Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
Illustration: Felix Gephart

Zoo Kopenhagen - Fressen und Gefressen werden

Erst wurde die Giraffe filetiert, dann starben die Löwen. Was ist bloß los im Zoo von Kopenhagen? Ein Spaziergang zwischen Fleischfressern

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

So erreichen Sie Marie Amrhein:

In der Sonne liegt der Kopf eines Ponys. Die buschige Mähne fällt locker über die weiße Blesse, der Hals ist unsauber abgetrennt worden. Die Augen fehlen, vermutlich haben sich an ihnen die zwei Möwen gütlich getan, die auf dem Felsen herumhüpfen, auf dem der Schädel liegt. Die Möwen hacken eilig ihre Schnäbel ins Fleisch, als sorgten sie sich, dass einer der Eisbären auftaucht, für die das Fleisch bestimmt ist.

Willkommen im Zoo von Kopenhagen, jenem Ort, der unter den Begriffen „Schlachthof“, „Killerzoo“ oder „Zoo pervers“ bekannt geworden ist. Denn dort wurde eine einjährige gesunde Giraffe namens Marius mit Kopfschuss getötet, um sie danach öffentlich zu sezieren und den Löwen zum Fraß vorzuwerfen. Ein Kind, das unter den Zuschauern war, fiel in Ohnmacht. Die internationale Aufregung steigerte sich noch um einige Grade, als wenige Wochen später einer Löwenfamilie der Garaus gemacht wurde. Tierschützer gaben Alarm, Kamerateams rückten an, Mütter regten sich auf. Petitionen mit 150.000 Unterstützern forderten die Schließung des Zoos.

Keiner kreischt, niemand fällt in Ohnmacht
 

An diesem Donnerstagvormittag ist davon nichts zu spüren. Der Himmel über Kopenhagen ist blau, die Stimmung friedlich. Am Eingang drängeln sich Schüler aus dem Bus, sie stromern zum Affendschungel, sehen sich das Elefantenhaus von Sir Norman Foster an oder schlecken Eis auf der Terrasse neben den Kamelen. Oder sie rennen zu den Eisbären, die sich allerdings verkrochen haben, und stoßen: auf den Ponykopf.

Gerade kommt eine Gruppe Erstklässler vorbei. Die Kinder schauen interessiert zu dem augenlosen Schädel hinüber. Aber keines kreischt, keines fällt in Ohnmacht. Die Erstklässler schlendern weiter. Was ist da bloß los? „Die Kleinen verstehen, dass die Tiere etwas zum Fressen brauchen“, sagt eine der drei Lehrerinnen. „Und je größer sie werden, desto genauer erklären wir ihnen alles. Dazu gehört dann auch, dass ein Tier aus Gründen der Zucht eben getötet werden muss.“

Der Zoodirektor wäre wohl froh, wenn er das hörte. Bengt Holst hatte es in der jüngsten Zeit etwas schwer, sich verständlich zu machen. Als ihn der Moderator einer britischen Nachrichtensendung zur öffentlichen Sektion der Giraffe befragte, erklärte Holst, es sei doch interessant zu sehen, wie groß ein Giraffenherz sein muss, damit es Blut in das zwei Meter entfernte Gehirn pumpen kann. Der bewusstlose Junge habe während der Vorstellung einfach zu wenig getrunken. Die Kritiker tobten.

Ein Privatmann konnte die Giraffe nicht retten
 

Der Kopenhagener Zoo handelt nach einem schlichten Prinzip: Zum gesunden Zoo gehört ein einwandfreier Genpool, eine frische Mischung von Erbfaktoren. Wer damit nicht dienen kann, ist raus. So erging es Marius. Die Giraffe hätte sich im Zoo nicht weitervermehren dürfen, es bestand Inzuchtgefahr. Ein britischer Zoo, der anbot, die Giraffe aufzunehmen, bekam eine Absage. Auch hier sei das Genmaterial im Zoo zu ähnlich. Der Kopenhagener Zoo kooperiert nur mit anderen Zoos, die wie er nach den Richtlinien der Europäischen Zoo- und Aquarienvereinigung handeln und züchten. So hatte auch ein Privatmann keine Chance, der das Tier für 270 000 Euro erstehen wollte, um es vor dem Tod zu retten.

Die Sache mit dem Zoo hat Dänemarks Image einen kleinen Kratzer verpasst. Die Einwohner Kopenhagens, Stadt der schönen Häuser und stilsicheren Menschen, in der sie eine Sprache sprechen, die immer ein bisschen klingt, als beuge man sich gerade zu einem Kind hinunter, sind nun nicht mehr bekannt für ihr hohes Budget an Entwicklungshilfe, sondern als Volk der Giraffenmörder.

Gerade war die Aufregung um Marius abgeflaut, da wurde vier Löwen Gift injiziert. Es starben: das 16 Jahre alte Leittier, seine 14 Jahre alte Kumpanin und die zwei gemeinsamen Kinder. Übrig blieben zwei Löwinnen aus dem Wurf von 2012. Als potenzielle Mütter einer neuen Generation Kinder mit „guten Genen“ durften sie leben. Für sie erwarb der Zoo ein Löwenmännchen aus einem Safaripark südlich von Aarhus als Partner.

Im Löwengehege ist das neue Männchen heute nicht zu sehen. Es hat sich in einer Höhle verkrochen, die in einem Innenkäfig liegt. Dort, beim Neuankömmling, befindet sich auch das Futter. Die Zoostrategen legen es darauf an, dass die Löwinnen in den Innenkäfig zum Fressen gehen und sich dort mit dem neuen Gefährten bekannt machen – es wäre der erste Schritt zur Familiengründung.

Löwin frisst Löwe?
 

Aber die Löwinnen meiden den Innenkäfig. Sie liegen einfach rum. „Miaoo“ schreit ein Mädchen mit pinker Pudelmütze den Raubkatzen zu. Die haben sich in den entferntesten Winkel zurückgezogen. Zwei Wochen lang haben sie nichts gefressen. Sie sind auf der Hut, starren auf die Tür zum Innengehege. Vermutlich können sie riechen, dass dort ihr Fressen liegt. Aber dort liegt auch er, der Neue.

Es sei wichtig, dass der neue Löwe schnell ankomme, hatte der Zoo auf seiner Internetseite erklärt. Sonst laufe man Gefahr, dass die Weibchen sich zusammentun und den Neuen zerfleischen. Löwin frisst Löwe – es wäre eine neue spektakuläre Nachricht aus Kopenhagen, die Tierfreunde würden womöglich Wirtschaftssanktionen verlangen oder zumindest ein Eingreifen der Königin.

Wenn die Tiere weiterhin nichts zu fressen bekommen, gibt es noch die Möglichkeit, sie zu betäuben und dann zu trennen. „Wir hoffen wirklich, dass es nicht so weit kommt“, seufzt eine Zoomitarbeiterin in grüner Arbeitsmontur. Ihr Name soll auf keinen Fall genannt werden. Denn der Zoo hat seine Kommunikationsstrategie geändert. Als die Proteste anhielten, verstummten Direktor Holst und seine Kollegen. „Wir haben nichts weiter hinzuzufügen“, lautet heute die Antwort auf Interviewanfragen.

In einem bewaldeten Gehege rennen zwei Wölfe rammdösig im Kreis herum. Einige Hundert Meter weiter sehen die Besucher zwei Störchen dabei zu, wie sie klappernd und humpelnd mit gestutzten Flügeln ein Nest in Bodenhöhe bauen. Es sind Szenen, wie sie sich in jedem Zoo dieser Welt abspielen: Stolze Tiere werden in ihrem Bewegungsdrang beschnitten, sie verlieren ihr natürliches Wesen. Da liegt der Gedanke nicht fern, dass das Glück, Nachwuchs zu bekommen, noch eine Möglichkeit ist, diesen Tieren eine Art von Sinn im Leben zu geben. Vielleicht die einzige, die ein Zoo überhaupt hat.

Weiter geht es. Im Kellergewölbe unter dem Eisbärengehege lässt sich in einer Eislochattrappe erleben, wie sich ein Seehund als Beute fühlt. Es ist wie ein winziges 3-D-Kino für eine Person. Eine Erstklässlerin geht hinein. Es ist still, nichts um sie herum. Nur weiße Ferne. Plötzlich ein Schnaufen und Stampfen. Woher kommt es? Plötzlich ist da ein Eisbär. Ganz nah. In letzter Sekunde duckt sie sich. Wütendes Fauchen, das Mädchen kreischt. Dann hüpft es strahlend aus der Kinohöhle.

Was lief schief im Kopenhagener Zoo?
 

Eine Ecke weiter dreht sich das Spiel um: Wer auf einem Bildschirm im richtigen Moment zuschlägt, erwischt den aus seinem Eisloch auftauchenden Seehund und wird mit einer blutigen Splatterszene belohnt. So vorbereitet, treffen die Schüler draußen auf den echten Eisbären. Es riecht nach vergammelndem Algenmatsch. Der Bär geifert, atmet ein, atmet aus. Dann brüllt er.

In der für Besucher offenen Tropenküche sind in Plastikschälchen die schrumpeligen Kadaver nackter Babymäuse zur Fütterung abgefüllt. Im Gehege der scharfzahnigen Wüstenluchse quillt Hasengedärm aus dem Bauch des Opfers. In einem Wassergraben sitzt ein dicker Braunbär, die Füße schauen aus der Wanne, er spielt mit einem Knochen. Zooalltag.

Was ist da bloß schiefgegangen mit dem Kopenhagener Zoo und der Welt? Vielleicht das: Eine Zoodirektion, die die Tiere besser kennt als die Menschen, hat diese zu einer Art Übersprungshandlung provoziert. An der Massentierhaltung ändert sich so schnell nicht viel, und die Currywurst schmeckt weiterhin, da wird eben der Zoo attackiert. Dabei zeigt der im Grunde nur Banales. Raubtiere fressen Tiere, der Tod des Ponys ist das Leben des Eisbären.
Die Erstklässler laufen vom Ponykopf lachend zum Affenfelsen. Die gerade erstandenen Plüscheisbären pressen sie fest an die Brust.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.