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Türkischer Wahlkampf in Deutschland - Das Versäumnis deutscher Politik

Am Samstag besucht der amtierende türkische Premierminister Düsseldorf und wird von da aus seinen Wahlkampf starten. Deutschland spielt bei den Neuwahlen eine enorme Rolle. Aber warum interessieren sich Deutsch-Türken nicht für die Politik dieses Landes?

Autoreninfo

Fatih Aktürk hat Sozialwissenschaften, Politik, Medien und Soziologie an der HHU - Düsseldorf und an der Universität Bremen studiert. Er arbeitet als freier Journalist für diverse überregionale deutsche und türkische Medien. 

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Die Parlamentswahlen im Juni haben im ersten Anlauf zu keinem Ergebnis in der Türkei geführt – es konnte keine Regierung gebildet werden. Zum einen wollte keiner mit der AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, koalieren, zum anderen wollten auch die Oppositionsparteien untereinander nicht zusammenarbeiten. Jetzt müssen die türkischen Bürger erneut an die Wahlurne. Das hat auch Auswirkungen auf Deutschland.

Türkische Politiker kommen zu Besuch. Das hat nichts mit Diplomatie zu tun: In Deutschland leben mehr als eine Millionen wahlberechtigte Türkischstämmige. Das kann in der gegenwärtigen Ausgangslage türkischer Parteien entscheidend sein. Einfach ausgedrückt: Es ist Wahlkampf.

Unterstützung von der AKP-Lobby
 

Besuche türkischer Politiker lösten in der Vergangenheit große Echos aus – insbesondere dann, wenn sie Recep Tayyip Erdoğan hießen.

„Ich bin nicht zum Streit gekommen. Meine Sache ist die Liebe. Das Haus des Freundes, das sind die Herzen. Ich kam, um Herzen zu gewinnen“, sagte er 2008 vor 16.000 Deutsch-Türken. Tatsächlich aber hat er an jenem Tag viel Streit zwischen seinen hierzulande lebenden Landsleuten hinterlassen. Seine Worte „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ waren monatelang ein Thema in deutschen Medien und auch an türkischen Stammtischen.

Jetzt kommt sein Nachfolger, der amtierende Premierminister der Türkei, Ahmet Davutoğlu, erneut nach Deutschland. In Düsseldorf will der AKP-Vorsitzende und Ministerpräsident Davutoğlu am 3. Oktober den Wahlkampf seiner Partei starten. Erdoğan selbst will einen Tag später in Österreich auftreten – allerdings nicht für Wahlkampfzwecke, heißt es offiziell.

Erdoğan und Davutoğlu können bei ihren Besuchen auf die Dienste von Süleyman Çelik, Vorsitzender der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), zählen. Laut Çelik zeige der Besuch, wie viel Wert Davutoğlu den europäischen Türken und den türkischstämmigen Europäern beimesse. Die Eintrittskarten für die Veranstaltungen sollen, wie auch bei den Wahlkampfauftritten zuvor, durch die UETD-Büros und Moscheevereine sowie weitere türkische Verbände kostenlos verteilt werden. Dies habe mit Sicherheitsvorkehrungen zu tun. Die UETD gibt sich zwar seit ihrer Gründung als parteineutrale Organisation aus, fällt allerdings durch ihre Nähe zur AKP und ihrer strikten Distanz zu den Oppositionellen auf. Deshalb ist die UETD als AKP-Lobbyorganisation bekannt.

Ministerpräsident und AKP-Vorsitzender Ahmet Davutoğlu war bereits vor den vergangenen Parlamentswahlen im Juni nach Deutschland gekommen.

Auch andere Oppositionspolitiker werden zwecks Stimmenfangs ihre Landsleute „besuchen“. Türkischen Staatsbürgern, die in Deutschland leben, wird bis zum 1. November die Wahl aus dem Ausland ermöglicht. Es ist das dritte Mal, dass Auslandstürken ohne Einreise in die Türkei ihre Stimme in türkischen Auslandsvertretungen abgeben können.

Doppelte Staatsangehörigkeit nicht wie versprochen eingehalten
 

Deutschland kann sich vor dem Hintergrund dieser Veranstaltungen erneut auf Debatten einstellen. Vor den Veranstaltungen müssen wieder Einsatzkräfte der Polizei aufrücken, um rivalisierende Demonstranten voneinander fernzuhalten. Gerade jetzt, wo der PKK-Terror wieder täglich Opfer fordert, wird das eine heikle Angelegenheit sein. Ärgerlich ist, dass für anfallende Kosten Steuergelder ausgegeben werden, für die der deutsche Bürger aufkommen muss.

Machen wir uns nichts vor: Es ist das gute Recht türkischer Politiker, hierzulande aufzutreten. An den Wahlen vom 7. Juni beteiligten sich circa 413.000 der 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland. Zumal Recep Tayyip Erdoğan bei den Wahlen in Deutschland im Durchschnitt mehr Stimmen gesammelt hat als in der Türkei. Auch die HDP konnte im Ausland mehr Stimmen einholen als in der Türkei. Nur die CHP und MHP waren im Ausland noch schwächer als daheim.

Aber es ist auch die Schuld der deutschen Politiker, dass sich Deutsch-Türken mehr für die türkische Politik interessieren statt für die des Landes, in dem sie leben. Ein paar leere Versprechen vor den Wahlen reichen einfach nicht aus.

Schließlich bekommen es hiesige Politiker nicht einmal vernünftig hin, die doppelte Staatsbürgerschaft für Türken einzuführen. Die SPD hatte noch vor den letzten Bundestagswahlen propagiert, sie wolle nur in die Koalition mit der CDU/CSU gehen, wenn diese unter anderem bereit wären, die doppelte Staatsangehörigkeit voll und ganz einzuführen. Tatsächlich aber umfasst die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit nicht alle Deutsch-Türken. Sie gilt nur für diejenigen, die bisher vom Optionsmodell umfasst waren. Diese sind die ab dem Jahre 2000 in Deutschland Geborenen. Auch die zwischen 1990 und 2000 in Deutschland geborenen Kinder haben dieses Recht, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit nach einer Übergangsvorschrift erworben haben. Für einen 1989 Geborenen kann sie also nicht wirklich angewandt werden. Nichtsdestotrotz: Die SPD ist die Koalition eingegangen. Für viele Deutsch-Türken ist das ein eindeutiger Vertrauensmissbrauch.

Moscheebesuche als Wahlkampfinstrument
 

Es reicht auch nicht aus, dass die Parteien ein paar türkischstämmige Abgeordnete aufstellen und dann versuchen, nur über diese Leute den Kontakt zu dieser Bevölkerungsgruppe aufrechtzuerhalten. Insgesamt 11 türkischstämmige Bundestagsabgeordnete gibt es derzeit. Allerdings sind die meisten Deutsch-Türken, aber vor allem die AKP-Anhänger, nicht mit deren Politik einverstanden. Kein Wunder, wenn der Grünen-Chef Cem Özdemir offenen Wahlkampf für eine der türkischen Oppositionsparteien betreibt.

Dieser neuen, für deutsche Parteien wichtigen Wählerschaft fallen selbstverständlich auch wiederkehrende Wahlkampfstrategien auf. Vor den Wahlen eine Moschee zu besuchen, kann einem Politiker zwar Punkte einbringen. Moscheevereine erhoffen sich von diesen Politikern einen regen Austausch und fortlaufende Kooperationen. Aber wenn diese Besuche tatsächlich nur vor den Wahlen stattfinden, verliert nicht nur der eine Politiker an Glaubwürdigkeit, sondern die gesamte Partei.

Man kann von der türkischen Politik halten, was man will. Genau das macht sie aber richtig. Deren Politiker kommen nicht nur vor den Wahlen her, sondern auch mal zwischendurch und halten Reden voller Pathos: „Wir sind eins. Wir sind für Euch immer da! Ihr gehört zu uns!“.

Die Menschen, die sich von den deutschen Politikern betrogen fühlen, lassen sich von diesen Sprüchen ganz leicht überzeugen.

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