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Ukraine - Der Westen unterschätzt die rechte Swoboda

In der ukrainischen Übergangsregierung sitzen drei Minister der rechtsextremen „Swoboda“-Partei. In der Debatte um die Krim-Krise werden diese Ultranationalisten verharmlost

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn Konflikte eskalieren, schlägt auch die Stunde der Propaganda. Das war schon immer so, und es wird nie anders sein. Dass Russland den Umsturz in der Ukraine als das Werk von Nazis, Faschisten und Ultranationalisten zu diskreditieren sucht, ist deshalb wenig verwunderlich. So behauptete Wladimir Putin in seiner Rede zur Krim-Annexion im Kreml, das Kiewer Regime trachte nach der kulturellen Identität, wenn nicht gar nach dem Leben der russischen Bevölkerung. Besonders ärgerlich ist aber, dass der berechtigte Hinweis auf die tatsächliche Beteiligung derart radikaler Kräfte an der ukrainischen Revolution von den russischen Gegenspielern mit dem Hinweis abgetan wird, damit gehe man bloß Putins Propaganda auf den Leim. Denn ganz so einfach ist es eben nicht.

Ob der französische Außenminister Laurent Fabius nicht doch ein bisschen arg verharmlosend formulierte, als er die mit drei Ministern in der ukrainischen Übergangsregierung vertretene Partei „Swoboda“ als „nur ein bisschen weiter rechts als die anderen Parteien“ bezeichnete? Nein, lupenreine Demokraten sind die Anhänger der vom studierten Mediziner und Juristen Oleg Tjahnybok angeführten Bewegung ganz gewiss nicht – auch, wenn sie neuerdings auf ihr antisemitisches und extrem fremdenfeindliches Vokabular verzichten, um in den Augen des solidarischen Westens besser dazustehen: Erst gestern wurde offenbar (mit Tatsachenbehauptungen sollte man in Zeiten wie diesen stets vorsichtig sein) der Leiter der staatlichen Fernsehgesellschaft in Kiew von Swoboda-Mitgliedern gewaltsam zum Rücktritt gezwungen. Er habe – angeblich – nicht nationalistisch genug berichtet. Man mag diesen Zwischenfall als ein hässliches Detail in krisenhaften Zeiten abtun. Umso mehr lohnt sich deshalb der Blick auf die politischen Leitlinien dieser Partei.

„Getrieben von Russen-Hass, Juden-Hass und Polen-Hass“


Es war der ehemalige EU-Kommissar und Sozialdemokrat Günter Verheugen, der soeben in einem Interview mit dem Deutschlandfunk in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam machte, aus welchem Holz die Swoboda-Anhänger geschnitzt sind: „Die sind getrieben von Russen-Hass, von Juden-Hass und Polen-Hass. Es ist schierer Nationalismus, überzogener, exzessiver Nationalismus. Sie rufen nach Atomwaffen für die Ukraine. Sie halten auch die Europäische Union übrigens nicht für ein erstrebenswertes Ziel, sondern für ein künstliches Gebilde, das sowieso zum Absterben verurteilt ist.“ Auf die Frage, ob er die Zusammenarbeit mit einer neuen ukrainischen Führung unter Beteiligung von Swoboda-Leuten ablehnen würde, ließ Verheugen keine Zweifel erkennen: „Ja, das heißt das. Ich bin der Meinung, dass man dieser Regierung eine solche Perspektive nicht anbieten kann, sondern dass man ihr ganz klar machen muss, das Bündnis, das sie geschmiedet haben, unter Einbeziehung undemokratischer rechtsradikaler Kräfte, ist für uns nicht hinnehmbar.“

Eine im Oktober 2012 von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Studie zum Thema Rechtsextremismus in der Ukraine kommt ebenfalls zu einem unzweideutigen Ergebnis. Deren Autorin Mridula Ghosh, Vorstandsmitglied am Kiewer „East European Development Institute“, beschreibt Swoboda als eine rechtsextreme Partei, deren ideologische Substanz aus Fremdenfeindlichkeit und einer dezidiert antidemokratischen Ausrichtung bestehe. Ihren Aufstieg habe sie im Wesentlichen dem wirtschaftlichen Niedergang, der allgegenwärtigen Korruption und dysfunktionalen staatlichen Strukturen in der Ukraine zu verdanken.

Enge Zusammenarbeit mit der NPD


Dabei ist Swoboda keineswegs, wie jetzt allenthalben behauptet wird, eine vernachlässigbare Randerscheinung im politischen System der Ukraine. Besonders im Westen des Landes ist die Partei ein ernst zu nehmender Player in etlichen Regional- und Stadtparlamenten; im Jahr 2009 errang sie gar 34,7 Prozent der Stimmen bei der Regionalwahl in der Oblast Ternopil mit ihren mehr als einer Million Einwohnern. Und 2012 kam Swoboda bei den Parlamentswahlen in der Ukraine auf stattliche 10,4 Prozent – nachdem sie fünf Jahre zuvor gerade einmal 0,76 Prozent geholt hatte. Dabei ist es wohl auch ihre ausgesprochene Feindschaft gegenüber den kleptokratischen Oligarchen, die sie sogar für moderate und gebildete Bürger wählbar erscheinen lässt.

Doch sind die Oligarchen eben nicht das einzige Feindbild der Swoboda. Antisemitische, antirussische, antieuropäische Hasstiraden aus dem Munde ihrer Mitglieder sind nicht selten; Parteichef Oleg Tjahnybok rief 2004 auf einer Kundgebung seinen Anhängern zu: „Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und anderen Unrat!“ Da erscheinen die jüngsten Distanzierungen der Swoboda-Führung von solcherlei Parolen doch eher wie ein taktisches Rückzugsmanöver. Auch ihre unbestrittene Zusammenarbeit mit anderen europäischen Rechtsextremen – darunter bekanntlich die NPD (die sächsische Landtagsfraktion hatte Swoboda im vergangenen Jahr sogar zu sich eingeladen) oder der ungarische Jobbik – sowie mit ukrainischen Hooligans und Skinheads sollten erhebliche Zweifel wecken.

Wer sich die Entstehungsgeschichte von Swoboda auch nur etwas genauer betrachtet, kommt nicht umhin, gewisse Parallelen zum Aufstieg der NSDAP während der Weimarer Republik zu erkennen. Damit soll keineswegs das berechtigte Interesse der ukrainischen Bevölkerung an einem demokratischen Neuanfang in Zweifel gezogen werden. Aber wenn westliche Regierungen die damit einhergehenden Gefahren kleinreden oder bewusst ignorieren, ist erst recht niemandem gedient. Außer eben den Extremisten.

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