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Brexit - Britannien, lass uns nicht allein!

Kolumne Grauzone. Ein Grexit wäre die Erlösung, der Brexit eine Katastrophe. Großbritanniens Austritt aus der EU wäre für das Königreich keine großartige Akrobatik. Doch ohne die Briten droht die EU ein Verein idealistischer Schönfärber zu werden. Und der wahre Verlierer wäre Deutschland

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Also sprach die Königin: „We know that division in Europe is dangerous and that we must guard against it in the West as well as in the East of our continent. That remains a common endeavour.“ Danach erhob sie ihr Glas auf das Wohl des Bundespräsidenten und des deutschen Volkes.

Nun sind Worte der Königin äußerst auslegbar. Das liegt in ihrer Natur. Denn politische Stellung beziehen darf die Monarchin nicht. Also wurde viel interpretiert. Schnell einig waren sich die deutschen Kommentatoren, dass die Queen vor einer Spaltung Europas warnen wollte, insbesondere auch vor einem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union.

Das mag sein. Immerhin gehört die Königin sicher nicht zu den heimlichen Anhängern eines EU-Austritts Großbritanniens. Der europäische Hochadel war, allen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Trotz, schon aus dynastischen und familiären Gründen immer antiisolationistisch gesonnen. In dieser Tradition steht auch die Königin.

Der Brend als Folge des Brexit
 

Hinzu kommt: Einen Austritt Großbritanniens würde die Einheit des Königreiches auf das Höchste gefährden. Zumindest die Schotten würden wahrscheinlich umgehend eine Mitgliedschaft in der EU beantragen. Ein Brexit wäre eben auch ein Brend.

Gleichwohl waren die politischen Kommentatoren in ihrer einseitigen Deutung der königlichen Ansprache etwas voreilig – oder voreingenommen, ganz wie man will. Denn unmittelbar vor ihren mahnenden Worten hinsichtlich einer europäischen Teilung sprach die Queen über den walisischen Ingenieur John Hughes, der im 19. Jahrhundert Donezk gründete, und einen gewissen Richard Cant, der im 17. Jahrhundert von Schottland nach Pommern auswanderte und dessen Urenkel unter dem eingedeutschten Namen Kant Berühmtheit erlangte.

Der rhetorische Blick der Queen richtete sich also nach Osteuropa. Von Großbritannien und seiner Rolle in der EU war nicht im Entferntesten die Rede. Auch der Königin und ihren Redenschreibern ist der Unterschied zwischen dem Austritt eines Landes aus der EU und einer Teilung Europas bewusst.

Die Verlierer sind wir
 

Welche wirtschaftlichen Folgen ein Brexit hätte, darüber streiten sich die Fachleute mit Hingabe. In den deutschen Medien wird mit schöner Regelmäßigkeit der Eindruck erweckt, als sei ein Austritt Großbritanniens aus der EU eine Art Harakiri für das Königreich. So rechneten Bertelsmann Stiftung und IFO-Institut vor, dass ein Ausscheiden aus der EU der britischen Wirtschaft bis zum Jahr 2030 an die 313 Milliarden Euro kosten könnte.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kam hingegen eine vom Londoner Bürgermeister Boris Johnson in Auftrag gegebener Prüfbericht. Ein Austritt Großbritanniens, so sein Fazit, sei allemal besser, als ein Verbleib in einer nicht reformierten EU. Eine Steigerung der Wirtschaftsleistung um 370 Milliarden Euro bis 2034 sei, so die Studie, auch außerhalb der EU realistisch.

Lassen wir einmal dahingestellt, welche Studie der Wahrheit am nächsten kommt. Im Grunde handelt es sich hier um Kaffeesatzleserei. Was jedoch sicher ist: Der eigentliche Verlierer eines Brexit wäre nicht Großbritannien, der eigentliche Verlierer hieße Deutschland.

Das liegt nicht nur daran, dass deutsche Unternehmen für etwa 76 Milliarden Euro jährlich Waren und Dienstleistungen auf die Inseln exportieren und von dort für 42 Milliarden importieren. Die Katastrophe wäre vor allem eine politische.

Denn machen wir uns nichts vor: Ohne Großbritannien steht Deutschland gegenüber dem Block etatistisch geprägter Südstaaten allein und ohne nennenswerte Unterstützung dar. Kein anderes Land ist so wie Großbritannien von Liberalismus, Freihandel und Subsidarität geprägt. Keine andere Nation, schon gar nicht Frankreich, steht so für die Ideale der liberalen Aufklärung – erinnert sei nur an David Hume, Adam Smith oder John Stuart Mill.

Deutschlands natürlicher Verbündeter

 

Ohne den nüchternen Pragmatismus und harten Realitätssinn der Briten, der von verträumten Kontinentaleuropäern gern als schnödes Nützlichkeitsdenken abgetan wird, droht die EU ein Club idealistischer Schönfärber ohne Substanz zu werden – oder zu bleiben.

Europa braucht mehr Markt, mehr Deregulierung und vor allem sehr viel weniger Zentralismus. Ohne die Briten droht eine EU, die noch staatsgläubiger, noch regelungswütiger und noch planwirtschaftlicher agiert. Nur zusammen mit London hat Berlin die politische Kraft, die Reformverweigerer, Schuldenmacher und Umverteilungsspezialisten aus Südeuropa weiterhin auf Linie zu halten.

Wie wichtig Großbritannien zur Durchsetzung ist, zeigte sich 2013, als nur durch die unnachgiebige Haltung Londons – und gegen den Wunsch von Kommission, EU-Parlament und Südstaaten – ein Einfrieren des EU-Haushalts erreicht werden konnte.

Das alles hat auch damit zu tun, dass Großbritanniens Mentalität und Kultur, ebenso wie diejenige Hollands, der skandinavischen Länder und Deutschlands, tief protestantisch geprägt ist. Die unglückselige Geschichte unserer Länder darf nicht verstellen, dass das Vereinigte Königreich auch deshalb ein „natürlicher“ Verbündeter Deutschlands ist.

Wunderbares Albion, lass uns nicht allein!

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