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Ukraine - „Unser Land ist kein Boxring“

Der frühere Wirtschaftsminister der Ukraine, Bohdan Danylyshyn, erhebt schwere Vorwürfe gegen die EU. Man habe zugeschaut, wie Russland in der Ukraine einen regelrechten „Wirtschaftskrieg“ führte. Den Oppositionellen Vitali Klitschko zu unterstützen, hält der frühere Parteigänger von Julia Timoschenko auch für falsch

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Bohdan Mykhailovych Danylyshyn war im zweiten Kabinett von Julia Timoschenko (2007 bis 2010) Wirtschaftsminister der Ukraine. Im August 2010 wurde er wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt. Danylyshyn floh in die Tschechische Republik, wo er politisches Asyl erhielt. Im September dieses Jahres stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn ein.

 

Herr Danylyshyn, in Kiew ging die Polizei dieser Tage teils gewaltsam gegen Demonstranten vor. Erkennen Sie Ihr Land noch wieder?
Ich habe zurzeit ganz unterschiedliche Gefühle. Die Ukraine ist eine junge Demokratie – aber sie ist tief gespalten. Es muss uns gelingen, das Volk wieder zusammenbringen, denn das Land braucht eine grundlegende Modernisierung. Das Assoziierungsabkommen mit der EU hätte dabei geholfen.

Präsident Viktor Janukowitsch hat dieses Abkommen aber platzen lassen. Zwar beteuerte er gegenüber der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, er wolle es nun zeitnah umsetzen. Doch bislang haben die Demonstranten vergeblich darauf gewartet. Auf wen sollte die EU in dieser Frage zugehen?
Da muss ich trotzdem den Präsidenten nennen. Er wurde vom Volk gewählt.

Julia Timoschenko, mit der Sie das Land gemeinsam regierten, hat Janukowitsch zum Rücktritt aufgefordert.

Ich wünsche Frau Timoschenko die Freiheit. Ein Regierungswechsel kann aber nur durch Wahlen erfolgen. Ich fürchte, dass solche Aufrufe nur die Spaltung der Ukraine vertiefen – und sogar zu Gewalt führen könnten. Deswegen lade ich alle politischen Kräfte zum Gespräch ein.

Genau diesen Dialog möchte Timoschenko nicht. Sie sagte: „Keine Verhandlungen mit der Bande, keine Runden Tische mit ihnen.“
Ich möchte auf keinen Fall, dass jemand auf der anderen Seite auch „Bande“ ruft und wir dadurch einen Krieg bekommen.

Sagen Sie, dass Timoschenkos Aufruf Gewalt provoziert?
Ich möchte, dass dieser Aufruf nicht zu Gewalt führt, sondern zu einem konstruktiven Dialog. Gleichzeitig muss die Regierung ihre eigenen Fehler korrigieren. Es geht nicht, dass Janukowitsch dem Volk erst Hoffnungen auf eine Annäherung an die EU macht und dann plötzlich seine Meinung ändert. Er muss endlich die Reformen umsetzen. Und die Europäische Union sollte die Ukraine nicht als Forschungslabor betrachten, sondern sich an diesem Dialog beteiligen.

Teil dieses Laborexperiments ist zu gucken, wie Merkel und Putin ihren Machtkampf austragen.
Ich glaube kaum, dass die Ukraine ein Ort für solche Machtspielchen ist. Fakt ist aber auch: Die EU hat dabei zugeschaut, wie Russland einen regelrechten Wirtschaftskrieg in der Ukraine angezettelt hat, in dessen Folge wir mehr als vier Milliarden US-Dollar verloren haben.

Was ist denn so falsch an billigem Gas aus Russland in einer eurasischen Zollunion? Sie waren doch auch mal Wirtschaftsminister.
Ein billiger Gaspreis macht die Ukraine doch nur noch abhängiger von Russland. Wir müssen unseren Gasverbrauch begrenzen – und eigene Ressourcen fördern. Sonst wird der demokratische Prozess nicht vorangehen. Wir wollen auch nicht Russlands Zollunion beitreten, sondern allenfalls als Beobachter tätig sein. Die Ukraine ist bereits Mitglied in der Welthandelsorganisation. Weißrussland und Kasachstan sind das übrigens nicht – weshalb wir einen schnellen Beitritt dieser beiden Staaten begrüßen würden. Übrigens muss auch unsere Landwirtschaft wettbewerbsfähiger werden, da hoffen wir auf die EU.

Was hätte die EU im Vorfeld des Assoziierungsabkommens denn anders machen müssen?
Die Europäische Union hätte die Schwierigkeiten früher absehen müssen. Es gab ja auch nie eine Reaktion darauf.

Hat sich Brüssel zu sehr auf den Fall Timoschenko versteift?
Timoschenko hat die Ukraine aufgefordert, das Abkommen zu unterschreiben – unabhängig von der Frage, ob sie nun im Gefängnis bleibt oder nicht. Damit hat sie doch die nationalen Interessen über ihre eigenen gestellt.

Inzwischen haben die westlichen Partner einen neuen Verbündeten gefunden: Vitali Klitschko.

Es ist sehr gut, dass sich Europa auf Vitali Klitschko konzentriert: ein erfolgreicher Sportler mit perfekten Ergebnissen in seiner Disziplin. Aber politischer Erfolg und sportlicher Erfolg sind zwei verschiedene Dinge. Unser Land ist kein Boxring, auf den wir mit Spannung schauen und uns fragen, wer zuerst fallen wird: Klitschko oder die Ukraine?

Angela Merkel hat Außenminister Westerwelle zu Klitschko geschickt. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mischte sich unter Klitschkos Demonstranten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz. Und die Europäische Volkspartei in Brüssel will Klitschko als Oppositionsführer aufbauen.
Ich glaube kaum, dass diese politischen Akteure nur gekommen sind, um Klitschko zu helfen. Sie wollen das europäische Volk unterstützen. Ich möchte, dass alle EU-Partner verstehen, dass es nicht so sehr um einzelne Politiker gehen darf, die in der Ukraine in der Regel leider nicht unabhängig sind. Hinter ihnen steht eine starke wirtschaftliche Lobby. Da stehen Oligarchen, die das System dominieren. Rund 80 Prozent der ukrainischen Wirtschaft wird von vielleicht zehn Clans kontrolliert.
Zuerst muss die Ukraine ihre Zivilgesellschaft weiter aufbauen. Erst danach kann man über qualitative Änderungen sprechen. Sonst wiederholen sich die Fehler der Orangenen Revolution 2004.

Wem trauen Sie diesen zivilgesellschaftlichen Aufbau denn eher zu: Timoschenkos Vaterlandspartei oder Klitschkos UDAR-Partei?
Erst 2015 gibt es in der Ukraine wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Bis alle ukrainischen politischen Akteure einen Konsens gefunden haben, können wir leider nicht über die weitere politische Entwicklung sprechen.

Fürchten Sie eine Spaltung der proeuropäischen Opposition?
Die Opposition sieht so aus, wie sie aussieht. Es gibt keine deutliche politische Mehrheit. Für die Ukraine darf es nur ein Ziel geben: Europa. Das ist die eine Idee, die alle verbinden muss. Wir müssen alle politischen Kräfte sammeln, um dieses Assoziierungsabkommen zu unterschreiben. Leider sind die politischen Ambitionen unserer politischen Führer zu groß, um diese Schritte zu machen.

Auch die in der Vaterlandspartei? Ist Timoschenko also doch nicht so uneigennützig, wie Sie vorhin gesagt haben?
All diese Proteste haben ausschließlich einigen Spitzenpolitikern genutzt. Es fehlt ein Anführer, der die Ukraine in eine neue Richtung führen könnte. Ich wünsche mir, dass diese Person aus einer neuen Formation kommt. Jung, neu.

Sie würden bei Neuwahlen aber schon die Vaterlandspartei wählen?
Ich werde für die europäische Zukunft der Ukraine stimmen.

Herr Danylyshyn, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge. Danylyshyn hielt sich in Berlin auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik auf. Fotos: picture alliance, Dirk Enters/DGAP

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