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Syrien - Das Assad-Regime wankt wie nie zuvor

Noch nie in den letzten vier Jahren war das Assad-Regime in Syrien so in Bedrängnis. Nun will es das hochangereicherte Uran vor dem IS außer Landes schaffen – aus Angst, es könnte in die Hände des sogenannten Islamischen Staates fallen

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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Noch nie in den letzten vier Jahren war das Assad-Regime so in Bedrängnis, wie in den letzten Wochen. An allen Fronten sind seine Feinde auf dem Vormarsch. Den Norden kontrolliert die islamistische Jaish al-Fatah, die sogenannte Eroberungsarmee, zu der auch die Al-Nusra-Front von Al Qaida gehört. Im Süden operieren moderate Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ und im Osten der „Islamische Staat“. Zuletzt eroberten deren IS-Krieger Palmyra, von wo aus sie nun direkte Angriffsrouten auf Homs und Damaskus besitzen. Denn Bashar al-Assad hat militärisch nichts mehr zuzusetzen. Die Armee ist dezimiert und hat Probleme, die Verluste durch neue Rekruten auszugleichen. Verzweifelt appellierte Syriens Premierminister letzte Woche an alle jungen Männer, sich zum Militärdienst zu melden, und versprach ihnen mindestens eine warme Mahlzeit pro Tag. Die islamistischen Kriegsgegner dagegen haben neue Schlagkraft gewonnen, seit ihre Sponsoren Türkei, Saudi-Arabien und Katar sich untereinander besser koordinieren.

Assad bittet Atomenergiebehörde, Uran außer Landes zu bringen
 

Wie prekär das Regime seine Lage einschätzt, zeigt die ungewöhnliche Bitte an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien, das hoch angereicherte Uran aus dem Forschungsreaktor von Damaskus jetzt außer Landes zu bringen. Denn sollte der Meiler dem IS in die Hände fallen, könnte die Terrormiliz schmutzige Bomben herstellen, mit denen sich ganze Teile der Hauptstadt unbewohnbar machen ließen. Gleichzeitig igelt sich der Diktator militärisch in den Regionen Damaskus und Homs sowie dem Küstenstreifen mit Tartus und Latakia ein. Damit kontrolliert er nur noch 20 Prozent des Staatsterritoriums und die Hälfte der Bevölkerung. Diese Bastion jedoch ist einfacher zu verteidigen, vorausgesetzt die Verbündeten Russland und Iran liefern weiter Waffen, Munition, Lebensmittel und Treibstoff.

Teheran jedenfalls ließ daran keinen Zweifel. Man werde für Assad „bis zum Ende gehen“, deklamierte der iranische Präsident Hassan Rowhani. Sein Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, reiste nach Latakia, ließ demonstrativ drei syrische Offiziere „wegen Verrat am Vaterland“ hinrichten und kündigte an, die Welt werden in den nächsten Tagen „einige Überraschungen“ erleben. Zuvor waren gut 10.000 revolutionäre Garden und schiitische Milizen aus dem Irak nach Damaskus und Latakia verlegt worden, auch mit Blick auf die Atomgespräche in Wien. Denn nach Einschätzung der Islamischen Republik erhöht ein stabilisiertes Assad-Regime ihr Gewicht bei den Verhandlungen, weil Teheran sich nur dann als unentbehrliche Säule für jede Syrienlösung präsentieren kann.

Genozid in Kauf nehmen
 

Assad wiederum weiß, dass die islamistische „Eroberungsarmee“ und ihre regionalen Unterstützer Türkei, Saudi-Arabien und Katar voll auf militärischen Sieg setzen. Einen Einmarsch der Gotteskrieger in Damaskus sowie einen Genozid an der alawitischen Bevölkerung wollen diese offenbar in Kauf nehmen. Dagegen möchten die langjährigen internationalen Kontrahenten Iran und Russland auf der einen Seite sowie USA und Europa auf der anderen Seite ein solches blutiges Szenario auf jeden Fall verhindern. Beide Lager sind nicht an einem chaotischen Kollaps des Assad-Regimes interessiert. Und so werden nach einem Jahr politischer Funkstille nun erstmals wieder vorsichtige Kompromisslinien ausgelotet.

Vor allem Russland beginnt, zu Damaskus auf Distanz zu gehen. Im UN-Sicherheitsrat ließ Moskau erstmals eine Resolution passieren, die den Einsatz von Fässerbomben gegen die Zivilbevölkerung verurteilt. Aus Latakia zog der Kreml seine Berater ab und teilte dem Assad-Regime mit, man werde sich nicht an dem 350 Milliarden Dollar-Wiederaufbau beteiligen. Denn Russland geht durch die westlichen Sanktionen im Ukraine-Konflikt und den niedrigen Ölpreis finanziell immer mehr die Puste aus. Und auch der Iran könnte nach einem erfolgreichen Atomabschluss in Wien seine beinharte Loyalität zu Assad überdenken. Und so hofft die Obama-Administration, dass die Chancen für eine diplomatische Lösung steigen. Sollte der Druck auf Assad durch die radikalen Jihadisten weiter wachsen, so das Kalkül in Washington, könnten Moskau und Teheran vielleicht am Ende doch bereit sein, einer neuen Übergangsführung ohne den Diktator zuzustimmen.

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