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(picture alliance) Wahlkampf in Griechenland: Parteienlandschaft heillos zersplittert und von Extremisten gekapert

Vor der Wahl - Steht Griechenland vor Weimarer Verhältnissen?

Alle Welt schaut auf die Wahlentscheidung in Frankreich. Doch in Griechenland steht am Sonntag für die EU vielleicht noch mehr auf dem Spiel. Um was geht es?

Wenn die Griechen am Sonntag zu den Urnen kommen, finden sie dort nicht weniger als 32 Stimmzettel vor. Vielen wird die Wahl nicht leicht fallen. Was als Schuldenkrise begann, hat sich als Krise des politischen Systems entpuppt. Die Parteienlandschaft ist heillos zersplittert, extremistische Gruppen bekommen Auftrieb. Auch auf EU-Ebene blickt man mit Sorge auf den Ausgang der Wahl. Denn nicht jede mögliche Koalition wird den europäischen Reform- und Entschuldungsprozess mittragen.

Wie wird die Wahl ablaufen?

Früher war das Wählen in Griechenland ziemlich einfach: Blau oder Grün lautete die Alternative.

Das sind die Parteifarben der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok). Seit fast vier Jahrzehnten wechselten sie sich an der Macht ab. Und dann gab es da noch eine dritte Fraktion, die stalinistische Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die meist zwischen fünf und zehn Prozent Stimmenanteil pendelte. Sie will aber eigentlich nicht regieren, sondern wartet auf die Revolution. [gallery:Griechenland: Jahre des Leidens]

Das griechische Wahlrecht ist darauf angelegt, für klare Mehrheitsverhältnisse zu sorgen: Die stärkste Partei erhält einen Bonus von 50 Mandaten im 300 Sitze umfassenden Parlament. Damit gibt es auch für diese Wahl einen zusätzlichen Stabilisator. Trotzdem wird die Rechnung diesmal nicht aufgehen. Die beiden Traditionsparteien trifft die Wut der Wähler mit voller Wucht. 2004 konnten sie 86 Prozent der Wähler an sich binden, 2009 immerhin noch 80 Prozent. In den letzten Umfragen ist ihre Anhängerschaft auf 35 Prozent zusammengeschmolzen. Die konservative ND liegt mit 21 Prozent in den Umfragen vorn. Für eine absolute Mehrheit braucht ND-Chef Antonis Samaras aber mindestens 37 Prozent. Die Pasok ist von 44 Prozent bei der letzten Wahl in den Umfragen auf magere 14 Prozent geschrumpft. Allenfalls gemeinsam hätten die traditionellen Rivalen eine regierungsfähige Mehrheit.

Wieso sind die Verhältnisse vor dieser Wahl so unklar?

Die Griechen sind frustriert. 44 Prozent erklären den Meinungsforschern, dass sie mit ihrer Stimmabgabe am Sonntag vor allem „protestieren und bestrafen“ wollen. Der strikte Sparkurs der vergangenen zwei Jahre hat die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau steigen lassen. Die Einkommen gingen um ein Viertel zurück. Von der Krise profitieren radikale Parteien wie die neofaschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) oder die ultra-nationalistische Gruppe Unabhängige Griechen, die Griechenlands Finanzprobleme mit deutschen Reparationen für die Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg lösen will. Am linken Rand des politischen Spektrums tummeln sich neben der KKE noch ein halbes Dutzend kommunistische Splitterparteien.

Seite 2: Wie stehen die Parteien zum von der EU auferlegten Spar- und Reformkurs?

Wie stehen die Parteien zum von der EU aufgelegten Spar- und Reformkurs?

Von den 32 Parteien, die zur Wahl antreten, stehen nur drei hinter dem Spar- und Reformkurs: die sozialistische Pasok, mit Einschränkungen die konservative ND sowie die Demokratische Allianz der früheren Außenministerin Dora Bakogianni, die jedoch um den Einzug ins nächste Parlament zittert. Die anderen 29 Parteien wollen das Sparprogramm abbrechen, manche propagieren sogar den Austritt Griechenlands aus der EU und die Rückkehr zur Drachme.

Das macht Lucas Papademos Sorge, dem scheidenden Übergangspremier. Er regierte das Land in den vergangenen fünf Monaten. Gestützt auf ND und Pasok sicherte er Griechenland das neue Rettungspaket und schloss den Schuldenschnitt ab. Jetzt sieht er das Erreichte in Gefahr. Es gehe bei der Wahl am Sonntag um viel mehr als die nächste Regierung, warnt Papademos: „Entschieden wird über die strategische Orientierung des Landes, über seinen Weg in den folgenden Jahrzehnten.“ Papademos hofft, dass die Griechen bei ihrer Wahlentscheidung „auf das Morgen und nicht auf das Gestern blicken werden“. [gallery:Griechenland unter: Karikaturen aus zwei Jahren Eurokrise]

Zehn statt bisher fünf Parteien im Parlament, darunter Neonazis, Ultra-Nationalisten und anarchistisch angehauchte Linksextremisten: Der Pasok-Chef Evangelos Venizelos befürchtet bereits „Weimarer Verhältnisse“ und warnt die Wähler vor Illusionen – zum Beispiel vor dem „Missverständnis, dass wir die Bedingungen des Hilfspakets einfach zurückweisen können, ohne dass dies Konsequenzen hätte“ oder „dass wir in der Eurozone bleiben können, egal was passiert“. Venizelos spricht damit das Dilemma aus, vor dem jetzt viele Griechen stehen: Acht von zehn lehnen den Sparkurs ab. Aber ebenso viele wollen am Euro festhalten. Vor allem diese Kalamität macht die Wahl für viele zur Qual.

Wie wird die Wahl auf EU-Ebene betrachtet?

Mit Sorge. „Die Zukunft Griechenlands in der EU hängt davon ab, ob es die reformtreuen Parteien schaffen, eine Koalition zu bilden“, sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). „Sollte dies nicht gelingen, dann sehe ich große Probleme auf uns zukommen.“ Er glaube nicht, sagt der Wirtschaftsforscher, dass die EU Änderungen am Reformprogramm tolerieren würde. „Im Fall einer Kursänderung der neuen griechischen Regierung würden wohl die Hilfszahlungen gestrichen.“

Auch Alexander Kritikos, Griechenland-Experte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), ist sich sicher: „Die EU wird sich nicht erpressen lassen, die Linie wird nach der Wahl genauso hart bleiben.“ Beide Experten sehen keine Alternative zum strikten Reformkurs, auch wenn die Krise zu extremen Reaktionen in Griechenland führt. Kritikos allerdings sieht auch Fehler auf EU-Ebene: „Dass bisher kein Investitionsprogramm für Griechenland aufgesetzt wurde, ist ein großes Defizit. Derzeit kommt es zu Kreditklemmen und auch gut aufgestellten Unternehmen brechen die Märkte weg.“ Wenn die griechische Wirtschaft überlebensfähig werden solle, müsse das umgehend geändert werden.

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