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Schwedischer Karikaturist Lars Vilks - „Ich kann nie mehr zurück in mein Haus“

Im Februar 2015 wurde der schwedische Zeichner Lars Vilks in Kopenhagen Ziel eines islamistischen Terroranschlags. Vilks blieb unverletzt, muss aber seitdem im Untergrund leben, geschützt vom schwedischen Sicherheitsdienst. Ein Gespräch über die Freiheit der Kunst, Kritik am Islam und Multikulturalismus

Autoreninfo

Ulrich Schacht, geboren 1951, wird 1976 nach vier Jahren Haft aus der DDR freigekauft. Schacht arbeitet als Journalist und Autor, seit 1998 lebt er in Schweden.

So erreichen Sie Ulrich Schacht:

Herr Vilks, am 14. Februar 2015 sind Sie letztlich wegen dreier Mohammed-Karikaturen zum Ziel eines islamistisch motivierten Attentates geworden. Vor einigen Jahren war es in Schweden große Mode, sogenannte „Rondell-Hunde“ aufzustellen, also Hundeskulpturen auf Kreisverkehrinseln. Sie steuerten Zeichnungen für eine Ausstellung bei, die Rondellhunde mit dem Kopf des Propheten Mohammed zeigten. Konnten Sie sich damals vorstellen, zu was das alles einmal führen würde?
Der Anfang war, dass ich vor einigen Jahren Zeichnungen für eine lokale Kunstausstellung in Schweden gemacht habe, in der es um das Thema „Hunde“ ging. Reaktionen darauf habe ich nicht unbedingt erwartet. Aber dann gab es eine überraschende Entwicklung: Galerien werden ja nur von einer begrenzten Zahl von Menschen besucht, das war nicht das Problem. Nicht einmal, als „Dagens Nyheter“ und andere große Blätter meine Rondell-Hunde mit dem Kopf Mohammeds publizierten. Erst als eine Regionalzeitung das tat, gab es muslimische Proteste im Land. Die Sache wurde allgemein bekannt, auch in der islamischen Welt. Das war der Wendepunkt.

Diese Entwicklung ist dramatisch, weil auf Sie schon vor Kopenhagen Angriffe verübt wurden. Sind auch die Konsequenzen Teil eines Dramas?
Das kann man so sagen, wenn man es studiert: Szene für Szene. Meine Leibwächter haben einen starken Einsatz gezeigt, damit es für mich nicht zum Äußersten kommt. Zugleich muss man betonen, dass es zum Glück ziemlich unwahrscheinlich war, dass es dem Terroristen hätte gelingen können, sämtliche Polizisten im Eingang zu töten. Sie waren alle bewaffnet. Wäre der Attentäter näher gekommen, wäre er vielleicht schon vor dem Café erschossen worden, nicht erst am nächsten Tag.

Es ist natürlich eine furchtbare Situation, dass Sie aus diesem Grund nicht mehr bloß bewacht, sondern versteckt leben müssen. Was hilft Ihnen, das zu ertragen?
Vielleicht, dass ich ein Routinemensch bin: Ich habe meinen Tagesablauf, zu dem verschiedene Aufgaben gehören. Und dann habe ich ja auch mein Studio hier, meinen Zeichentisch, meine Malerei. Ich habe Aufträge und meinen Computer. Hin und wieder kann ich sogar mein Versteck verlassen und an die Luft gehen.

Aber das ist nicht mehr Ihre vertraute Umgebung in Höganäs in Südschweden, wo Ihr Haus steht und die Menschen leben, die Sie als Nachbarn kennen.
Nein, ich kann nie mehr zurückkehren in mein Haus. Das ist verloren für mich. Für immer.

Ein hoher Preis für Ihre Verteidigung der Freiheit der Kunst.
Ja, das ist der Preis.

Aber Sie würden nicht sagen, dass es sinnlos war, diesen Preis zu zahlen?
So ist das Leben! Neue Situationen, neue Plätze. Wo ich jetzt bin, bin ich nur vorübergehend. Das ist eine Sache der Polizei. Ich warte jeden Tag auf weitere Mitteilungen, was sie über die Lage denken und wo sie einen besseren Platz für mich finden. Hier ist es ja ganz klein, viele Dinge fehlen mir. Aber man hat mir gesagt, es sei nur für eine kurze Zeit.

Zwar gibt es in Schweden seit 1970 kein Blasphemie-Gesetz mehr. Aber können Sie nachvollziehen, dass man sich als Anhänger einer Religion von Kunst, die bewusst die Grenze zur Blasphemie überschreitet, verletzt, beleidigt fühlen kann?
Das kann ich. Doch das Problem mit dem Islam ist nicht die Religion. Religion ist Privatsache, und die soll man nicht provozieren. Aber wenn Religion zur politischen Sache wird, und der Islam ist eine wirklich politische Sache, dann darf öffentliche Kritik daran kein Tabu sein. Jedenfalls nicht in einer demokratischen Gesellschaft.

Im Kontrast zu dieser dramatischen Seite Ihrer künstlerischen Tätigkeit steht ein Kunstwerk, das bislang sehr vielen Menschen große Freude bereitet hat. Ich meine Ihre gigantische Skulptur aus Schwemmholz am Fuße der Felsklippen der Halbinsel Kullen im Südwesten Schwedens. Sie haben sie „Nimis“, „zuviel“, genannt. Die Skulptur ist zugleich das Herzstück eines phantastischen Projekts, das „Ladonia“ heißt, ein Ihnen proklamierter Mikro-Staat mit eigener Regierung, eigener Flagge und eigenen Botschaftern. Was verbirgt sich dahinter?
Der Unterschied zwischen beiden Projekten ist für mich eher gering: Beide sind ja lebende Projekte und sehr kontrovers. „Ladonia“ ist entstanden aus Medienberichten und einem zwanzigjährigen Rechtsstreit. Am Beginn habe ich eine Art spontaner Landbesetzung mit meinen Holz-Skulpturen durchgeführt. Daraus wurde eine permanente Okkupation. Aber das war natürlich schwedischer Boden, also entwickelte ich die Idee weiter und proklamierte ein „neues Land“ für meine Skulpturen, damit es auch international sein kann und ins Internet kommt. „Ladonia“ kann jetzt Menschen aus der ganzen Welt interessieren, die es dann besuchen kommen.

Im Grunde ist so ein Kunstwerk eine territoriale Sezession und damit eine politische Provokation, eine Herausforderung des Staates. Gehört diese Art künstlerischer wie gesellschaftlicher spielerischer Souveränität für Sie zusammen?
Das kann man sagen. Aber für mich ist es sehr wichtig, dennoch eine Distanz dazu zu haben. Es soll zwar Realität sein, aber auch Fiktion. Ich arbeite in beide Richtungen. Ein Staat ist keine Utopie. Ich will Menschen einladen, einen Staat zu besuchen, und möchte sehen, was das auslöst. Es ist für mich ein wirklich interessantes Projekt. Wir haben für unseren Staat mittlerweile eine Königin, einen Präsidenten, Botschafter. Diese Woche haben wir zwei weitere Botschafter bekommen, einen in England und einen in Chile, auch einen Minister aus Costa Rica gibt es.

Das scheint mir eine Verrücktheit zu sein, die ein Stück weit in die Realität überführt wurde. Das geht nur, wenn man den starken Willen hat, Fantasie Realität werden zu lassen.
Es ist eine Untersuchung darüber, was ein Staat eigentlich ist. Existiert Ladonia? Existiert Schweden? Schweden hat keine Proklamation gemacht; Schweden ist nur ein Mythos. Ladonia hat eine Proklamation gemacht. Die heißt: Nun haben wir Ladonia! Was ist dann eigentlich Schweden?

Damit kommen wir vielleicht wieder zurück zum Attentatsversuch. Warum haben Sie jene Rondell-Hunde, die am Anfang des Dramas standen, nicht mit einem Buddha-Kopf gezeichnet oder dem von Jesus Christus? Was war der Grund, Mohammed zu karikieren?
Die Ausstellung hatte ein Thema, das lautete: „Hunde in der Kunst“. Das habe ich verbunden mit dem Phänomen des politischen Islam, der Diskussion um den Propheten und den aktuellen Problemen, die es im Zusammenhang mit dieser Religion damals gab. Das aktuelle Problem war der Islam. Mit anderen Religionen hatten und haben wir das Problem nicht. Die andere Seite waren die sogenannten Rondell-Hunde, auch ein aktuelles Phänomen in Schweden. Mein Gedanke war, wie kann man diese Dinge gemeinsam diskutieren, wie kann man es mit den Mitteln der Kunst zusammenbringen: die Rondell-Hunde und die Aktualität des Islamproblems? Also habe ich beide Phänomene kombiniert. Die Rondell-Hunde sind in Schweden eine positive Sache, 2007 habe ich einen sehr großen in Trelleborg geschaffen.

Dass sich aus dieser spielerischen Kombination ein lebensgefährliches Problem entwickelt hat, sehen wir jetzt. Aber es gibt auch Schweden, vor allem Journalistinnen aus Radio und Zeitungen, von denen Sie für Ihre Aktionen und islamkritischen Äußerungen angegriffen werden: Sie seien „rassistisch“, weil sie die muslimische Einwanderung für problematisch halten. Sie würden „rechtsradikalen Hetzern“ zuarbeiten und die Kunst „missbrauchen“.
Das ist immer der Fall, wenn man kontroverse Kunst macht. Das hat man auch von den Impressionisten gesagt, dass sie ein Skandal seien, eine Provokation. Wenn man etwas macht, das politisch nicht korrekt ist, wird man heute zum „Rassisten“ gestempelt. Man muss trotzdem selbstbestimmt bleiben. Ich habe immer gesagt, ich repräsentiere weder eine Religion – ich stamme aus einer glaubensfernen Arbeiterfamilie und bin entschiedener Atheist –, noch eine Partei, und auch keine Organisation. Ich bin ein bildender Künstler und mache meine Projekte. Das ist meine einzige Richtung. Meine Kunst ist immer auch Untersuchung. Ich habe mich mit verschiedenen Organisationen auseinandergesetzt, das kann dann sehr kontrovers sein und ist ein Teil des jeweiligen Projekts.

Wenn man das Material zu Ihnen und Ihrer Kunst sichtet, fällt auf, dass oft der Versuch gemacht wird, sich nicht mit Ihrem politisch relevanten Kunstfreiheitsbegriff auseinanderzusetzen, sondern Sie in eine ideologische Ecke zu rücken, weil sie auch multikulturelle Gesellschaften kritisch hinterfragen.
Die westliche Kultur hat besondere Werte, Freiheitswerte. Andere Kulturen haben diese Werte nicht. Wenn das so ist, haben wir mit diesen Kulturen, wenn sie bei uns sind, ein Problem, falls sie das nicht anerkennen; eine solche Weigerung können wir ja nicht akzeptieren. Diese Intoleranz in verschiedenen anderen Kulturen ist das große Problem für die Ideologie des Multikulturalismus, die ein Relativismus der Postmoderne ist, aber auch der postkolonialen Situation. Der Westen handelt in diesem Zusammenhang aus einem Sündenbewusstsein heraus, darüber, was er gemacht hat in der Kolonialzeit. Er glaubt, er müsse etwas zurückzahlen an andere Kulturen, indem er die eigene nicht mehr so hoch bewertet, ihren Rang zurücknimmt.

Man hat ein schlechtes Gewissen, und deswegen toleriert man Unfreiheit?
Am Anfang war es ein guter Gedanke, andere Kulturen vorurteilslos verstehen zu wollen. Aber dann haben sie diese Kompromisse zwischen Werten gemacht, die nicht zu einander passen.

Kürzlich sendete das schwedische Fernsehen eine Reportage über den von Muslimen ausgehenden „Judenhass“ in Malmö. Darin wurde gesagt, dieser Hass sei nicht länger ein Problem der Neonazis, sondern komme primär von islamisch geprägten Jugendlichen. Zugleich wurde darüber informiert, dass viele Anzeigen jüdischer Opfer solcher Aggressionen nicht aufgegriffen würden. Warum?
Das ist ein bekanntes Phänomen. Die Linken und der Marxismus haben nicht mehr die Arbeiter auf ihrer Seite. Man hat neue „Arbeiter“ gefunden, Semi-Arbeiter. Das sind die Muslime. Andere Menschen, Japaner zum Beispiel, haben nicht dieses Repräsentationspotential, sie sind deshalb nicht interessant.

Sind die Muslime für die Linke in Europa so etwas wie ein Ersatzproletariat?
Ja, und meine Zeichnungen muss man im Zusammenhang mit dieser ganzen Debatte sehen. Diese große Diskussion ist ein Teil meines Projekts, das so klein angefangen hat mit ein paar Arbeiten für eine Ausstellung über „Hunde in der Kunst“.

Das Interview führte Ulrich Schacht

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