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Wahlen in Iran - „Wir brauchen unbedingt mehr Stabilität“

Heute finden in Iran die Präsidentschaftswahlen statt. Sechs Kandidaten streben die Nachfolge von Mahmud Ahmadinedschad an. Der iranische Wissenschaftler Dr. Reza Masoudi Nejad spricht im Interview über mögliche Reformen, fragwürdige Umfragen und die Hoffnung auf mehr Stabilität

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Julian Graeber hat Sportwissenschaft und Italienisch in Berlin und Perugia studiert.

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Herr Masoudi Nejad, heute finden in Iran die Präsidentschaftswahlen statt. Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad darf nach zwei Legislaturperioden nicht kandidieren. Wie groß schätzen Sie die Chance ein, dass es unter einem neuen Präsidenten positive Veränderungen in der iranischen Politik geben wird?
Es gibt immer Hoffnung auf Verbesserungen. Viele Menschen sind davon überzeugt, dass ein neuer Präsident keine großen Veränderungen bewirken wird, ich würde die Bedeutung der Präsidentschaftswahlen jedoch nicht unterschätzen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten deutlich gesehen, dass sich die Politik unter den verschiedenen Präsidenten enorm unterschieden hat. Denn obwohl der Oberste Rechtsgelehrte Ayatollah Ali Khamenei die meiste Macht hat, hat der Präsident viel Einfluss.

Es sind noch sechs Kandidaten im Rennen. Wer steht am ehesten für Reformen?
Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall muss der Gewinner gut verhandeln können. Wenn der Präsident zu konservativ oder zu reformistisch ist, werden Verhandlungen fast unmöglich. Wir brauchen jemanden, der in der sehr komplexen iranischen Politik Kompromisse aushandeln kann und die verschiedenen Seiten versöhnt.

Und wem könnte das gelingen?
Abgesehn von Said Dschalili haben sich alle Kandidaten relativ offen gezeigt. Während des Wahlkampfes und der TV-Debatten haben sie sich teilweise sehr kritisch mit dem System und dem Atomprogramm auseinandergesetzt. Am überraschendsten war, dass selbst Ali Akbar Welajati, der außenpolitische Berater von Ayatollah Khamenei, Abstand von der Atompolitik genommen hat. Von Rohani hätte man das erwartet, nicht aber von Welajati.

In der Presse wird der gemäßigte Gelehrte Hassan Rohani als Favorit der Reformer dargestellt.
Ja, das ist sehr interessant. Denn er wurde früher nie als Reformer angesehen. Er galt immer als Mitte-rechts. So wie er sich im Wahlkampf verhalten hat und die aktuelle Politik kritisiert hat, ist er nun aber zum Hoffnungsträger der Reformer geworden. Deshalb hat sich Mohammad Reza Aref nach einem Gespräch mit dem Chef der Reformer aus dem Wahlkampf zurückgezogen. Jetzt haben die Reformer nur noch einen Kandidaten, während sich bei den Konservativen die Stimmen auf fünf Lager verteilen.

Gibt es verlässliche Umfragen?
Nicht wirklich. Jedes Lager hat seine eigenen Umfragen, die sehr interessengeleitet sind. Am zuverlässigsten ist wahrscheinlich die Internetseite ipos.me. Doch als Rohani dort in den Umfragen immer weiter zulegte, wurde die Seite mehrfach von Hackern attackiert und konnte zeitweise nicht aktualisiert werden. Selbst auf ipos hat Rohani jedoch nicht die absolute Mehrheit. Andererseits sind Wahlen in Iran immer Last-Minute-Angelegenheiten. Was tatsächlich passiert, ist vorher meist nicht absehbar. Verschiedene Umfragen zeigen zudem, dass fast 40 Prozent der Wähler noch unentschlossen sind.

Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreicht?
Momentan sieht es nicht danach aus. In diesem Falle würde eine Stichwahl am 21. Juni entscheiden. Im vorhinein ist das aber schwer zu sagen. Am Wahltag kann so viel passieren.

2009 kritisierte die Opposition, dass die Wahlen manipuliert worden seien, und es gab die größten Unruhen seit der Islamischen Revolution 1979. Auch im Vorfeld der heutigen Wahlen gab es Unregelmäßigkeiten. Eine Zeitung wurde wegen kritischer Berichterstattung verboten und Mitarbeiter von Rohani verhaftet. Kann man überhaupt von demokratischen und freien Wahlen sprechen?
Das ist schwer zu sagen. Die Rahmenbedingungen sind sicherlich fragwürdig. In der Vergangenheit ist es aber schon vorgekommen, dass der Staat einen Kandidaten unterstützte und am Ende ein anderer gewählt wurde, wie das 1997 bei Mohammad Chatami der Fall war. Wir sollten daher optimistisch sein.

Haben Sie in letzter Zeit Kontakt mit Menschen in Iran gehabt? Wie ist die Stimmung dort?
Es ist absolut nicht vergleichbar mit den vergangenen Wahlen 2009. Einige wissen noch nicht, ob sie überhaupt wählen gehen. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass Rohani und der konservative Bürgermeister von Teheran, Mohammed-Bagher Ghalibaf, die meisten Unterstützer haben und damit die größten Chancen besitzen, in die Stichwahl zu kommen oder sogar die absolute Mehrheit zu erreichen.

Was ist mit Said Dschalili, dem Atom-Chefunterhändler, der als echter Hardliner gilt?
Man kann natürlich nicht genau vorhersagen, was bei den Wahlen wirklich passiert. Es deutet jedoch sehr vieles darauf hin, dass Dschalili keine Rolle spielen wird. In den Umfragen ist er nur an vierter Stelle. Viel wichtiger ist allerdings, dass er immer mehr Unterstützung verliert. Er hat zwar eine feste Stammwählerschaft, beim Rest der Wähler sieht es für ihn aber immer schlechter aus.

Die internationalen Sanktionen und Misswirtschaft haben die iranische Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Die Inflation ist in den vergangenen Jahren extrem gestiegen und immer mehr junge, gut ausgebildete Iraner wandern aus. Kann die Regierung diese Entwicklung weiter ignorieren?
Das kann sie offensichtlich nicht. Die Krise ist ja nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und sozial. Außerdem leben wir in einer globalisierten Welt, in der Migration überall vorkommt. Die Instabilität in Iran, politisch und wirtschaftlich, beschleunigt dieses Phänomen zusätzlich. Das iranische Volk strebt nach mehr Demokratie. Wenn es durch unsere Konflikte mit den USA oder Israel jedoch zu einer militärischen Intervention in Iran kommt, werden wir alles verlieren, was bisher aufgebaut wurde. Deshalb brauchen wir unbedingt mehr Stabilität.

Ist mehr Stabilität mit der aktuellen politischen Klasse überhaupt machbar?
Ich denke, momentan beginnen sich einige Dinge zu verändern. Vor einigen Tagen hat Ayatollah Khamenei die Bevölkerung in einer Rede aufgefordert, unbedingt zur Wahl zu gehen. Unabhängig davon, ob sie die Islamische Republik unterstützen, sei ihre Stimme wichtig für das Land, wichtig für den Iran. Bisher ging es immer nur um die Islamische Revolution, die Islamische Republik und ihre Führer. Jetzt geht es um den Iran. Das ist eine große Veränderung in der politischen Rhetorik im Land. Ich hoffe, dass sich diese Veränderung nun auch in der tatsächlichen Politik zeigt und es nicht bei Worten bleibt.

Herr Masoudi Nejad, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Reza Masoudi Nejad, geboren 1969 im Iran, ist Alexander von Humboldt Stipendiat am Zentrum Moderner Orient in Berlin.

Das Interview führte Julian Graeber.

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