wurden die antizionistischen Phantasien zur antisemitischen Realität.

Die Schwarzen Ratten/Tupamaros West-Berlin, eine Vorgängerorganisation der Bewegung 2. Juni, verübten Angriffe auf jüdische Einrichtungen. So wurden in Westberlin mehrere jüdische Mahnmale beschmiert und eine Brandbombe im jüdischen Gemeindehaus deponiert, die allerdings noch rechtzeitig entschärft werden konnte.  Das Bekennerschreiben unter dem Titel „Schalom + Napalm“, das bereits vier Tage später in der Szene-Zeitschrift Agit 883 erschien, offenbarte neben den typischen antizionistischen Argumentationsmustern antiimperialistischer Prägung (sekundär antisemitische Argumentationen, Diffamierung Israels als Aggressor, Vergleiche mit dem Nationalsozialismus) einen Aufruf zum bewaffneten Kampf.

In dem Bekennerschreiben heißt es: „Am 31. Jahrestag der faschistischen Kristallnacht wurden in Westberlin mehrere jüdische Mahnmale mit ‚Schalom und Napalm’ und ‚El Fatah’ beschmiert. Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert. Beide Aktionen sind nicht mehr als rechtsradikale Auswüchse zu diffamieren, sondern sie sind ein entscheidendes Bindeglied internationaler sozialistischer Solidarität. Das bisherige Verharren der Linken in theoretischer Lähmung bei der Bearbeitung des Nahostkonflikts ist Produkt des deutschen Schuldbewusstseins: ‚Wir haben eben Juden vergast und müssen die Juden vor einem neuen Völkermord bewahren.’ [...] Jede Feierstunde in Westberlin und in der BRD unterschlägt, daß die Kristallnacht von 1938 heute täglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen wiederholt wird. Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.“

Bestand die antizionistische Argumentation beharrlich darauf, dass nicht die Juden, sondern die Zionisten kritisiert würden, zeigt sich hier, wie schnell die antizionistische Rhetorik aus den Zionisten Juden macht. Waren es zu Beginn der Bekennerschreiben die Zionisten, die mit faschistischen Attributen überzogen wurden, sind es nun die „Juden“ aus denen „selbst Faschisten“ geworden sind. Das Schreiben endet schließlich mit einem Appell an die Linken-Szene, den Kampf von nun an bewaffnet zu führen. Der Weg in den terroristischen Kampf war geebnet: „ Tragt den Kampf aus den Dörfern in die Städte! Alle politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“

Die Tupamaros gingen aus Anhängern des Zentralrates der umherschweifenden Haschrebellen hervor, einer von Dieter Kunzelmann  initiierten Strömung, die sich um die Kommune I formierte und militanten und illegalen Aktionen nahe stand.  Einige Anhänger der Haschrebellen verbrachten bereits den Sommer 1969 in jordanischen Militärcamps, um sich terroristisch schulen zu lassen. Zurück in der Bundesrepublik wollte die Gruppe um Dieter Kunzelmann Gelerntes in Taten umsetzen. Kadergruppen der zerfallenen Studentenbewegungen begannen, den bewaffneten Kampf auszurufen. Der Auftakt eines solchen Kampfes begann mit einem antisemitischen Akt, einer Bombe im jüdischen Gemeindehaus. Selbst ein solch offensichtlich gegen Juden gerichtetes Ereignis schaffte es nicht, den Antizionismus in der Neuen Linken zu diskreditieren. Ganz im Gegenteil. Der Antizionismus hatte in den 1970ern Hochkonjunktur.

Die Kritik am Zionismus verdichtete sich zu einem geschlossenen Weltbild. Nach einem solchen agierte auch eine siebenköpfige deutsch-palästinensische Gruppe, bestehend aus Mitgliedern der Revolutionären Zellen (RZ), der Bewegung 2. Juni und des palästinensischen Kommandos PFLP, die im Sommer 1976 eine Verkehrsmaschine der Air France mit 257 Passagieren an Bord, darunter 83 Israelis, auf dem Flug von Paris nach Tel Aviv entführte und nach Entebbe in Uganda umleitete. In Entebbe wurden die Geiseln von ihren Entführern, darunter der Deutsche Wilfried Böse, in jüdisch und nicht-jüdisch selektiert und voneinander getrennt gefangen gehalten. Die einzige Person, die auf Seiten der Entführten ums Leben kam, war eine KZ-Überlebende. 

Das Ereignis von Entebbe verdeutlichte die Nähe des militanten Antizionismus zu rechtsgerichtetem Gedankengut. Die Neue Linke nahm schließlich Entebbe zum Anlass, die „neu-linke[n] Palästina-Solidarität massiv in Frage zu stellen“.  In Teilen der Neuen Linken setze sich langsam die Erkenntnis durch, dass der Antizionismus eine „Platzhalter-Funktion für den gesellschaftsunfähigen Antisemitismus eingenommen hatte“. Nichtsdestotrotz war der Antizionismus weiterhin zentraler Bestandteil neu-linker Nahostwahrnehmung.

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Der Libanon-Krieg 1982 als Katalysator antizionistischer Agitation

Im Zuge des israelischen Einmarschs in den Libanon – der Operation „Friede für Galiläa“ – mit dem Ziel der Vertreibung der PLO, der syrischen Armee und der Errichtung einer israelfreundlichen Regierung, entzündete sich erneut eine Nahostdebatte in der Linken. Diesmal dehnte sich die antizionistische Agitation auch auf scheinbar gemäßigtere Kreise aus.

Als es im September 1982 zu einem brutalen Übergriff in den Palästinenser-Lagern Sabra und Shatila im Libanon durch libanesische Milizen kam, den das israelische Militär nicht verhindern konnte oder wollte, verschärfte sich die Kritik gegen Israel, die anders als noch in den 1970er Jahren nun nicht mehr nur auf den linksextremen Bereich fokussiert war, sondern sich auf linksliberale Milieus ausdehnte.  Ein Aufruf zu einer Demonstration unter dem Titel „Gegen die Invasion Israels im Libanon“ sei hier exemplarisch genannt, da er die Schärfe der reaktivierten antizionistischen Rhetorik offen legte. In dem Flugblatt wird den Israelis unter anderem ein „Ausrottungsfeldzug“ unterstellt. Außerdem ist von einem „Großisrael in sicheren Grenzen“ und „Völkermord“ die Rede.  In vielen größeren Städten wie Berlin, Frankfurt am Main, München, Köln, aber auch in etlichen kleineren Städten, fanden Kundgebungen und Demonstrationen statt, die von Parolen wie „Völkermord“ oder „Endlösung der Judenfrage“ begleitet wurden.

Die spätere Europaabgeordnete der Grünen, Brigitte Heinrich, stellte auf einer Libanon-Demonstration am 21. August 1982 fest, dass der Zionismus Völkermord betreibe. Außerdem sprach sie sich gegen eine Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus aus und verkündete: „Genauso sind Zionismus und Judentum nicht dasselbe. Das Judentum ist eine der ältesten Religionen, die Logik des Zionismus – die Staatsdoktrin Israels – ist dagegen der permanente Krieg, sein erklärtes Ziel die Vertreibung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines Groß-Israel vom Nil bis zum Euphrat.“

Akribisch wurden hier einmal mehr die bekannten antizionistischen Ressentiments abgearbeitet und mit phantasievollen Neuschöpfungen, wie „Groß-Israel“ angereichert. In einer späteren Aussage wird eine weitere Funktion des Antizionismus deutlich: „Gerade weil wir die moralische Schuld unseres Volkes am millionenfachen Judenmord nicht zurückweisen, können wir zum Aggressionskrieg Israels gegen das palästinensische Volk nicht schweigen.“ In dieser Aussage finden sich Elemente, wie sie das Phänomen des sekundären Antisemitismus beschreibt. Die Opfer von einst werden im Zuge einer Entlastungsoffensive, die die Projektion der eigenen dunklen Geschichte auf deren Opfer zum Inhalt hat, zu Tätern erklärt.

Welch absurde Blüten eine auf die Spitze getriebene antizionistische Argumentationskette treiben kann, zeigt auch ein Blick in den sog „Grünen Kalender“ aus dieser Zeit. Der Kalender, aus dem Umfeld der Grünen stammend und in der Edition „Sonnenschein“ erschienen, kritisiert unter der Überschrift „Israel die Mörderbande“: „Jüdische Söldner bereiten die ‚Endlösung der Palästinenserfrage’ vor. [...] Angesichts der jüdischen Gräueltaten verblassen jedoch die Nazigräuel und die neonazistischen Schmierereien und nicht nur ich frage mich, wann den Juden endlich ein Denkzettel verpasst wird, der sie aufhören lässt ihre Mitmenschen zu ermorden. Was wir alle tun können ist: Boykott von Waren aus Israel. [...] Wer jedoch systematisch, wie die Juden Menschen ausrottet, ist des Völkermordes schuldig.“

Die Reaktion der Linken auf den Libanonfeldzug Israels war von einer antizionistischen Heftigkeit geprägt, die antisemitische Auswüchse annehmen konnte. Umso erstaunlicher ist deshalb der Umstand zu werten, dass innerarabische Konflikte, die sich in einer ähnlichen Intensität und in etwa zeitgleich abspielten, so gut wie keine Resonanz erzeugten oder gar Empörung hervorriefen. So schwiegen linke Israelkritiker beharrlich, als syrische Truppen unter Präsident Hafez al-Assad einen Aufstand sunnitischer Fundamentalisten niederschlugen, in dessen Verlauf amnesty international bis zu zwanzigtausend zivile Opfer zählte. 

Auch im Vorfeld des Libanon-Krieges tobte bereits ein jahrelang anhaltender Bürgerkrieg, den kritische Stimmen von links allerdings kaum zur Kenntnis nahmen. Nicht zuletzt verschloss sich die Linke vor der Tatsache, dass viele Palästinenser durch innerarabische Konflikte ums Leben kamen. Darüber hinaus muss sich die Linke fragen, warum es kaum Proteste in Bezug auf innerpalästinensische Gewalt gegen Frauen, Homosexuelle oder Dissidenten  gab? Warum also diese Zurückhaltung bei Konflikten ohne israelische Teilnahme?

Es zeigt sich, dass – verglichen mit Reaktionen bzw. Nichtreaktionen bezüglich anderer Konfliktparteien – für Israel und seine Politik andere Kriterien und Maßstäbe gegolten haben müssen. Es existierte eine nahezu obsessive Fokussierung auf Israel seitens der Neuen Linken. Andere Staaten, die einen kriegerischen Konflikt führten, wurden im besten Falle kritisiert, doch immer qua ihrer Politik, nicht qua ihrer Existenz. Was die Bewertung Israels betrifft, so wird, wie beschrieben, nicht selten mit zweierlei Maß gemessen, also ein Doppelstandard angelegt, wobei das Leid der Palästinenser monokausal rezipiert und kontextunabhängig instrumentalisiert wurde und wird.

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„Kein Blut für Öl“  - Die Linke und der Golfkrieg

Mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs schwand zunächst das Nahost-Interesse. Vor diesem historischen Hintergrund kam es zu Erosionsprozessen in der um politische Orientierung bemühten Linken.

Im Jahre 1991 trat ein Ereignis auf die politische Weltbühne, das der Linken die Möglichkeit bot, sich neu zu positionieren: der Zweite Golfkrieg. Doch die Mehrheit der Linken richtete sich auch hier wieder antiisraelisch aus. Die Situation verkomplizierte sich, als der irakische Diktator Saddam Hussein Israel drohte, es mit Giftgas zu beschießen, obwohl es gar nicht den Kriegskoalitionären angehörte. Darüber hinaus waren deutsche Firmen an der Gasproduktion beteiligt, was in Israel ein altes Trauma wieder aufleben ließ. Von einem solchen Szenario, einem für Israelis durchaus „realistischen Alptraum von deutschem Gas über Israel“, nahm die deutsche Friedensbewegung zwar Notiz, war aber mehrheitlich nicht gewillt, ihre Position zu überdenken. „So verwandelt sich auch für Israel der Golfkrieg in einen Zweiten Weltkrieg der Erinnerungen“, schreibt Dan Diner und bringt zum Ausdruck, mit welcher der Historie entlehnten Bestürzung die israelische Bevölkerung auf die unmittelbare Gefahr eines Gasangriffes reagierte.

Wie wenig Registrierung die Belange der Israelis von deutscher Seite erfuhren, zeigte der Aufruf zur zentralen Kundgebung gegen den Krieg im Irak in Bonn, der kein Wort hinsichtlich einer israelischen Bedrohung verlor.  Der damalige Grüne Vorstandssprecher Christian Ströbele machte sich unglaubwürdig, als er im Zuge des Irak-Krieges die Lieferung deutscher Verteidigungswaffen an Israel ablehnte. Seinen Parteivorsitz musste er später abgeben, da er sich zu einem Satz hinreißen ließ, in welchem er die Raketenangriffe auf Israel als „logische, fast zwingende Folge der israelischen Politik“ deutete.

Solche antizionistischen Rückfälle blieben keine Seltenheit. Doch vereinzelte Stimmen innerhalb der Linken, die eine besondere deutsche Verantwortung in Bezug auf Israel betonten, wurden lauter. Jürgen Habermas argumentierte auf der Grundlage eines „amputierten Universalismus, als er sich prinzipiell gegen die Logik des Krieges wandte, im Falle Israels jedoch eine Ausnahme gemacht wissen wollte“. Von einer solchen Zerrissenheit getragen, die zwischen einer prinzipiell gegen den Krieg am Golf gerichteten Positionierung und der Berücksichtigung der besonderen Verantwortung für Israel zu oszillieren begann, zeugen auch die Aussagen Joschka Fischers, der anmahnte, dass die Raketenangriffe auf Israel nicht den Stellenwert in den Köpfen hätten, den sie eigentlich hätten haben müssen. Die Parole „Hände weg von Israel“ müsste mit ähnlicher Intensität gefordert werden, wie der Appell nach einem sofortigen Kriegsstopp. 

Zu einem wesentlich radikaleren Bruch mit der antizionistischen Position kam es auch innerhalb des linksradikalen Spektrums. Die sogenannte „bellizistische“ Fraktion warf der Friedensbewegung Geschichtsvergessenheit vor und richtete sich pro-israelisch aus.  Die sich in dieser Zeit herauskristallisierende Auseinandersetzung zwischen traditionellen „Antiimperialisten“ und pro-israelischen „Antideutschen“ prägt die aktuellen innerlinken Antisemitismus-debatten. Da nicht wenige Anhänger der sich neu formierenden antideutschen Strömung aus dem antiimperialistischen Lager stammten, „muss die Radikalität der sich nun abzeichnenden pro-israelischen Positionen auch als Konversionsphänomen betrachtet werden“.  Auch in der linken Publizistik gab es Neupositionierungen. Die ehemals antiimperialistisch argumentierende Zeitschrift konkret erklärte sich nun solidarisch mit Israel. Daraufhin kündigten über tausend Leser ihr Abonnement.

Nach dem Golfkrieg flaute das linke Interesse am Nahostgeschehen zunächst wieder ab. Auch der aufkommende Friedensprozess trug dazu bei, der antizionistischen Argumentation Stück für Stück die Grundlage zu entziehen. Im Zuge der zweiten Intifada seit September 2000, den Anschlägen des 11. September 2001 und dem Libanonkrieg des Jahres 2006 aber begann sich der Antizionismus wieder verstärkt zurückzumelden. Und auch heute hat der antisemitisch gefärbte Antizionismus wieder Konjunktur, hat sich tief in die linke Israelwahrnehmung eingegraben und ist bis hinein in das ideologische Gerüst der Linken zu verfolgen.

Der Text ist eine gekürzte Version eines Kapitels aus "Zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Antizionismus in der deutschen Linken" erschienen im VS-Verlag.

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