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(n-tv, Bertelsmann) Eine wirtschaftliche Wiederannäherung an Europa ist naiv

US-Wahl - „Ich freue mich, dass Obama seinen Weg fortsetzen kann“

Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef, sprach mit Cicero Online über die Chancen einer zweiten Amtszeit von Barack Obama als US-Präsident, das Verhältnis der USA zu Europa und was unter einem Präsidenten Romney anders gekommen wäre

Herr Steinmeier, was waren denn Ihre Erwartungen und Wünsche für den Wahlausgang?
Ich war eher bei dem Kandidaten, bei dem wir Europäer wissen woran wir sind. Bei dem wir würdigen und anerkennen, welche Anstrengungen er unternommen hat, um Amerika aus einer außen- und sicherheitspolitischen Situation herauszuführen, die sich zum Schaden für die internationalen Beziehungen in Amerika selbst entwickelt hat. Stichworte wie Bush, der Irakkrieg und Abu Ghraib bleiben.

Was erwarten Sie von einer zweiten Amtszeit Obamas?
Zu allererst ist Obama in der zweiten Amtsperiode befreit von der Last einer unmenschlichen Erwartung, die nach der Wahl 2008 auf ihm lastete. Er wird die Chance haben, an den immer noch innenpolitisch umstrittenen Projekten wie der Gesundheitsreform weiter zu arbeiten. Die Ansätze zur wirtschaftlichen Erholung Amerikas sind gemacht. Vor allem zur Wiederbegründung von industriellen Arbeitsplatzen.

Vor allen Dingen erhoffe ich mir, dass dieser Präsident in seiner zweiten Amtszeit, weil er eben nicht auf die nächste Wahl schauen muss, auch die notwendige Freiheit für außenpolitische Initiativen hat. Die brauchen wir im nahen und mittleren Osten dringend.

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Obama hat sich in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit wirtschaftspolitisch verstärkt dem asiatischen Raum zugewandt. Erwarten Sie eine Wiederannäherung an Europa?
Ich halte es für naiv, wenn die Europäer darauf warten. Die Welt hat sich in den letzten 25 Jahren radikal verändert. Natürlich bleiben die USA wichtigster Partner und militärisch Verbündeter, aber aus der Perspektive der USA ist keine militärische Bedrohung aus dem europäischen Osten zu erwarten. Die wirtschaftlichen Gewichte verändern sich von den USA und Europa in Richtung Süd-Ostasien. Deshalb ist es für mich eine völlige Selbstverständlichkeit, dass sich jeder amerikanische Präsident, auch Obama, um den pazifischen Raum und seine Konkurrenz in Süd-Ostasien kümmern muss.

Hätte demgegenüber ein Präsident Mitt Romney das Verhältnis zwischen den USA und Europa verändert?
Ja, natürlich hätte es das. Da dürfen wir uns nichts vormachen.

Barack Obama und Mitt Romney sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich um das Präsidentenamt beworben haben. Obama hat den Wunsch postuliert, sich von den auch für Amerika schädlichen Jahren der Außenpolitik George W. Bushs zu lösen und zu trennen.

Ich freue mich, dass Obama die Chance erhält, diesen Weg fortzusetzen, Amerika wieder stärker als Teil einer multipolaren Welt sieht, unter Anerkennung der Vereinten Nationen. Bei Mitt Romney konnte man sich zumindest nicht sicher sein, weil er sich dazu nicht geäußert hat. Irritiert haben in Europa Romneys Äußerungen, mit denen er Obama eine Europäisierung Amerikas vorgeworfen hat. Europa als Schreckgespenst in den USA?

Ist das nicht bloße Wahlkampfrhetorik und sobald Romney im Weißen Haus Platz genommen hätte, wären doch auch von ihm moderate Töne zu vernehmen gewesen?
Vielleicht ja. Ich will da auch nicht jedes Wort, das im Wahlkampf gesprochen wird, auf die Goldwaage legen. Aber das Problem ist, man rätselt bis heute über den politischen Standard Romneys.

Wäre mit der Wahl Romneys auch mit der Rückkehr der Falken an die Schaltstellen der US-Politik zu rechnen gewesen?
Das kann  man ehrlicherweise nicht abschätzen. Ich jedenfalls habe keinerlei Stabilität und Linie in den Äußerungen von Romney erkennen können. In der Auseinandersetzung mit der Republikanischen Partei, in den Primaries, hat er sich betont konservativ und in der Nähe der Tea-Party-Bewegung gesehen. Im Wahlkampf mit Obama hat er sich dann deutlich in die Mitte orientiert. Festzuhalten bleibt, dass Romney ein Kandidat war, der sehr anpassungsfähig ist. Ich will hinzufügen, dass eine Rückkehr der Falken jedenfalls nicht ausgeschlossen ist.

Herr Steinmeier, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Daniel Martienssen 

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