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USA - Obamas Drohnenkrieg ist völkerrechtswidrig

Ende Mai hielt Barack Obama eine Rede zum Drohnenkrieg. Danach sollen „gezielte Tötungen“ mit Drohnen nur noch in engen Grenzen möglich sein. Der von Obama weiterhin befürwortete Drohnenkrieg widerspricht dem Völkerrecht, urteilt der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Nešković

Autoreninfo

Wolfgang Nešković ist ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Er gehörte von 2005 bis 2013 dem Deutschen Bundestag als Fraktionsmitglied der Partei Die Linke an.

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Zunächst müsste eine Festnahme der Zielpersonen geprüft werden, so Obama während seiner Rede. Außerhalb von Kriegsgebieten sollen Drohnenneinsätze die Ausnahme bleiben. Zivile Opfer seien zu vermeiden. Innerhalb der USA dürfe es nicht zu einem Drohneneinsatz kommen. Gleichzeitig erklärte der Präsident, auch fortan US-Bürger im Ausland gezielt zu töten, wenn ihre Festnahme nicht möglich sei. Der von Obama nach wie vor befürwortete Drohnenkrieg findet jedoch weiterhin keine Grundlage im Völkerrecht.

Auch bei asymmetrischen militärischen Konflikten unterscheidet das humanitäre Völkerrecht abschließend zwischen „Kombattanten“ und „Zivilisten“. Kombattanten sind die Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei. Sie dürfen allein aufgrund ihrer organisatorischen Zugehörigkeit – auch abseits von Kampfhandlungen – getötet werden. Für dieses Risiko erhalten Kombattanten den Schutz des Völkerrechtes. Sie sind im Falle der Ergreifung als Kriegsgefangene zu behandeln, dürfen insbesondere nicht gefoltert werden und stehen außerhalb strafrechtlicher Verfolgung. Weil die USA Terroristen foltern wollen, versagen sie ihnen demnach den Status der Kombattanten und müssten sie folglich als Zivilisten ansehen.

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Doch auch der Zivilist steht unter dem Schutz des Völkerrechtes. Getötet werden darf er nur, wenn er unmittelbar an feindlichen Kampfhandlungen teilnimmt. Außerhalb von Kampfhandlungen sind feindliche Zivilisten gegebenenfalls festzunehmen und der Strafverfolgung zuzuführen. Weil die USA Terroristen auch außerhalb von Kampfhandlungen mit Drohnen töten wollen, versagen sie ihnen den Status feindlicher Zivilisten.

Folglich konstruierten amerikanische Juristen eine Theorie, die sowohl die Folterung als auch die jederzeit mögliche Tötung von vermeintlichen oder echten Terroristen ermöglichen soll. Nach dieser Theorie existiere zwischen Zivilist und Kombattant ein dritter Status, der des „ungesetzlichen Kombattanten“. Weil dieser sich selbst „unlawful“ verhalte, sich also außerhalb des Rechts stelle, genieße er auch nicht dessen Schutz. Die Argumentation ist geistig winzig und politisch unerträglich. Denn selbstverständlich ist es eine Grundidee des Rechtes, dass es auch demjenigen gegenüber zur Anwendung kommt, der es bricht. Auch die Verbindlichkeit des Völkerrechts ist selbstverständlich nicht von seiner gegenseitigen Einhaltung abhängig. Es verpflichtet jede Konfliktpartei unabhängig von der anderen. Nur so lässt sich der in Kriegen üblichen gegenseitigen Verrohung wirkungsvoll entgegenwirken – ein Hauptziel des humanitären Völkerrechtes.

Die juristische Annahme, den Gegner nicht nur jederzeit töten, sondern auch bei dessen Ergreifung foltern und verurteilen zu dürfen, ist eine kriegsgetriebene Verrohung.

Die von Obama nun angekündigte Mäßigung der Verrohung ist keine. Obama hat nicht die Rücknahme des Rechtsbruches angekündigt. Er kündigte an, den Rechtsbruch erträglicher zu machen, ihn neuen Regeln zu unterwerfen. Nichts ist bedrohlicher für die zivilisatorische Errungenschaft des Rechts als seine geregelte Unterwanderung. Denn erst diese Vorgehensweise gibt dem den Rechtsbruch die Maske der Rechtmäßigkeit und lässt ihn im Wege der Gewöhnung tatsächlich zu Gewohnheitsrecht erstarken.

Ein Teil der Rede des Präsidenten blieb hierzulande fast unkommentiert. Das war die Ankündigung, auch fortan amerikanische Staatsbürger im Ausland gezielt zu töten. Die Erosion der Rechtsstaatlichkeit hat nun ihr Mutterland erreicht und sie zersetzt die amerikanische Verfassung an entscheidender Stelle. Im 5. Zusatzartikel der Verfassung heißt es dazu: "Niemand darf (...) des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz beraubt werden."  Für diesen Grundsatz, für seine Verwirklichung und Verteidigung haben Amerikaner einst mit dem Leben bezahlt. Nun verlieren Amerikaner ihr Leben, weil der Grundsatz von ihrer Regierung missachtet wird.

Das Verhältnis der Vereinigten Staaten zum Völkerrecht und zu ihrer eigenen Verfassung trägt suizidale Züge. Es waren die USA, die vor den meisten anderen Ländern die Verfassung zum Maßstab der staatlichen Macht erhoben. Es waren die USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg ganz maßgeblich für eine weitere Verrechtlichung der Völkerrechtsbeziehungen eintraten. Die Gründung der UNO, die Verrechtlichung der Kriegsgründe, der Nürnberger Prozess und die Erhebung der Menschenrechtsfrage in den Rang der Außenpolitik waren ganz vornehmlich nordamerikanische Exportartikel. Die USA waren zwar niemals vorbildlich in der Einhaltung ihrer eigenen Prinzipien. So brachen sie auch dasselbe Recht, zu dessen Verteidiger und Verbreiter sie sich erklärten (Vietnam, Chile, Nicaragua, Grenada). Doch in den Jahren des Kalten Krieges blieb der Bruch des Rechtes immerhin das gebrochene Recht. Nun droht das Zeitalter des geregelten Rechtsbruches.

Es gibt nur ein Mittel der Abhilfe. Völkerrecht entsteht auch durch Übung und Anerkennung. Wer die Praxis der USA zurückdrängen will, muss ihren Grundnahmen öffentlich entgegentreten. Nicht der Rechtsbruch bedarf der Regelung, sondern das Recht verlangt nach dessen Verteidigung durch Widerspruch.

Wolfgang Nešković, Jahrgang 1948, ist der einzige fraktionslose Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Er war bis 2005 Richter am Bundesgerichtshof.

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