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Putins Friedensplan - Der Ostukraine droht das Transnistrien-Schicksal

Die Ukraine hat mit den Separatisten eine Waffenruhe vereinbart. Sollte Putins Friedensplan umgesetzt werden, wäre das ein Erfolg für Moskau und eine Niederlage für Kiew. Denn damit würde der Konflikt zu einem eingefrorenen – der Ostukraine könnte es bald wie der von Moldau abtrünnigen Provinz Transnistrien ergehen

Oliver Bilger

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Oliver Bilger arbeitet als freier Journalist in Moskau und lebt zurzeit in der Republik Moldau. Foto: privat

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Den Jahrestag der selbst erklärten Unabhängigkeit feierte Transnistrien mit einer Kranzniederlegung vor dem Kriegsdenkmal und Musikstars aus Moskau. Anfang September vor 24 Jahren, während die Sowjetunion zerfiel, wehrte sich die russischsprachige Bevölkerung in der Region gegen die von der Republik Moldau betriebene Annäherung an Rumänien. Im Frühjahr 1992 folgte ein kurzer, blutiger Bürgerkrieg, bis die russische Armee eingriff. Seitdem ist der Konflikt eingefroren – eine Situation, die sich nun im Südosten der Ukraine wiederholen könnte.

Der von Präsident Wladimir Putin präsentierte Friedensplan könnte der Beginn eines neuen „frozen conflicts“ sein, bei dem zwar die Waffen ruhen, die Spannungen jedoch ungelöst bleiben. Solche Auseinandersetzungen gibt es nicht nur in Transnistrien, sondern in der ehemaligen Sowjetunion auch in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien sowie in der Region Berg-Karabach, um die sich Armenien und Aserbaidschan seit Jahren streiten.

Putins Friedensplan sieht den Abzug ukrainischer Truppen aus den umkämpften Gebieten und Städten wie Donezk und Lugansk vor. Sicherheitszonen sollen eingerichtet, internationale Beobachter zugelassen werden. Mit „Reparaturbrigaden“ will Moskau die zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen. Über die Bewachung der russisch-ukrainischen Grenze sagt der Friedensplan nichts. Dies schürt die Angst vor weiteren unkontrollierten Übertritten russischer Truppen.

„Neurussland“ als Stachel im Fleisch der Ukraine


Der Plan ist ein Erfolg für Moskau und eine Niederlage für Kiew. Zwar soll er den Krieg endlich stoppen, doch verliert die ukrainische Regierung ihren Einfluss auf das Gebiet. Stattdessen werden die Separatisten gestärkt, ein neues russisches Protektorat entstünde. „Neurussland“ säße wie ein Stachel im Fleisch der Ukraine. Eine Annäherung an die Europäische Union und die Nato wären schwieriger denn je. Stattdessen bliebe die Ukraine ein Puffer zwischen dem Westen und Russland. Denn ein gefrorener Konflikt kann bei Bedarf auch schnell wieder auftauen. Der Kreml verfügt über ein Bedrohungspotenzial und somit über Macht und Einflussnahme auf die Ukraine und deren Politik.

Wie genau die Zukunft der Südostukraine aussehen wird, lässt sich schwer vorhersagen. Doch der Blick in andere Konfliktgebiete wie Transnistrien zeigt aufgrund von Parallelen ein denkbares Zukunftsszenario. Und das verheißt wenig Gutes: In der von Moldau abtrünnigen, isolierten Region lähmt der Konflikt Politik und Wirtschaft sowie das Leben der Bürger. Eine Lösung der Probleme ist nicht absehbar. Seit Jahren gibt es Verhandlungen, sie werden unterbrochen, abgesagt, verlegt, weitergeführt. Sie bringen nur wenig Fortschritt.

Transnistrien funktioniert heute faktisch wie ein eigener Staat mit einer entsprechenden Infrastruktur: Es gibt einen Präsidenten, eine Regierung und Ministerien. Die Grenzen zu Moldau und zur Ukraine bewacht der Geheimdienst, der noch immer den Namen KGB trägt. Es gibt Pässe, die außerhalb der Region jedoch nutzlos sind. Völkerrechtlich zählt Transnistrien weiterhin zur Republik Moldau. Kein Land erkennt den schmalen Landstrich an der Grenze zur Ukraine als souveränen Staat an. Das Außenministerium, das in einem dreistöckigen Haus im Zentrum der Hauptstadt Tiraspol residiert, hält vor allem Kontakt mit Moskau.

Transnistrien will unabhängig werden


Transnistrien fordert die Anerkennung als unabhängiger Staat. In einem zweiten Schritt will das Gebiet der Russischen Föderation beitreten. Eine halbe Million Menschen leben in der Region, Russen, Ukrainer, Moldauer. Sie verfolgten gespannt, wie schnell die Angliederung der Halbinsel Krim an Russland vonstatten ging. In Transnistrien wünscht sich die große Mehrheit ein identisches Szenario, macht sich aber nur wenig Hoffnung auf eine schnelle Veränderung ihrer Situation.

Russland nutzt der eingefrorene Konflikt, um Einfluss auf die Republik Moldau auszuüben, vor allem, um eine Annäherung an den Westen zu bremsen. Eine pro-europäische Regierung hat im Sommer ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit Brüssel unterzeichnet und strebt die EU-Mitgliedschaft an. Moskau aber sieht die ehemalige Sowjetrepublik weiter in seiner Einflusszone, möchte die kleine Republik in der Eurasischen Zoll- beziehungsweise Wirtschaftsunion sehen.

Moskau spricht sich deshalb für einen Autonomiestatus Transnistriens innerhalb der bestehenden Grenzen Moldaus aus. Die Region wäre dann in die Regierungsstrukturen eingebunden. Bei Wahlen würden außerdem pro-russische Kandidaten von den Stimmen aus Transnistrien profitieren, allen voran die Kommunisten, die noch immer eine wichtige Rolle in Moldau spielen.

Kreml finanziert die abtrünnige Provinz


Gleichzeitig sorgen russische Truppen, die in Transnistrien stationiert sind, für Nervosität bei den Nachbarn: sowohl in Moldau, als auch im angrenzenden Rumänien, in der Ukraine und bei der Nato. Seit Monaten fürchtet man dort einen möglichen Einfall der Soldaten in der Ukraine oder einen russischen Durchmarsch aus der Ostukraine bis nach Transnistrien. Dabei hatte Russland den Abzug aus Transnistrien schon vor Jahren zugesichert. 1500 Soldaten sind aber nach wie vor in der Gegend stationiert.

Den Einfluss auf die Region lässt sich der Kreml einiges kosten. Früher zählte die Sowjetrepublik zu den wohlhabendsten. Seit dem Zerfall ist Transnistrien eine der ärmsten Regionen Europas. Ohne finanzielle Hilfe aus Moskau kann Transnistrien kaum überleben. Russland pumpt günstiges Gas in die Provinz, stockt die spärlichen Renten auf, baut Krankenhäuser und Schulen.

Die noch aus Sowjetzeiten stammende Schwerindustrie der Region befindet sich größtenteils in den Händen russischer Investoren. Moskau vertritt also auch Geschäftsinteressen. Dabei kämpft die Wirtschaft mit vielen Problemen: Unklare Eigentumsrechte lassen Unternehmer nur schwer Kredite im Ausland aufnehmen. Ihre Geschäfte müssen sie über Konten bei russischen Banken abwickeln. Die eigene Währung, der transnistrische Rubel, erschwert Transaktionen. Zudem klagt Transnistrien über eine Wirtschaftsblockade von moldauischer Seite. Die verlangt seit Jahren, dass transnistrische Unternehmen in Moldau registriert sind und Steuern zahlen. Tiraspol sieht sich einer Doppelbelastung ausgesetzt.

Kaum Annäherung


Das Freihandelsabkommen, das Moldau mit der EU geschlossen hat, lehnt Transnistrien ab. Dabei könnte der Landstrich davon profitieren, denn viele Exporte von Stahl und Textilien gehen bereits nach Europa. Stattdessen kündigte die Regierung an, die Wirtschaft der Region noch stärker auf Russland auszurichten. Wirtschaftsexperten zufolge könnte sich Transnistrien zu einem attraktiven Standort für den Handel zwischen Ost und West entwickeln. Doch langfristige Pläne gibt es in Transnistrien kaum. Stattdessen werden kurzfristige Entscheidungen getroffen.

So wirkt Transnistrien nicht selten, als stehe es still. Mindestens 200.000 Menschen haben offiziellen Angaben zufolge seit der Unabhängigkeit die Region verlassen, auf der Suche nach einem besseren Leben. Wer bleibt, lebt oft von kaum mehr als 200 Euro im Monat. Oder er erhält Geld von Verwandten aus dem Ausland. In dem Landstrich gibt es mehr Rentner als Arbeitsplätze.

Inzwischen ist eine neue Generation heran- und in den Konflikt hineingewachsen. Sie ist geprägt vom schlechten Image, das die Propaganda auf beiden Seiten im Land vom jeweils anderen verbreitet. Annäherung gibt es wenig. Moldau und Transnistrien driften weiter auseinander.

Die idealistischen Gründe für die Unabhängigkeitsbestrebungen von einst hätten viele Menschen inzwischen vergessen, sagen Beobachter. Stattdessen seien die Einwohner pragmatisch und wollten dort leben, wo es ihnen besser gehe. Und wer von den Zahlungen aus Moskau profitiere, der unterstütze den Ostkurs Transnistriens.

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