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(picture alliance) Er hat sie enttäuscht, trotzdem bleiben ihm seine Wähler treu.

Präsident Paradox - Warum die USA Obama 2012 wiederwählen

Die Aufwärmphase mit den unzähligen Fernsehdebatten der republikanischen Bewerber um die Präsidentschaft ist vorbei. Nun kommt die Zeit der Entscheidung an den Wahlurnen. Und auf einmal sieht die Welt wieder freundlicher aus für Präsident Barack Obama

CICERO ONLINE schaut in einer Reihe auf die wichtigsten Themen 2012. Heute: Die Präsidentschaftswahlen in den USA.

2012 wird in vielerlei Beziehung ein ungewöhnliches Wahljahr – voller Widersprüche und Paradoxien. In normalen Zeiten ist es die erste Aufgabe der Kandidaten, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Daran hat es dem republikanischen Kandidatenfeld 2011 nicht gemangelt. Den Nutzen davon hatte Barack Obama. Im Bemühen, die Zustimmung der konservativen Basis zu gewinnen, trieben sich die Republikaner gegenseitig immer weiter nach rechts und wetteiferten, wer die markantesten Bekenntnisse zu den Herzensthemen der Partei abgab – von der kategorischen Ablehnung von Abtreibung und Homo-Ehe über die Verteidigung der Freiheit des Waffentragens bis zu harten Maßnahmen gegen illegale Migranten aus Mexiko, Mittel- und Südamerika. In der Außenpolitik sind die dominierenden Versprechen bedingungslose Solidarität mit Israel sowie ein harter Umgang mit Iran und China. Vieles klingt so schrill, dass dies die Wechselwähler in der Mitte abschrecken und zurück zu Obama treiben dürfte, obwohl sie auch von ihm enttäuscht sind. [gallery:Obama wird 50 – Bilder aus dem Leben des mächtigsten Mannes der Welt]

Es ist keine neue Erfahrung, dass republikanische Bewerber vor dem Wahljahr nach rechts rücken – und spiegelbildlich Demokraten nach links. Barack Obama gewann die Kandidatur 2008 gegen Hillary Clinton, indem er sie links überholte. In dieser Phase geht es darum, die Parteibasis für sich einzunehmen, um das Rennen um die Kandidatenaufstellung zu gewinnen. Das Wahlsystem der USA ist basisdemokratischer als das deutsche. Staat für Staat stimmen die Bürger zwischen Januar und Juni darüber ab, wer für ihre Partei in der Hauptwahl am ersten Dienstag im November antreten soll. Doch zugleich müssen die Bewerber darauf achten, sich nicht zu weit an den Rand zu wagen. Die Hauptwahl wird in der Mitte entschieden. Wer in den Vorwahlen zu ideologisch auftritt, vermindert damit seine Chancen, im November die nicht parteigebundenen Wechselwähler zu gewinnen.

Bei den Demokraten entfällt der innerparteiliche Auswahlprozess 2012. Präsident Obama tritt erneut an. Für die Republikaner beginnen die Vorwahlen am 3. Januar. Iowa, ein Farmstaat im Mittleren Westen, macht traditionell den Auftakt, gefolgt von New Hampshire am 10. Januar, South Carolina am 21. Januar und Florida am 31. Januar. Der „Super Tuesday“ mit einer Vielzahl von Abstimmungen an einem Tag, fällt 2012 auf den 6. März. Normalerweise hat sich danach ein klarer Favorit herausgeschält – dann können die Republikaner die innerparteiliche Auseinandersetzung beenden und ihre vereinten Angriffe auf den parteipolitischen Gegner richten. Womöglich wird das diesmal anders sein. Den Konservativen droht eine lange Schlacht im eigenen Lager.

Sie hätten ja einen Kandidaten, der gute Aussichten hat, Obama zu schlagen: Mitt Romney, Ex-Gouverneur des liberalen Ostküstenstaats Massachusetts. Doch er ist der Basis nicht rechts genug. Er gilt als unzuverlässiger „Flip Flopper“, der in ideologischen Kernfragen seine Meinung gewechselt hat. Zudem ist er Mormone – eine Konfession, die rechte Christen eher als Sekte betrachten und nicht als eine respektable Religion.

Einen Großteil des Jahres 2011 haben die Republikaner damit verbracht, eine Alternative zu suchen. Alle paar Wochen schenkten sie einem anderen populistischen Rivalen ihre Gunst – und entzogen sie wieder, als die jeweilige Person Zweifel weckte, ob sie für das Präsidentenamt geeignet sei: Immobilienhai Donald Trump, Michele Bachmann, die Ikone der Tea Party, Texas-Gouverneur Rick Perry, der schwarze Geschäftsmann Herman Cain.

Romney konnte von den Abstürzen dieser Rivalen nicht profitieren. Er kommt nicht über 20 bis 25 Prozent Zustimmung in der eigenen Partei. Im Dezember stieg Newt Gingrich zum neuen Favoriten auf. Kurz vor der ersten Vorwahl in Iowa sank sein Stern wieder. Das hatten viele US-Wahlkampfexperten prognostiziert, weil die Medien nun intensiver über ihn berichten und die Wähler sich an die Stationen seiner politischen Karriere erinnern. In den 1990er Jahren war er als „Speaker“ des Abgeordnetenhauses der Gegenspieler des demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Gingrich stolperte über seine Selbstüberschätzung, sein loses Mundwerk und außereheliche Affären.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Einfluss die Ergebnisse der frühen Vorwahlstaaten haben

Viel hängt von den Ergebnissen in den frühen Vorwahlstaaten ab. Sie haben oft eine Eigendynamik ausgelöst und zu überraschenden Verschiebungen geführt. In vielen Umfragen in Iowa, wo konservative Christen den Ton angeben, führt jetzt Ron Paul, ein libertärer Abgeordneter aus Texas. Er hat kaum Chancen auf die Kandidatur. Seine Forderung nach Abschaffung vieler Bundesministerien und dem Abzug aller US-Soldaten aus dem Ausland ist nicht generell mehrheitsfähig. Auch Romney hat in Iowa plötzlich gute Chancen – aber nicht weil die Wähler dort ihn mögen, sondern weil sie ihm am ehesten zutrauen, Obama zu schlagen. In New Hampshire, einem säkular geprägten Neuenglandstaat, muss Romney klar gewinnen. Alles andere würde ernste Zweifel an seiner Durchsetzungsfähigkeit wecken. In den Umfragen führt er derzeit mit großem Vorsprung vor Gingrich und Paul. [gallery:Obama wird 50 – Bilder aus dem Leben des mächtigsten Mannes der Welt]

Danach geht es in die Südstaaten – kein gutes Pflaster für Romney. Gingrich, der aus dem benachbarten Georgia stammt, führt haushoch in den Umfragen für South Carolina. In Florida, Station Nummer vier, führt Gingrich derzeit mit 43 Prozent vor Romney (25 Prozent). Romney hat die bessere Organisation. Er hat auch mehr Wahlspenden erhalten als Gingrich und wird wohl am Ende die Kandidatur gewinnen. Aber eine sich über Monate ziehende, schmutzige Schlacht würde ihn beschädigen.

Und Barack Obama? Auch er kann nicht auf eigene Stärke bauen. Die „Yes, we can“-Euphorie von 2008 ist lange vorbei. Die vorzeigbaren Resultate helfen ihm wenig. Er hat eine Krankenversicherung für alle eingeführt, die Aufsicht über die Finanzmärkte verschärft, den Umgang mit Homosexuellen im Militär liberalisiert, die Zahl der strategischen Atomwaffen mit Russland um ein Drittel reduziert und den versprochenen Abzug aus dem Irak vollendet. Die meisten Bürger danken es ihm nicht. Sie leiden unter der anhaltenden Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosenrate verharrt bei neun Prozent – ungewöhnlich hoch für die USA. Die Wähler sind ungeduldig und zornig.

Schaut man nur auf seine Umfragewerte, müsste man ihn abschreiben. Etwa 50 Prozent lehnen seine Politik ab. Auf die demoskopische Kernfrage - Ist das Land auf dem richtigen oder falschen Kurs? – antworten 70 Prozent, Amerika bewege sich in die falsche Richtung. Mit solchen Werten gewinnt man normalerweise keine zweite Amtszeit.

2012 wird jedoch kein normales Wahljahr. Zornig sind die Wähler nicht nur auf Obama, sondern ebenso auf die Republikaner. Die nutzen ihre Macht vor allem zur Blockade. Kurz vor Weihnachten hätten sie beinahe verhindert, dass die reduzierten Abgabensätze für die Rentenversicherung verlängert werden.

2012 werden die USA keinen Präsidenten wählen, den eine breite Mehrheit der Bürger im Weißen Haus sehen will. Einen solchen Kandidat gibt es nicht. Amerika wählt diesmal das kleinere Übel. Ob Obama oder ein Republikaner gewinnt, hängt davon ab, wer im Verlauf des Jahres die geringere Ablehnung auf sich zieht.

Christoph von Marschall ist White-House-Korrespondent des Tagesspiegel. Im Januar erscheint sein neues Buch „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“, Herder Verlag 2012.

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