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Venezuela - Was nach Chávez bleibt, ist das Öl

Mit dem Tod von Hugo Chávez fehlt der „Bolivarischen Revolution“ Venezuelas die charismatische Führung. Und der Linkspopulismus in Lateinamerika verliert seinen dynamischen Krösus

Autoreninfo

Carlos Widmann ist in Buenos Aires geboren, und war jahrelang Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel. Seine Reportagen wurden unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Journalist in Paris und Umbrien

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Der Comandante der „Bolivarischen Revolution“ hat in Venezuelas Hauptstadt Caracas etwas Großes geschaffen: ein Pantheon für zwei. Dereinst soll Hugo Chávez hier gemeinsam mit seinem Idol Simón Bólivar verehrt werden, dem Befreier halb Südamerikas zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dessen Gebeine hatte Chávez vorsorglich ausgraben und in den Pantheon umbetten lassen, seine eigenen Überreste werden folgen.

Noch ist es aber nicht so weit. Noch sollen die Venezolaner möglichst lange am provisorisch konservierten Verblichenen Chávez vorüberdefilieren und der Welt ihre Verstörung darbieten. Mario Vargas Llosa, Literaturnobelpreisträger aus Peru, zeigt dafür wenig Verständnis. Man solle sich von den „flennenden Massen“ nicht beeindrucken lassen, schrieb er: „Das sind doch die gleichen Leute, die sich vor Schmerz und Verlassenheit krümmten beim Tod von Perón, von Franco, von Stalin, von Trujillo, und die morgen Fidel Castro das Geleit geben werden.“

Nett klingt das nicht, etwas Wahres ist jedoch dran. Die politischen Erben des gescheiterten Putschisten und späteren Revolutionärs haben noch einiges vor mit dem Verstorbenen. Nicolás Maduro, von Chávez als Vizepräsident ernannt und am 14. April mit knapper Mehrheit als neuer Staatschef gewählt, hat es verkündet: Hugo Chávez werde ebenso nachhaltig einbalsamiert „wie Lenin, Ho Tschi Minh und Mao Zedong“. Er hätte hinzufügen können: wie Eva Perón, Josef Stalin und der Nordkoreaner Kim Il Sung.

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Nur macht der ultraliberale Vargas Llosa es sich ein wenig zu leicht, wenn er die Erschütterung von Millionen Venezolanern allein ihrem naiven Erlösungshunger, ihrem Führerbedürfnis und dem schamlosen Personenkult von Chávez’ „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zuschreibt. Die Ausstrahlung dieser „Mischung aus Hanswurst und Superman“ (Vargas Llosa) reicht auch in Venezuelas Mittelstand hinein – und in breite Schichten einiger Länder Lateinamerikas. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff etwa nahm mit ihrer Aussage, dieser Tod habe auf dem Kontinent eine „Leere in den Herzen“ hinterlassen, Rücksicht auf Millionen Menschen.

Tatsächlich erfüllte der Comandante ein Bedürfnis: Er war die lauteste Stimme unter jenen Politikern, deren Rhetorik den Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit wirkungsvoll mit dem Ressentiment gegen die USA verknüpft. Dazu kam der schwärmerische Ernst, mit dem der wortmächtige Mestize seinen Traum von der Einheit Lateinamerikas vorzutragen wusste. Gepaart mit dem Witz und dem Redezwang eines geborenen Alleinunterhalters, machte ihn das zu einem unverwechselbaren Protagonisten der Zeitgeschichte. Selbst die Medien, die er zum Schweigen bringen wollte, werden ihn vermissen.

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Uruguays Präsident José Mujica nannte etwas treuherzig den anderen Grund für Chávez’ fast schon übernatürliche Ausstrahlung: „Er war der großzügigste Staatschef, dem ich je begegnet bin.“ Das viel gerühmte Charisma des Venezolaners hätte in der Tat nicht viel genutzt ohne die Petrodollar-Milliarden, die der karibische Krösus gezielt an Gleichgesinnte im In- und Ausland verteilte. Die Agitatoren in Bolivien, die mit Gebäudebesetzungen und Straßenblockaden gewählte Regierungen stürzten; Kolumbiens terroristische Guerrilleros, die die fast endemische Gewalt in ihrem Land auf Bürgerkriegsniveau zu verschärfen wussten; der bankrotte und korrupte Sandinist Daniel Ortega in Nicaragua, der nochmals Präsident werden konnte; radikale Gewerkschafter und Publizisten auf der ganzen Südhalbkugel. Die Scheckbuch- und Bargeld-Diplomatie von „Hurrikan Hugo“ hauchte ihnen allen Lebenskraft ein. Nur selten kam es zu peinlichen Pannen wie in Argentinien: Der große Koffer eines Chávez-Abgesandten, der auf dem Flughafen von Buenos Aires vom Zoll versehentlich geöffnet wurde, war prall gefüllt mit Dollarscheinen – für die Wahlkampfkasse der heutigen argentinischen Präsidentin Cristina Kirchner.

Venezuela könnte das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt haben. Zumindest hat das Land die größten Erdölreserven des Planeten: Die Reserven belaufen sich auf mehr als 297 Milliarden Barrel, in Saudi-Arabien, dem weltgrößten Ölförderer, sind es hingegen 265 Milliarden Barrel. Trotzdem sind die meisten Venezolaner weiterhin arm. Auch nach einem Jahrzehnt schwungvoller Sozialhilfe und Geldverteilung unter Chávez lebt ein Viertel der Bevölkerung – nach Drittweltstandards – unter der Armutsgrenze.
Dabei hatte der sendungsbewusste Comandante auch noch unglaubliches Fortune: In den ersten zehn Jahren seiner Amtszeit ist der Weltmarktpreis für Erdöl um ein Fünffaches gestiegen – von 20 auf über 100 US-Dollar pro Barrel. Durch die Verstaatlichung der Erdölförderung ist die Produktion in Venezuela jedoch nicht gestiegen, sondern gesunken.

Obwohl Chávez' Nachfolger Nicolás Maduro ein auf Kuba indoktrinierter Apparatschik ist, wird aus Havanna bedrückte Stimmung gemeldet. Es gilt dort keineswegs als gesichert, dass Venezuela es sich weiterhin leisten kann, die kubanische Wirtschaft vor dem Untergang zu bewahren. Wenn die 100 000 Barrel Erdöl ausfallen, die täglich aus der Bucht von Maracaibo nach Kuba fließen, gehen in Havanna die Lichter aus.

Die Führungsrolle, die Hugo Chávez in Lateinamerika beanspruchte, war schon vor seinem Tod zweifelhaft. Unter der Präsidentin Dilma Rousseff ist Brasilien noch deutlicher als unter ihrem populären Vorgänger Lula auf Distanz zu Chávez gegangen, dem Kumpanen von Gaddafi, Assad und Ahmadinedschad. Aber nicht nur die Wirtschaftsriesen Mexiko und Brasilien standen ihm skeptisch gegenüber: Auch das Wirtschaftswunderland Chile, auch Peru und Kolumbien gehen andere Wege. Der kinderreiche katholische Bischof und Chávez-Fan Fernando Lugo ist als Präsident Paraguays vom Parlament abgesetzt worden. In Mittelamerika hat Venezuela nur das nicaraguanische Regime des Altsandinisten Ortega auf seiner Seite – mehr Belastung als Gewinn.

Ein linker Populismus kann sich immerhin in Bolivien und Ecuador reformfähig halten, weil dort mit Erfolg Erdgas und Erdöl gefördert werden. Der linksrhetorischen Kleptokratie des Kirchner-Klans in Argentinien aber, wo die amtlich verschwiegene Inflation die Gelddrucker zu Höchstleistungen anspornt, stehen bittere Zeiten bevor. 

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