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TTIP - Die letzte Chance für den Freihandel

Gegner des geplanten Freihandelsabkommens TTIP fürchten vor allem eine Absenkung der europäischen Standards. Doch viele Eurokrisenländer stehen dem Abkommen viel positiver gegenüber als die Deutschen. Ein Gastbeitrag

Autoreninfo

Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm für Globalisierung und Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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Seit Juli 2013 verhandeln die EU und die USA über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP. Es wäre das größte Freihandelsprojekt, das die EU jemals eingegangen ist. Eine einmalige Chance für Wachstum und Wohlfahrtsgewinne. Doch die Verhandlungen gestalten sich zäh, und in der Bevölkerung – besonders der deutschen – wachsen Skepsis und Kritik.

Viele Gegner befürchten, dass durch die angestrebte Harmonisierung die hohen europäischen Standards, etwa für die Lebensmittelindustrie, aufgeweicht und abgesenkt werden – Sinnbilder sind etwa das berüchtigte Chlorhuhn, Hormonfleisch oder Genfood, das massenhaft auf den Tellern in Europa landen könnte.

Ein weiteres Schreckgespenst sind die umstrittenen Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. NGOs und Parteien wie Grüne und SPD äußern Bedenken, dass Unternehmen an den Gerichten vorbei durch geheime Schiedsgerichtsverfahren die bisherigen Standards im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz durch die Hintertür aushebeln könnten.

Die EU hat ein Glaubwürdigkeitsproblem


Die EU-Kommission hat sich viel Zeit gelassen, ehe sie auf die Kritik reagierte. Sie hofft nun, mit neuen Gesichtern wie dem der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und einer Transparenzoffensive die Stimmung umzukehren. Im Herbst 2014 machte die Kommission das Mandat, das die EU-Regierungen der Kommission für die Verhandlungen mit den USA erteilt haben, frei zugänglich. Seither veröffentlicht sie regelmäßig Positions- und Verhandlungstexte. Gleichzeitig versichern Kommission und Bundesregierung, dass das europäische Niveau bei EU-Normen zum Schutz von Verbrauchern, Umwelt oder Gesundheit nicht gesenkt werde.

Doch die Argumente vermögen nicht, die Zweifel der TTIP-Gegner zu zerstreuen. Die EU hat ein reelles Glaubwürdigkeitsproblem, das sie nicht durch allgemeine Beteuerungen lösen kann – selbst, wenn sie prinzipiell richtig sind. Wie sollten Kommission und Bundesregierung reagieren, um die Unterstützung der Bevölkerung doch noch zu gewinnen?

Die einseitige Betonung der positiven wirtschaftlichen Effekte wirkt unglaubwürdig. Die EU-Kommission sollte zunächst wesentlich konkreter als bisher aufzeigen, welche Industrien und Sektoren durch TTIP gewinnen können – wo aber auch Probleme und Schwierigkeiten des Abkommens liegen.

Auch bei den Nahrungsmittelstandards reicht es nicht, immer wieder zu beteuern, dass der Schutzstandard erhalten bleibt. Die Verhandlungsführer müssen konkreter werden: Wo sind etwa im Agrarbereich Kompromisse vorstellbar? Welche Bereiche sind nicht verhandelbar? Es gibt bereits seit 1999 ein Veterinärabkommen zwischen der EU und den USA, das beispielhaft zeigt, wie weit die gegenseitige Anerkennung möglich ist. Es zeigt, dass amerikanische Standards auch im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit grundsätzlich hoch sind, teilweise sogar strenger als die europäischen Normen.

TTIP wegen geplanter Schiedsgerichte in der Kritik


Bei der Bürgerbefragung der EU-Kommission zu TTIP fielen vor allem die geplanten internationalen Schiedsgerichte durch. Darauf muss die Kommission eingehen. Sie kann auf die aktuelle Situation verweisen: Wie häufig wird geklagt? Welche Kosten entstehen? Gab es Missbrauchsfälle? Auch die beiden noch offenen Fälle – Vattenfall gegen Deutschland und Philipp Morris gegen Australien – müssen berücksichtigt werden. Zudem muss die EU-Kommission mögliche Mängel und Gefahren kennzeichnen und hierfür Reformvorschläge unterbreiten, die unverhandelbar sind. Dazu gehören Ausnahmeklauseln im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz sowie transparente Verfahren und Revisionsmöglichkeiten.

Die Bundesregierung sollte hierzulande zeigen, dass die Kommission für 28 EU-Mitgliedstaaten verhandelt. Vor allem die von der Eurokrise stark betroffen Länder stehen dem Abkommen viel positiver gegenüber. Wenn in Deutschland argumentiert wird, dass Schiedsverfahren unnötig sind, weil das deutsche Gerichtssystem ausreicht, wird verkannt, dass die Situation in den weniger entwickelten EU-Mitgliedstaaten anders ist. Es sind bereits neun bilaterale Investitionsabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und den USA in Kraft – etwa mit Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien und Tschechien. Gerade diese Länder versprechen sich durch anerkannte Schiedsverfahren eine steigende Attraktivität für Investitionen in ihre Länder.

Schließlich muss auch die Transparenzinitiative der EU noch sehr viel weiter geführt werden. Mit der neuen Handelskommissarin Cecilia Malmström weht bereits ein neuer Wind im Verhältnis von Kommission und Öffentlichkeit. Gelingt es, dies zu steigern, besteht auch die Möglichkeit, das verloren gegangene Vertrauen in den Nutzen des Abkommens wiederzugewinnen.

Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm für Globalisierung und Weltwirtschaft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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