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(picture alliance) Camila Vallejo – Viva la Revolución

Camila Vallejo - Von der Rädelsführerin zur Präsidentin?

Camila Vallejo kämpft gegen die zu General Pinochet zurückreichenden Wurzeln des chilenischen Erziehungswesens. Aber die Kommunistin zielt auf ein weit über die Universität hinausragendes politisches Betätigungsfeld

Neu ist sie nicht, die Unzufriedenheit der chilenischen Jugend mit dem Erziehungssystem des Landes. Immer wieder waren in den zurückliegenden Jahren Konflikte eskaliert wie etwa 2007 in der Regierungszeit der Sozialistin Michelle Bachelet. Neu ist diesmal, dass die wachsende Unzufriedenheit ein Gesicht hat, ein hübsches noch dazu. Wer Camila Antonia Amaranta Vallejo Dowling allerdings allein auf ihr Äußeres reduzieren wollte, beginge einen folgenschweren Fehler.

Außer ihrem einnehmenden Äußeren, oder vor allem, verfügt die Studentin der Geografie nämlich über ein erstaunliches rednerisches Talent, das sie gekonnt zu einem Frontalangriff auf das chilenische Erziehungssystem einsetzt. Als Bühne dient der Kommunistin, deren Eltern bereits in den Siebzigern Mitglieder der Kommunistischen Partei waren, seit Ende vergangenen Jahres ihr Amt als Präsidentin der Studentenvereinigung der Universität von Chile (FECH), der die 25 staatlichen Institutionen angehören, nicht aber die 35 privaten Universitäten des Landes.

Camila Vallejo kommt zupass, dass die Grundpfeiler des chilenischen Erziehungswesens noch aus der Zeit General Pinochets stammen, ein Kampf dagegen sich also propagandistisch nutzen lässt als „Kampf gegen die Diktatur“. Pinochet hatte Chile eine konsequente Dezentralisierung und Privatisierung des Erziehungswesens verordnet. Die verschiedenen Regierungen des Mitte-Links-Regierungsbündnisses „Concertación“, die Chile seit dem Ende der Diktatur fast 20 Jahre regierten, beließen diese Strukturen. Aber sie ergänzten sie durch ein ehrgeiziges Programm von Stipendien, das in der Region seinesgleichen sucht: Kein Land Lateinamerikas hat ein so breites Angebot an Stipendien wie Chile. Nirgendwo in Lateinamerika gehen die Schüler durchschnittlich länger zur Schule als in Chile: 1990 waren es acht Jahre, heute sind es zwölf – Zahlen, die auch keine internationalen Vergleiche zu scheuen brauchen.

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Aber die Achillesferse ist für immer mehr Chilenen das Finanzierungssystem: In der altehrwürdigen staatlichen Universidad de Chile, die dem Land immerhin 19 Staatspräsidenten schenkte, kostet ein Studium der Geisteswissenschaften im Jahr 3200, ein Studium der Naturwissenschaften und Medizin 6900 Dollar. Allerdings gibt es nach Angaben von Rektor Victor Pérez Vara für 30 Prozent der Studierenden Stipendien, die restlichen 70 Prozent haben Anrecht auf Studentenkredite, die 2 Prozent Zinsen kosten und erst nach Antritt einer Beschäftigung zurückgezahlt werden müssen.

Das aber reicht Camila Vallejo nicht: Ihr Ziel ist die Abschaffung aller Studiengebühren und die Rückkehr zu einem rein staatlichen Schul- und Universitätswesen. So lehnte sie auch das Angebot von Staatspräsident Sebastián Piñera ab, die Ausgaben für die staatlichen Universitäten massiv zu erhöhen und die Bedingungen für die Stipendien weiter zu verbessern: „Wir fordern grundlegende Strukturveränderungen, die Schluss machen mit dem neoliberalen Erziehungsmodell.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite von Vallejos politischer Positionierung und ihren fernen Zielen.

Ihre Botschaft trägt Vallejo, wie eine Zeitung unlängst schrieb, wie eine chilenische Jeanne d’Arc in die Welt. So nahm sie teil an einem Treffen des Zusammenschlusses brasilianischer Studenten (UNE) in Brasilia. Dort sagte sie, dass die chilenische Universität keinerlei Lob verdiene, kritisierte pauschal das gesamte Erziehungswesen und erklärte: Nur ein zentralisiertes System, das komplett vom Staat finanziert werde, sei für Chile akzeptabel. Fakten scheinen für sie wenig zu zählen, so etwa, dass Chile im Pisa-Vergleich im Bereich der Naturwissenschaften in Lateinamerika an erster Stelle steht – weit vor Mexiko, Brasilien oder Argentinien.

Schon in ihrer Rede bei der Übernahme der FECH-Präsidentschaft im November vergangenen Jahres hatte sie erklärt, dass irgendein internationales Universitätsranking für sie völlig bedeutungslos sei, und nicht Individualismus, Kompetenz und persönliches Erfolgsstreben zählten, sondern Solidarität. Dazu komme, so Camila Vallejo, der Kampf gegen Sexismus und die machistische Grundstimmung der chilenischen Gesellschaft. Die FECH müsse im Übrigen wieder auf nationaler Ebene eine führende Rolle übernehmen und Kontakte aufbauen zu Arbeitern und Bauern und anderen sozial relevanten Gruppen. Die Rede ist jedenfalls das Bekenntnis zu einem – weit über die Universität hinausgreifenden – politischen Betätigungsfeld.

So ist Camila Vallejo denn auch längst außerhalb der Hochschulen präsent. Etwa bei politischen Veranstaltungen der Mapuche-Indianer, die den chilenischen Staat in den südlichen Landesteilen durch illegale Besetzungen, die Vallejo befürwortet, herausfordern.

Es gibt politische Beobachter, die die 23-Jährige schon an prominenter Stelle im nächsten Präsidentschaftswahlkampf in gut zwei Jahren sehen. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird auch davon abhängen, ob und wie die Regierung die Krise meistern kann und ob die Opposition – wie bisher – aus populistischen Überlegungen aufseiten der Studenten verharrt.

Hildegard Stausberg berichtet seit über 30 Jahren aus und über Lateinamerika – früher für die FAZ, dann die Deutsche Welle, heute für Die Welt

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