Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Plumpe Stimmungsmache gegen den Islam

US-Redefreiheit - „Unterstütze Israel, besieg den Dschihad“

In den USA ist die Meinungsfreiheit ein so hohes Gut, dass sie auch dem öffentlichen Frieden nicht weichen muss. Eine antimuslimische Initiative wartet derzeit flächendeckend in US-amerikanischen Großstädten mit Werbeplakaten auf. Wie reagiert die Gesellschaft?

Die Botschaft auf der Werbetafeln, etwa 1,50 Meter breit und einen Meter hoch, ist eine Kampfansage: „In jedem Krieg zwischen dem zivilisierten Menschen und dem Barbar, unterstütze den zivilisierten Menschen. Unterstütze Israel, besiege den Dschihad.“ Zu sehen und zu lesen ist die Tafel seit einiger Zeit täglich von zehntausenden Menschen auf vier zentralen U-Bahnhöfen in Washington D.C.

Einer davon ist Takoma, ganz im Norden der Stadt, an der Grenze zu Maryland. „Das Plakat ist eine Schande, man sollte es verbieten“, sagt Lewis Washington, der gerade auf den Bahnsteig kommt. Der 42-Jährige ist wütend. Er wohnt in der Gegend, fährt fast jeden Tag mit der U-Bahn. „Die maßen sich an zu entscheiden, was zivil und was barbarisch ist. Übel, wirklich übel.“

[gallery:Von Salman Rushdie bis zum Mohammed-Video – Der Zusammenprall der Kulturen]

Geschaltet wurde die Werbung von einer Gruppe mit dem Namen „American Freedom Defense Initiative“ (AFDI). Sie besteht aus ein paar Bloggern, die den Islam verantwortlich machen für Gewalt und Terror. Bezichtigt man sie der Islamfeindschaft, lautet ihre  Entgegnung, sie seien nicht islamophob, sondern islamorealistisch. Außer in Washington D.C. waren die Plakate bereits in San Francisco und New York zu sehen. In Amerikas Hauptstadt kostet die Kampagne 5600 Dollar pro Monat.

Bereits im Vorfeld freilich hatte es Krach gegeben. Die für die U-Bahn-Werbung zuständige Firma „CBS Outdoor“ witterte Ungemach. Durch die zeitliche Nähe zu den gewaltsamen Protesten in der muslimischen Welt gegen das Youtube-Video „The Innocence of Muslims“ befürchtete sie eine Störung des öffentlichen Lebens auch in Washington D.C. Zumindest verschieben wollte sie die Aktion.

Doch AFDI zog vor Gericht – und gewann. Das Urteil wurde am 5. Oktober verkündet. Die AFDI-Anwälte jubelten. „Das ist nicht nur ein Sieg für uns und den ersten Verfassungszusatz, sondern auch für alle Amerikaner, die die Freiheit lieben“, sagte einer von ihnen. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in Amerika. Sie wird durch den ersten Verfassungszusatz garantiert. Nirgendwo sonst auf der Welt wird das Recht auf diese Freiheit so hoch gehalten wie hier.

Doch es gibt eine andere, die verwundbare Seite dieses Rechts. Amerika ist ein Einwanderungsland. Keiner soll sich ausgeschlossen oder missachtet fühlen. Amerikas Geschichte ist auch eine Geschichte des Kampfes gegen Vorurteile (ob gegenüber Frauen, Schwarzen, religiösen Minderheiten, Homosexuellen). Ist die Verletzung von Gefühlen nicht auch eine Form der Körperverletzung?

Es gibt einen Passus im amerikanischen Rechtssystem, der in der Tat eine Brücke schlägt zwischen physischer und psychischer Gewalt. Er heißt „intentional infliction of emotional distress“ (frei übersetzt: die vorsätzliche Verursachung seelischer Pein). Wer diesen Strafbestand erfüllt, kann zur Rechenschaft gezogen werden.

Auf der folgenden Seite: Wo verläuft die Grenze zwischen physischer und psychischer Gewalt?

Doch wo anfangen, wo aufhören? Ein Kleinkind leidet, wenn es seiner Ansicht nach zu früh ins Bett geschickt wird; ein Schulkind leidet, wenn es seiner Ansicht nach zu schlecht benotet wird; ein Teenager leidet beim ersten großen Liebeskummer; ein Übergewichtiger leidet, wenn er auf dem Sportplatz gehänselt wird; ein Stotterer leidet, wenn man über seine Aussprache lacht; es soll sogar Blondinen geben, die sich über Blondinenwitze empören. Psychische Schmerzen sind offenbar ein Teil des Lebens. Und wie stark sie sind, weiß nur der, der sie empfindet.

Worte können wie Schläge verletzen, aber im Unterschied zu diesen sind jene nicht verboten. Denn Reden zu dürfen, ist ein Recht, schlagen zu dürfen nicht.

Einer, der die Meinungsfreiheit radikal verteidigt, ist Jonathan Turley von der George Washington University. Er ist gegen alle Gesetze, die diese Freiheit einschränken. „Zensur siegt nie über falsche Ansichten“, beteuerte er Anfang der Woche gegenüber dem Tagesspiegel, „sondern im Gegenteil: Falsche Ansichten werden durch Zensur erst genährt.“

[gallery:Wer ist Mitt Romney? Ein Kandidat zwischen Fettnäpfchen und Hoffnungsträger]

Das gelte auch für das deutsche Holocaustleugnungsverbot. „Die Leugnung des Holocaust ist eine offenkundige Lüge, aber diese Lüge lässt sich nur durch die Wahrheit bekämpfen, nicht durch die Unterdrückung des Redners“, sagt Turley. Das Verbot der Holocaustleugnung sei sogar kontraproduktiv. Die Debatte werde in den Untergrund gedrängt, die Nazis könnten sich einen Unterdrückten-Status geben.

Laut Turley ist die Meinungsfreiheit inzwischen weltweit gefährdet – auch durch den Westen und die USA. In der „Washington Post“ listete er dafür unlängst diverse Beispiele auf: In Frankreich sei Brigitte Bardot wegen antimuslimischer Bemerkungen verurteilt worden; in Griechenland ein Atheist, der einen Mönch beleidigte; in Großbritannien ein 15-jähriges Mädchen, das den Koran verbrannte; die russische Duma forciere die Blasphemie-Gesetzgebung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, sagt Turley, werde zunehmend im Namen der Toleranz und des gegenseitigen Respekts beschnitten. Die Gesellschaft tue aus guten Gründen das Falsche.

Auf der folgenden Seite: Wie begegnet man Hassreden ohne Verbote?

Die globale Gemeinschaft derer, die sich ihre Gefühle per Gesetz schützen lassen wollen, wächst schnell. Muslimische Organisationen schließen sich im Geiste mit dem Vatikan zusammen, Atatürk-Anhänger mit Holocaust-Überlebenden, Anti-Kommunisten mit Homosexuellen.

[gallery:Die Vita der Kandidaten - Barack Obama]

Auch international liegt die Toleranz-durch-Intoleranz-Bewegung im Trend. Auf Antrag der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit“ verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat in Genf im März 2007 eine Resolution für ein weltweites Verbot der öffentlichen Diffamierung von Religionen. Darin wird ausdrücklich Bezug genommen auf anti-muslimische Ressentiments in den USA seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Im März 2011 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat dann erneut eine Resolution, deren voller Name lautet: „Bekämpfung von Intoleranz, negativer Stereotypisierung und Stigmatisierung von, bzw. die Diskriminierung, Aufruf zu Gewalt und Gewalt gegen Personen auf der Basis von Religion und Glauben“. Im Dezember 2011 wurde die Resolution von der UN-Generalversammlung bestätigt.

In Washington D.C. haben sich in dieser Woche Dutzende von religiösen Gemeinschaften zusammengeschlossen, um der Werbekampagne der AFDI etwas entgegenzusetzen. Die Gruppe nennt sich „Shoulder to Shoulder“ und will antimuslimische Vorurteile bekämpfen. Jetzt ist gleichzeitig ihre Botschaft in den U-Bahnhöfen zu lesen. Auf dem Bahnsteig von Takoma hängt das Plakat nur 20 Meter von dem anderen entfernt. Auf dem grünen Banner von „Shoulder to Shoulder“ steht: „Hate speech is not civilized. Support peace in word and deed“ (Hass-Reden sind nicht zivilisiert. Unterstütze den Frieden in Wort und Tat).

So geht’s auch.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.