Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Vom Leiter der Europaabteilung im Kanzleramt zum deutschen Botschafter in Spanien – Reinhard Silberberg

EU-Stabilitätsregeln - Wie ein Ex-Kanzler-Berater die eigene Suppe auslöffelt

Als europapolitischer Berater von Altkanzler Gerhard Schröder empfahl Reinhard Silberberg einst, die EU-Stabilitätsregeln zu lockern. Heute arbeitet er im Schuldenstaat Spanien und wirbt um Verständnis für Deutschland

Strafversetzungen sehen anders aus. Draußen scheint die Sonne auch an diesem Oktobertag auf die Palmen am Eingang des üppigen Gartens. Im eleganten Empfangsraum der Residenz des deutschen Botschafters in Madrid herrscht angenehme Kühle. „Mir gefällt es hier sehr gut“, setzt Reinhard Silberberg an, nippt an einem Tonic-Wasser und schwärmt von den Menschen, dem Essen, auch dem Wein in Spanien. Der frühere europapolitische Berater von Altkanzler Gerhard Schröder ist mit sich im Reinen.

Dabei gilt der Posten am Südwestrand Europas nicht gerade als klassische Karrierestation nach sieben Jahren Kanzleramt und vier Jahren als Europastaatssekretär im Außenministerium. Folgt man der Argumentation von Union und FDP, muss Silberberg nun ausbaden, was er als Leiter der Europaabteilung im Kanzleramt mit zu verantworten hatte. Denn die Schuldenkrise schwappt gerade mit Wucht nach Spanien. Und die rot-grüne Regierung hatte damals die Stabilitätskriterien aufgeweicht. Das wird heute von vielen als Sündenfall und tiefere Ursache für die Eurokrise angesehen, weil sich andere Staaten danach auch nicht mehr diesen Vorgaben verpflichtet fühlten. Den entscheidenden Rat bekam Gerhard Schröder damals von: Reinhard Silberberg.

Aber so einfach ist die Geschichte nicht. Denn die spanischen Probleme stammen gerade nicht aus einem laxen Umgang mit der Haushaltsdisziplin, sondern aus einem unkontrollierten Immobilienboom.

Reinhard Silberberg sagt, dass das Amt des Botschafters in Spanien sogar die Aufgabe seiner Wahl ist. Madrid, ein Abschiebeposten? Schon vor Jahren habe er von dieser Position geträumt, schon weil er seiner spanischen Frau die Rückkehr in ihr Land versprochen hatte.

Sieben Zigaretten später wird der Kettenraucher ernster. „Man muss bei der Bewertung doch immer die besonderen damaligen Umstände sehen“, sagt er mit Blick auf die Zeit nach 2003. Schröders Regierung habe unter besonderem Druck gestanden. Innenpolitisch hatte der Kanzler gerade die „Agenda 2010“-Reformen angepackt. Die SPD-Anhänger tobten, die Arbeitslosenzahlen stiegen auf über fünf Millionen, die Sozialausgaben schossen in die Höhe. Dazu kamen steigende Überweisungen an die EU. Brüssel mahnte, Deutschland müsse mehr für Wachstum tun, und schickte gleichzeitig blaue Briefe wegen der Überschreitung des erlaubten Haushaltsdefizits. „Weil die EU-Kommission damals jeden Ermessensspielraum verweigerte, gab es kaum eine andere Wahl, als die Stabilitätspaktregeln etwas zu flexibilisieren“, sagt Silberberg heute.

Auch sein damaliger Chef ist dieser Meinung. Er schwärmt von der Kompetenz seines einstigen Beraters, wenn er auf Silberberg angesprochen wird. „Die Vorwürfe sind natürlich Unsinn. Es wäre unmöglich gewesen, die Agenda 2010 durchzusetzen und gleichzeitig 20 Milliarden Euro zusätzlich im Bundesetat einzusparen“, sagt Schröder. „Weder die Krise in Spanien noch in Irland haben zudem etwas mit der damaligen Entscheidung zu tun.“

Allzu tief will der Berufsdiplomat Silberberg gar nicht in die Vergangenheit und ihre politische Bewertung abtauchen. Nach bisher 34 Jahren im Dienste Deutschlands gilt der sozialdemokratische Beamte ohnehin als echter Grenzgänger. Mit der nach 2009 regierenden CDU-Kanzlerin Merkel hat er jedenfalls als Sherpa in der EU-Ratspräsidentschaft 2007 auch aus dem SPD-geführten Außenministerium gut zusammengearbeitet, die Differenzen in der Europapolitik halten sich in Deutschland ohnehin in engen Grenzen. Und 2010 – zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition – heftete ihm Bundespräsident Horst Köhler das Große Verdienstkreuz an die Brust.

Dass der Tempowechsel nach mehr als 70 EU-Gipfeln, der Organisation der EUErweiterung und der Rettung des Verfassungsvertrags nicht einfach war, deutet er trotz seiner Spanien-Begeisterung an. „Es war am Anfang in Madrid schon ungewohnt, wenn das Telefon plötzlich eine Stunde lang kein einziges Mal klingelt“, merkt er trocken an. Jetzt kümmert er sich im Notfall schon mal um die Bezahlung der Handwerker in seiner Residenz.

Unwichtig findet er seine Arbeit als Botschafter aber nicht – im Gegenteil. Er ist zum Chefdeuter der komplizierten spanischen Politik mit ihren nationalen Empfindlichkeiten und regionalen Eigenheiten geworden. In Spanien erklärt er immer wieder die deutschen Positionen und wirbt um Verständnis. Im Hintergrund hilft er mit, dass sich beim Besuch der Kanzlerin in Madrid die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft einfindet, um ein Bekenntnis zum Standort Spanien abzulegen.

„In Spanien habe ich zudem gemerkt, wie wichtig es ist, sein eigenes Land immer von außen zu sehen“, sagt Silberberg, der selbst nur elf Diplomatenjahre im Ausland verbrachte, die Hälfte davon in Bangladesch und Guatemala. Eines hat er im krisengeplagten Madrid gelernt: „Man braucht in Deutschland keinen Lautsprecher und kein Megafon mehr. Selbst ein Flüstern in Berlin wird heute deutlich wahrgenommen.“

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.