Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Terrorbekämpfung - Wir brauchen keine europäische CIA

Fluggastdaten, Grenzkontrollen, ein europäischer Geheimdienst: Nach den Paris-Attentaten werden in der EU die Rufe nach schärferer Überwachung lauter. Es sind unausgegorene Vorschläge, die am Kern des Problems vorbeigehen

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Die Schonfrist dauerte nicht einmal eine Woche. Am vergangenen Sonntag, vier Tage nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ in Paris, gelobten deutsche und europäische Politiker noch, Ruhe zu bewahren und keine Schnellschüsse zu riskieren. Man müsse besonnen vorgehen und sich für mögliche neue Antiterror-Gesetze Zeit nehmen, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Doch schon am nächsten Tag waren alle guten Vorsätze vergessen. „Wir sind im Krieg“, rief Frankreichs Premier Manuel Valls seinen Citoyens zu, die gerade die größte – und friedlichste – Demonstration ihrer an Kriegen und Revolutionen reichen Geschichte erlebt hatten. Die Abgeordneten der Nationalversammlung schmetterten die Marseillaise und schworen Rache.

In Berlin lebte die Uralt-Debatte über die Vorratsdatenspeicherung wieder auf. In Frankreich gibt es die schon, trotzdem ließ sich das Attentat nicht verhindern. Egal – die üblichen Verdächtigen meldeten sich prompt zu Wort, die Faktenlage wurde gar nicht erst geprüft. Sogar Kanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein: Sie gibt den Schwarzen Peter an die EU-Kommission, die „zügig“ handeln soll. 

Auch Brüssel macht mobil. „Wir brauchen mehr Daten“, forderte EU-Ratspräsident Donald Tusk – und schob gleich die Drohung hinterher, ohne Überwachung aller Flugpassagiere könne die Freizügigkeit am Boden eingeschränkt werden. Zur Not werde die EU die im Schengen-System abgeschafften Grenzkontrollen wieder einführen, so Tusk – so apodiktisch hatten die EU-Granden nicht einmal nach dem 11. September 2001 reagiert.

Renzi fordert EU-Geheimdienst


Den Vogel schoss aber der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi ab. Der smarte Italiener brachte sogar einen europäischen Geheimdienst ins Gespräch. „Wir haben eine gemeinsame Währung, wir brauchen auch eine gemeinsame Geheimdienstagentur“, sagte er zur Begründung. Aus dem Munde des derzeit wohl größten Euro-Krisenlandes klang dies wenig überzeugend. Eine CIA für die EU – basta!?

Nein, Nein und nochmals Nein. Zunächst war beim jüngsten Terroranschlag in Paris ja schon der französische Geheimdienst überfordert. Er verfügte zwar über wichtige Erkenntnisse, zog daraus aber offenbar die falschen Schlüsse. Ein europäischer Geheimdienst, der sich ja wohl auf nationale Aufklärung stützen müsste, hätte die Hinrichtung in Paris deshalb auch nicht verhindert.

Zweitens hatte das Attentat auf „Charlie Hebdo“ nur bedingt eine europäische Dimension. Die Attentäter des 11. September à la française kamen weder aus Italien noch – wie beim Angriff auf das World Trade Center in New York – aus Deutschland. Es waren Franzosen, die sich gegen Franzosen richteten – nachdem sie in Syrien, im Irak oder im Jemen zu Terroristen ausgebildet worden waren.

Das führt uns zum dritten Punkt: Wenn überhaupt, dann braucht die EU eine gemeinsame Außenpolitik – und eine gemeinsame Wahrnehmung der Bedrohung. Vielleicht war es ja auch das, was Renzi meinte. Seit er seine Außenministerin Federica Mogherini zur EU-Außenbeauftragten gemacht hat, ist Bewegung in die EU-Diplomatie gekommen. Allerdings noch nicht genug, um den Terror-Import zu verhindern.

Terror geht auf Irak-Krieg zurück


Denn das ist ja das neue, beängstigende Phänomen, mit dem wir es zu tun haben: Junge Männer und sogar Frauen aus der EU ziehen – oft über die Türkei – in den Dschihad im Nahen Osten oder in Afrika und importieren dann das dort Gelernte zurück nach Europa. 3000 bis 5000 EU-Bürger seien zum Kampf beim „Islamischen Staat“ oder bei Al Qaida ausgereist, warnt Europol-Chef Rob Wainwright.

Es handele sich „um die ernsthafteste Bedrohung für Europa seit den Terroranschlägen vom 11. September“. Eine noch größere Gefahr ist allerdings das sicherheitspolitische schwarze Loch, das diese Freizeit-Kämpfer anzieht. Es ist nach dem Irak-Krieg entstanden, den die USA und die „neuen Europäer“ (darunter auch Tusk)  geführt haben – und erstreckt sich heute bis an die Grenze des Nato-Mitglieds Türkei.

Allein mit geheimdienstlichen Mitteln wird dieser Gefahr nicht beizukommen sein. Auch eine umfassende Erfassung und Überwachung aller europäischen Fluggäste, wie sie EU-Ratspräsident Tusk fordert, hilft kaum weiter. Erst wenn die EU es schafft, den Nahen Osten zu befrieden, IS und Al Qaida zurückzudrängen und die Schlupflöcher in der Türkei zu schließen, wird die Gefahr gebannt.

Und dann müsste natürlich noch die „Heimatfront“ befriedigt werden – mit einem Marschallplan für die Banlieues und einem europaweiten Programm zur Integration der Einwanderer und ihrer Kinder. Doch derzeit ist die EU schon mit dem Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit überfordert. Die vollmundig vor der Europawahl 2014 versprochene „Jugendgarantie“ lässt auf sich warten.

Europa braucht keinen „Patriot Act“


Also, liebe EU-Politiker, macht erst einmal Eure Hausaufgaben in der Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Und nehmt Euch, wie angekündigt, genügend Zeit, die Probleme der inneren Sicherheit zu analysieren. Vor allem aber: Verschont uns mit unausgegorenen Vorschlägen. Europa braucht weder einen „Patriot Act“ wie die USA nach dem 11. September – noch eine CIA. 

Apropos CIA: Die Schlapphüte aus den USA fühlen sich in Europa total sicher. Wie kurz vor den Attentaten in Paris herauskam, hat eine Spezialeinheit namens „Checkpoint“ die Grenzkontrollen im Schengen-Raum getestet. Ergebnis: Die Kontrollen stellen nur eine „minimale“ Bedrohung für die Geheimdienstler dar. Die Gefahr sei gering, dass ihre wahre Identität und ihre Mission enttarnt werde.

Vielleicht sollten unsere Geheimdienste einmal klären, ob dies auch für Terroristen gilt? Das wäre zumindest ein vernünftiger erster Schritt, Herr Renzi.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.