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Terroranschläge in Brüssel - Wir dürfen jetzt nicht die „Festung Europa“ bauen

Die Verlockung ist allzu groß, die Terroranschläge von Brüssel jetzt für eine restriktivere Flüchtlingspolitik zu instrumentalisieren. Doch wer das tut, schadet europäischen Werten. Die „Festung Europa“ würde gerade jene ausschließen, die Schutz brauchen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Der 22. März, der Tag, an dem in Brüssel die Erde bebte, wird in die Geschichte eingehen. Getroffen wurde das politische Herz Europas, sprichwörtlich.

Die Attentäter des  „Islamischen Staates“, der sich zu der Anschlagsserie bekannt hat, trafen die belgische Hauptstadt dort, wo sie am internationalsten ist: eine Abflughalle auf dem Flughafen Zaventem. Von hier reisen EU-Beamte, Politiker und Touristen. Und eine Metrostation, mitten im Brüsseler Regierungsviertel, keine 300 Meter von der Europäischen Kommission entfernt. Das Gebäude wurde evakuiert. Das Europäische Parlament sagte alle Sitzungen ab, in Brüssel herrscht die höchste Terrorwarnstufe.

Nie sind Mord und Terror jenen, die sonst über Krieg und Frieden entscheiden, näher gekommen. Nie war die Bedrohung realer.

Es braucht eine europäische Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik


Der 22. März ist ein Bluttag, ein Trauertag. Die Frage aber wird sein: Wird es auch der Tag, an dem Europa sich auseinandertreiben lässt? An dem die Mahner und Spalter das Wort haben? An dem Leute wie der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell jene, die um Opfer trauern, als „verfluchte Heuchler“ bezeichnet?

Oder wird dieser Krisentag die freie Welt enger zusammenrücken lassen? Es wäre eine Chance: Der gemeinsame Kampf gegen eine blutrünstige Ideologie könnte zu einer engeren Kooperation in der europäischen Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik führen. In Deutschland gibt es ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum – das könnte auch auf die europäische Ebene übertragen werden. Mehr grenzüberschreitende Polizeiarbeit ist überfällig. Aber mit Außenmaß: Ein Ausnahmezustand als Dauerlösung wie in Frankreich höhlt Bürgerrechte aus. Anschläge werden dadurch nicht verhindert.

Das Zusammenrücken darf auch nicht zu einem Zumauern führen. Schon ist die Rede davon, dass die „Festung Europa“ komme. Auch, wenn sich jetzt noch alle zurückhalten und sich in Kondolenz üben: Es wird nicht lange dauern, und dann werden die Anschläge in Brüssel vielen Staats- und Regierungschefs als weiteres Argument dienen, die Abschottung des Kontinents voranzutreiben. Erst am Wochenende hatte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bekräftigt: Aus Europa müsse „eine Festung“ werden – „jetzt sind wir gerade dabei diese zu bauen“.

„Festung Europa“ schließt Schutzsuchende aus


Sie meint damit vor allem die Abwehr von Asylbewerbern. Sie will, dass die Balkanroute weiter verschlossen bleibt.

Doch das Zynische an der „Festung Europa“ ist: Sie schließt jene aus, die Hilfe bräuchten, und bietet jenen ein Dach, vor denen man sich schützen möchte.

Die Angreifer nisten längst im Innern dieser Trutzburg. Salah Abdeslam – der gerade erst bei einer Razzia gefasst wurde und hinter dessen Inhaftierung einige Beobachter den Grund für die Brüssel-Anschläge vermuten –, war ein Franzose; so wie er stammt ein Großteil der IS-Terroristen aus dem Herzen Europas: Es sind Zehntausende Deutsche, Belgier, Briten. Sie sind in der Festung geboren, hier konvertiert, um dann ins Feld zu ziehen – nach Syrien und Irak. Dort lassen sie sich ausbilden, um in den Mauern Anschläge zu verüben. Zwischen uns, unter uns, bei lustigen Burg- und Ritterspielen.

Die Bewegungsfreiheit der Dschihadisten steht im zynischen Widerspruch zur Ausgrenzung der Schutzsuchenden.

Türkei-Deal wird scheitern


Denn diejenigen, die Zuflucht vor dem IS-Terror suchen, hängen im Burggraben fest. Sie waten im Schlamm von Idomeni. Den Burgherren sind sie ein Dorn im Auge: Seit dem Wochenende ist der umstrittene Flüchtlingspakt mit der Türkei in Kraft. Jeder Migrant, der nun die griechischen Inseln erreicht, soll zurückgeschickt werden. Für jeden Abgeschobenen will die EU einen Asylsuchenden aus der Türkei aufnehmen, bis zu einer Obergrenze von 72.000 Menschen. Es ist ein administrativer Mega-Aufwand, einerseits. Andererseits ist schon jetzt klar: Die Grenze wird kaum zu halten sein; der Deal wird scheitern an der schieren Masse an Menschen, die auch weiter nach Europa drängen.

Der 22. März hat auf beiden Seiten des politischen Spektrums Gewissheiten erschüttert. Die Linken müssen erkennen, dass es eine Utopie war anzunehmen, dass der Flüchtlingsstrom nicht auch Kriminelle und Terroristen nach Europa spülen könnte. Die Rechten müssen anerkennen, dass die Festung Europa den Terror nicht beenden wird.

Das, was Europa vorangebracht hat, war doch gerade der Moment, als die Burgen geschleift, die Festungen geräumt, die Schlagbäume gefällt wurden. Mord, Terror und Angst gab es auch nach Ende des Mittelalters noch – leider.  Aber das Leben wurde ein offeneres, freieres, aufgeklärteres.

Wir sollten uns heute, an diesem Tag des Terrors, wieder daran erinnern.

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