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Ukraine - Die EU sollte nicht nur für Timoschenko kämpfen

Die EU setzt in der Ukraine auf falsche Prioritäten: Statt alles von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko abhängig zu machen, sollte Brüssel der Ukraine eine echte Beitrittsperspektive bieten

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Ewald Böhlke leitet das Berthold-Beitz-Zentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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Zwar beteuern sowohl die EU als auch die Ukraine nach wie vor, ein Abkommen unterzeichnen zu wollen. Doch auf dem Gipfeltreffen Ende November in Vilnius wird es wohl nicht dazu kommen. Was fehlt, ist eine wahre Beitrittsperspektive für die Ukraine. Doch dazu kann sich Brüssel bis heute nicht durchringen. Als Kompromiss bietet die EU eine enge Kooperation im Rahmen der Östlichen Partnerschaft an – für die sie aber nahezu dieselben Standards wie für eine Vollmitgliedschaft voraussetzt. Diese Uneinigkeit über das Ziel ihrer Zusammenarbeit – Assoziierung oder Mitgliedschaft – müssen EU und Ukraine ausräumen. Denn nur die Beitrittsperspektive mobilisiert in dem Land die nötigen Kräfte, um den gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Umbau zu stemmen, vor dem die Ukraine steht.

EU-Politik geht nicht ausreichend auf die Probleme des Landes ein

Die Ukraine kämpft mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen. Etwa acht Millionen Ukrainer haben bereits ihr Land verlassen, um im Ausland Arbeit zu finden – eine gewaltige Zahl angesichts der insgesamt nur 22,5 Millionen Einwohner im erwerbsfähigen Alter. Kiew hat erkannt, dass die Vorteile eines Freihandelsabkommens mit der EU überwiegen. Doch die wenigsten ukrainischen Produkte sind in der EU konkurrenzfähig. Die Auswirkungen auf wichtige Branchen wie die Chemieindustrie oder den Maschinenbau wären gewaltig. Auch die starken wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem russischen Markt stellen eine Gefahr dar: Ein Abbruch des bisherigen Handels würde etwa den Luftverkehr oder die petrochemische Branche in eine schwere Krise stürzen. Moskau aber schließt aus, dass die Ukraine nach einer Assoziierung mit der EU Mitglied der russisch geführten Zollunion sein kann.

Die aktuelle Ukraine-Politik der EU reicht nicht, um bei der Bewältigung dieser Probleme zu helfen. Durch die vorgesehene Abschaffung der Zölle würden zwar jene ukrainischen Exporteure profitieren, die bereits Waren in die EU liefern, doch der Konkurrenzdruck auf die übrigen Branchen und Unternehmen würde steigen. Um den höheren EU-Standards zu entsprechen, ist eine umfassende Modernisierung der Wirtschaft von Nöten. Die ukrainische Regierung schätzt den Bedarf an Investitionen auf 160 Milliarden Euro. Doch auch hierfür fehlt bisher eine Finanzierungsstrategie seitens der EU, noch sind private Investitionen in dieser Größenordnung in Sicht.

Die jetzige EU-Politik ist daher gescheitert, denn sie geht nicht ausreichend auf die Probleme des Landes ein. Bis heute fehlen der EU wirksame Strategien und Instrumente, um die Ukraine bei der umfassenden Modernisierung ihres Verwaltungs- und Justizapparates zu unterstützen, und um zu gewährleisten, dass der Acquis Communautaire übernommen werden kann.

Der Fall Timoschenko verstellt den Blick

Die wirtschaftliche Modernisierung und die Anhebung des Lebensstandards sind für Kiew die zentralen Punkte in den Beziehungen zur EU. Brüssel übersieht die Chancen für einen modernisierten Staatsaufbau in seiner östlichen Nachbarschaft. Sie liegen vor allem in der Einbeziehung der Bevölkerung, wie die Erfahrungen der EU-Osterweiterung gezeigt haben. Um den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern, müsste die EU etwa die für die Ukraine so wichtigen kleinen und mittleren Unternehmen fördern und Strategien für jene Industriezweige entwickeln, die dem Wettbewerbsdruck auf dem europäischen Markt voraussichtlich nicht standhalten werden. Auch der Umbau monoindustrieller Regionen bedarf besonderer Aufmerksamkeit.

Doch statt einer maßgeschneiderten Integrationspolitik verstellt der Fall um die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko den Blick auf diese Herausforderungen. An ihr misst die EU die ukrainischen Fortschritte auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit. Zwar verlangt Brüssel völlig zurecht, die Praxis selektiver und politisch motivierter Justiz zu überwinden. Doch genau das Gegenteil geschieht im Fall Timoschenkos, indem die EU statt eines unabhängigen rechtsstaatlichen Verfahrens einen weiteren Fall selektiver Justiz fördert.

Die Mitgliedstaaten sind sich nicht nur außenpolitisch uneins. Generell sind die Bedingungen für eine aktive europäische Außenpolitik momentan ungünstig: Noch immer wird die EU durch die Schuldenkrise gelähmt – und ist daher vor allem mit sich selbst beschäftigt. Mit ihrem gängigen Prinzip „mehr für mehr“, bei dem Brüssel Reformfortschritte mit neuen Hilfen belohnt, versucht die EU zwar, der ukrainischen Politik Impulse zu geben, doch dabei weckt sie Erwartungen, die an der Realität in dem Land vorbeigehen.

Die angestrebte Assoziierung ist zwar Voraussetzung für eine erfolgreiche Handelspartnerschaft mit der EU. Die Bereitschaft der Gesellschaft für Reformen kann sie aber nur bedingt steigern. Nötig ist daher eine klare europäische Perspektive, verbunden mit einer realistischen, auf die Ukraine zugeschnittenen sozialen und wirtschaftlichen Integrationspolitik. Nur das weckt die nötigen Kräfte für den institutionellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbau.

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