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(picture alliance)

Eurokrise - Zeitbombe Griechenland

Bis zu einem möglichen Ausschluss Griechenlands aus dem Euro müssen noch viele Fragen geklärt werden. Ausgerechnet Berlin steht auf der Bremse - und Athen hat noch einen Trumpf in der Hinterhand

Es ist alles gesagt. Der griechische Premier Antonis Samaras weiß, dass er liefern muss, wenn sein Land nicht schon bald Pleite gehen will. Kanzlerin Angela Merkel weiß, dass Samaras mehr Zeit braucht, am besten zwei Jahre. Beide wissen, dass es diesen Aufschub nicht geben wird. Und alle sind sich darüber im Klaren, dass bald eine Entscheidung fallen muss. Spätestens im Oktober, wenn die internationale Troika ihr Urteil über die Sparbemühungen Griechenlands abgibt, schlägt die Stunde der Wahrheit.

Wenn nicht alles täuscht, drehen die Eurostaaten, allen voran Deutschland, dann den Geldhahn für Griechenland zu. Kurz danach dürfte das Land, in dem die Eurokrise vor drei Jahren begann, zahlungsunfähig werden. Die große Frage ist nun, was danach geschieht. Haben Merkel und Samaras schon Pläne für den Ernstfall, den „Grexit“, vorbereitet? Werden sie darüber sprechen, wenn sie sich am Freitag im Kanzleramt treffen? Oder spielen sie ein „chicken game“ - nach dem Motto: wer zuerst zuckt, hat verloren?

Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Griechenland blute schon jetzt aus, warnt Samaras. Sollte es auf den Euro verzichten müssen, drohe eine Katastrophe, die das Land am Ende in „Weimarer Verhältnisse“ führen könne.    Auch für den Rest Europas wäre ein Austritt schädlich, sagte Samaras in einem Interview mit „Le Monde“. Die Verwerfungen in Griechenland könnten "sehr ansteckend" auch für andere EU-Länder sein. Zusammen mit der Instabilität im Nahen Osten könne dies ein "geopolitischer Alptraum" werden.

Deutschland ist zwar auf den ersten Blick gut gerüstet. Ein „Grexit“ habe seinen Schrecken verloren, sagte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) schon im Juli. Zwar müsste Deutschland bei einem Ausfall Griechenlands nach Berechnungen des Ifo-Instituts einen Verlust von rund 82 Mrd. Euro hinnehmen. Das wäre aber immer noch weniger, als wenn man das scheinbar Unvermeidliche weiter aufschiebt. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, heißt offenbar die Devise in Berlin.

Doch auch für die größte Volkswirtschaft Europas birgt der „Grexit“ Risiken. Wirtschaftlich mag ein Rauswurf Griechenlands verkraftbar sein, politisch entwickelt er sich schon jetzt zu einem Alptraum. Denn einige Politiker sind im Begriff, das politische Kapital zu zerschlagen, das sich Deutschland in Europa erworben hat. Mit Sprüchen wie jenem, man müsse an Griechenland „ein Exempel statuieren“ (CSU-Politiker Markus Söder) mag man die Lufthoheit am Stammtisch erobern - in der EU kommt das gar nicht gut an.

Die deutschen Politiker sollten endlich mal „den Mund halten“, forderte ein sichtlich entnervter Jean-Claude Juncker am Mittwoch bei einem Besuch in Athen. Der Eurogruppenchef steht mit dieser Meinung nicht allein. Auch Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso fordern ein Ende der Debatte. Denn zum einen wollen sie ein Auseinanderbrechen der Währungsunion vermeiden. Zum anderen haben sie kein Verständnis dafür, dass ausgerechnet Deutschland im Wege steht, wenn es darum geht, die Eurozone für den Ernstfall zu rüsten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die geplanten Maßnahmen die Krise noch verschärfen können

Beispiel ESM: Der neue dauerhafte Rettungsschirm wird gebraucht, um Krisenländer wie Irland oder Portugal zu stabilisieren. Doch wegen der Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht hat Deutschland den ESM-Vertrag immer noch nicht ratifiziert. Gespannt wartet man in Brüssel auf den 12. September, an dem das Urteil aus Karlsruhe erwartet wird. Sollten die Verfassungsrichter neue Hürden für die Eurorettung aufbauen, würde dies alle fälligen Entscheidungen verzögern - ein „Grexit“ wäre dann undenkbar.

Beispiel EZB: Die Europäische Zentralbank bereitet eine Intervention auf dem Markt für Staatsanleihen vor, um Spanien und Italien zu stützen. Doch auch hier steht Deutschland auf der Bremse. Bundesbank-Chef Jens Weidmann spricht sich grundsätzlich gegen Anleihekäufe aus, Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Bedenken gegen mögliche Zinsobergrenzen, über die die EZB nachdenkt. Kanzlerin Merkel hat sich zwar noch nicht festgelegt. Doch dass sie die Debatte laufen lässt, ärgert viele Euroretter in Brüssel.

Beispiel Spanien: Da der Staat für die geplante spanische Bankenrettung haftet, sind die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe geschossen. Die Regierung in Madrid fordert nun Hilfe, doch Berlin macht sie von Konditionen abhängig. So soll Madrid offiziell um eine Intervention der EZB bitten und dafür neue Reformpläne vorlegen. Der Hilfsantrag soll dann von der Eurogruppe und vom Bundestag genehmigt werden. Das kann dauern - doch ohne eine Beruhigung in Spanien ist an einen „Grexit“ nicht zu denken.

Aus Sicht der Euroretter steht Berlin einer Lösung der Krise im Wege - und fordert zugleich Maßnahmen, die die Lage noch verschärfen könnten. Wer einen Ausschluss Griechenlands wolle, müsse erst einmal den Rest der Eurozone absichern, heißt es in Brüssel. In Griechenland tickt eine Zeitbombe für ganz Europa und die ist noch nicht entschärft. Die deutsche Dauerdebatte über ESM, EZB und „Grexit“ sei dabei nicht hilfreich, im Gegenteil. Auch die immer neuen Vorbehalte und Verbotsschilder, die fast täglich in Berlin aufgestellt werden, empfindet man in Brüssel als störend, um es milde auszudrücken.

Europa wartet im Spätsommer 2012 auf Deutschland, nicht auf Griechenland. Erst wenn der ESM ratifiziert ist, können die Euroretter wieder aktiv werden. Die griechische Krise steht dabei keineswegs ganz oben auf der Tagesordnung, auch wenn dies viele Deutsche glauben. Die EU will sich erst im Oktober wieder mit der Lage in Athen befassen - wenn die internationale Troika ihren Bericht vorgelegt hat. Beim EU-Gipfel in Brüssel am 18. und 19. Oktober könnten dann Entscheidungen fallen.

Allerdings steht dann wohl noch nicht der Rauswurf bevor. Schließlich müssen ja noch Spanien und wohl auch Italien abgesichert werden, und das dürfte - siehe oben - eine Weile dauern. Wenn sich Madrid und Rom weigern, Hilfsanträge zu stellen, könnten sie den ganzen Prozess verzögern. In der Zwischenzeit dürfte die Eurogruppe versuchen, Athen hinzuhalten. Zwei Jahre Aufschub wird Griechenland zwar nicht erhalten, aber zwei Monate müssten noch drin sein - bis zum nächsten EU-Gipfel im Dezember. 

Doch selbst wenn die Eurogruppe schließlich den Geldhahn zudreht, ist der „Grexit“  nicht sicher. Samaras hat nämlich noch einen letzten Trumpf in der Hinterhand. Er könnte sein Land für zahlungsunfähig erklären, aber dennoch in der Währungsunion bleiben. Aus dem Euro rausschmeißen kann man ihn nicht, das ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Man könnte Samaras höchstens den Austritt versüssen, in der Hoffnung, dass er freiwillig geht.

Doch auch das kostet Geld - und wer soll das bezahlen? 

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