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Terror und Verteidigung - Der IS köpft, der Westen schweigt

Kisslers Konter: Der „Islamische Staat“ ist eine einzige Kriegserklärung an den Westen. Dieser reagiert darauf nur mit Schweigen. So gewinnt der religiöse Extremismus weiter an Raum.

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es tut sich viel in dieser Welt, die Zeitungen sind voll davon: Griechenland freut sich auf ein drittes Rettungspaket, die SPD auf den Bundestagswahlkampf 2017, Volker Kauder auf die nächste Fraktionssitzung von CDU/CSU, Fernsehzuschauer freuen sich auf „Promi Big Brother“, und wir alle uns über den endlich dann doch heißen August.

Aus so viel Sommerfreude schreckte uns gestern, nicht sehr weit vorne, die Meldung, ein britischer Elitesoldat habe mit gezieltem Fernschuss einen Vater und dessen Jungen davor bewahrt, von einem „IS“-Terroristen geköpft zu werden. Nahe der syrisch-türkischen Grenze habe sich der Vorfall ereignet.

Ach ja, neben der Raumstation ISS, die ebenfalls das Sommerloch zu füllen versteht, gibt es noch die vom Deutschlandfunk neuerdings „sunnitische Dschihadisten“ genannte Terrormiliz der Komplettverblendeten. Der „Islamische Staat“ ist nicht von der Landkarte verschwunden. Er tut weiter das einzige, was er kann: drohen und töten, schießen und köpfen.

Das Töten geht weiter
 

Just in diesen Stunden blickt Tomislav Salopek der eigenen Ermordung entgegen – so er noch am Leben ist. Ende Juli wurde der kroatische Gastarbeiter in Kairo verschleppt. Der „IS“ fordert die Freilassung inhaftierter Musliminnen. Ein Video zeigt Salopek bereits in typischer Demütigungspose, kniend auf Sand vor einem vermummten Messermann, gesteckt in einen orange-roten Überwurf. Ein erstes Ultimatum ist abgelaufen.

Im Sommerloch verschwanden die Fortschritte im Bereich des Bösen, zu dem der „IS“ jederzeit fähig ist: Die Städte Al Karjatain und Sarrin im Südosten der zentralsyrischen Provinz Homs habe der „IS“ jüngst eingenommen. Gleiches gelte von mehreren christlichen Dörfern in Nordsyrien. 200 Familien konnten fliehen, doch wurden 100 ihrer Angehörigen gefangen genommen, ebenso wie weitere 200 Personen. Ihnen allen droht der Tod.

Knapp hundert „Fastenbrecher“ im Ramadan starben durch Kreuzigung und Auspeitschung, aber auch rund 20 Kurden, die bei Kobane in die Hände der Extremisten fielen. Und wer das Pech hat, im Herrschaftsbereich des „IS“ zu wohnen, muss offenbar damit rechnen, seine praktizierte Liebe zu den Zigaretten oder zur Wasserpfeife mit dem Leben zu bezahlen.

Die Bedrohung durch gewaltbegeisterte Rückkehrer wäre da noch gänzlich unbedacht. Dabei sind sie es, die den Kern dieser radikalislamischen Kriegserklärung ausmachen. Dem Westen soll gezeigt werden, dass er verdorben ist, korrupt und darum nichts als den Untergang verdient hat.

Der IS hält Demokratie für unmoralisch und böse
 

Der Soziologe Frank Furedi erläutert in einem Essay: Der „Islamische Staat“ hält Freiheit und Demokratie für unnatürlich. Seine politische Theologie weist alle Formen von Demokratie als unmoralisch zurück. Der Westen ist aus der Sicht des „IS“ nicht einfach schlecht, sondern im metaphysischen Sinne böse. In politischen Kategorien, so Furedi, lässt sich der „IS“ nicht fassen.

Kriegserklärungen kann man nur dadurch beantworten, dass man sich verteidigt. Der Westen aber ist zu dieser Anstrengung nicht willens und nicht fähig. Der Westen ist bedingt abwehrbereit.

Und warum? Weil er verlernt hat, für Prinzipien einzustehen, die sich nicht rechnen; weil er sich in allen zentralen Punkten uneins ist; weil letztlich weder die Amerikaner noch die Franzosen oder die Briten sich für einen Terror abseits der eigenen Haustür interessieren.

Weil also der Westen nicht mehr weiß, wer er ist und wofür er steht. Die maximale Entschlossenheit religiöser Apokalyptiker trifft auf die Selbstlähmung des Westens im Moment seiner größten Identitätskrise. Die einen köpfen, die anderen schweigen.

Dank dieser Arbeitsteilung hat der „Islamische Staat“ eine Zukunft, der Westen aber bald nur noch eine Vergangenheit. Zeit, dass sich was dreht.

Update vom 12. August, 13.30 Uhr: Laut "Al Arabiya" und "Site" hat der „Islamische Staat“ die kroatische Geisel Tomislav Salopek in Ägypten enthauptet.

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