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Russland-Politik - Steinmeier stellt sich gegen Merkel

In der Großen Koalition bahnt sich ein Konflikt in der Russland-Strategie an: Während Merkel stets auf Distanz zu Wladimir Putin blieb, sucht SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Nähe zu Moskau

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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In Sotchi will Russland mit der Welt feiern. Aber viele auf der Welt haben Angst vor diesen Olympischen Spielen. Denn sie trauen Putin nicht. Sie wissen: Sein Russland ist keine echte Demokratie. Das sagt sich leicht. Aber wie soll Deutschland mit dieser Erkenntnis umgehen?

Hier spaltet sich die Große Koalition. Der Konflikt über den Umgang mit Russland wird nicht nach außen getragen – noch nicht. Jedoch: Die Kanzlerin und ihr Außenminister sind grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung. Merkels Ostpolitik ist nicht Steinmeiers – und umgekehrt.

Angela Merkel hat keine Sorge, dass Deutschland es sich dauerhaft mit Russland verscherzen könnte. Und wenn – sei´s drum. Frank-Walter Steinmeier hingegen hält genau das für gefährlich. Er hat Merkel schon gewarnt vor einer nachhaltigen Klimaverschlechterung mit Moskau, als er in ihrem ersten Kabinett Außenminister war. Genau damit beginnt er nun wieder.

Der Zeitpunkt erscheint ihm dafür doppelt dringlich. Noch bevor am Freitag das olympische Feuer in Sotchi lodern wird, beginnt am Donnerstag in München die Sicherheitskonferenz. Beide Male kommt die Welt zusammen, beide Male wird Putins Russland eine zentrale Rolle spielen – erst als Gast, dann als Gastgeber.

Frank-Walter Steinmeier kritisiert die Kanzlerin


Steinmeier hat seine Haltung nun glasklar formuliert: „Ohne Russland geht es nicht.“ So schreibt er es in einem Buch, das soeben aus Anlass der 50. Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt worden ist. „Towards Mutual Security“ heißt es, also etwa: „In Richtung gegenseitiger Sicherheit“. Es ist ein Sammelband mit Texten vieler Präsidenten und Minister, in dem auch die Bundeskanzlerin mit einem höflichen Grußwort steht. Ausgerechnet hier positioniert Steinmeier seine Russlandpolitik – die im Kern Merkels kritisiert.

Die beiden haben eine Vorgeschichte in dieser Frage, die fast sieben Jahre zurückliegt. Im Mai 2007 flogen Merkel und Steinmeier im selben Flieger gemeinsam zu Putin, damals erstmals als Kanzlerin und Außenminister. Die Stimmung war angespannt – auch die zwischen Kanzleramt und Kreml. Das beunruhigte Steinmeier sichtlich; Merkel gab sich gelassen.

Deutschland hatte die EU-Ratspräsidentschaft inne und es ging zum EU-Russland-Gipfel in Samara, einem russischen Kurort an der Wolga. Dort sollte ein Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland für die kommenden zehn Jahre vereinbart werden. Doch Putin zierte sich. Er wetterte gegen Polen und drohte den baltischen Staaten, weil sie, wie er meinte, sein Reich politisch triezten.

Merkel sah darin den typischen Versuch des einstigen KGB-Manns Putin, sein Gegenüber brechen zu wollen; eben die EU zu spalten in bessere und schlechtere Staaten. Weil die Kanzlerin Kompromisse auf Kosten Polens oder Estlands vehement ablehnte, pfiff sie am Ende im Namen der EU auf das ganze Kooperationsabkommen. Wenn es heute nichts wird, dann eben morgen, war ihre Devise. Auf offener Bühne kritisierte sie zum Abschluss noch neben einem steinern blickenden Putin, dass in Russland Oppositionelle und Demonstranten niedergeknüppelt würden.

„Offenheit ist besser als Harmonie“, das war Merkels Russland-Formel – und ist es bis heute. Sie stellte sich damals darauf ein, dass sich die Beziehungen zu Moskau ohnehin verschlechtern würden, und sie nahm das in Kauf. Wegen einer Mischung aus neuer Stärke und altem Minderwertigkeitsgefühl werde sich Russland unter Putin in den nächsten Jahren sowieso auf das eigene Land konzentrieren. Der russische Präsident bemühe sich daher gar nicht um Lob für demokratischen Fortschritt und wolle kein Partnerschaftsgesäusel mit dem Westen, so die Haltung im Kanzleramt vor sieben Jahren.

Merkel hatte dabei keine Sorge, dass Russland sich gänzlich vom Westen abwenden könnte. Wohin denn? China rücke dem demografisch schrumpfenden Russland schon jetzt zu nah. Außerdem sei Russland auf deutsche Technik angewiesen, um seine Bodenschätze zu heben – also don´t worry.

Steinmeier hingegen sah die Diplomatie leichtsinnig vertan. Ihn trieb die Sorge um, Russland könne sich beleidigt fühlen und vollends abschotten. Damals allerdings hielt er still. Nun, sozusagen im zweiten Anlauf unter Merkel, wird der Außenminister deutlich. Er dreht Merkels Argumentation von Samara um: Nicht die Russen seien von uns abhängig, sondern wir von Russland.

Aufschrei über Bundespräsident Gauck


„Wir werden auf die Zusammenarbeit mit Russland angewiesen bleiben. Diese Zusammenarbeit dient unserer eigenen Sicherheit“, schreibt Steinmeier in dem Buch zur Sicherheitskonferenz. „Wir brauchen Russland zur Lösung praktisch aller sicherheitspolitischen Krisen und Konflikte unserer Zeit“, so gibt er Putin zu verstehen, wie wichtig der Kreml als Partner sei – bei welchem Brandherd in der Welt auch immer.

Steinmeier blendet dabei nicht aus, was für ein halbseidener Rechtsstaat Russland ist. Er nennt das „restriktive, teils gewaltsame Vorgehen“ gegen die Opposition, erinnert an „Unregelmäßigkeiten“ bei den letzten Präsidentschaftswahlen und die „diskriminierende Gesetzgebung gegen Homosexuelle“.

Trotz alledem aber ist Steinmeiers Überzeugung: Die Tür zu Russland muss offen bleiben. Und was Steinmeier schreibt, klingt am Ende geradezu wie ein Aufschrei über Bundespräsident Gauck, der Sotchi unausgesprochen boykottiert: „Empörung allein jedenfalls ist noch keine Außenpolitik und bleibt allzu häufig folgenlos. Manchmal kann sie sogar bösen Schaden anrichten.“ Bösen Schaden!

Im Bundeskanzleramt wird man die Zeilen des Außenministers als Warnung lesen.

Wolfgang Ischinger (Hrsg.): Towards Mutual Security. Fifty Years of Munich Security Conference. Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz gGmbH, 477 Seiten, 49,99 €. Das Buch gibt es hier.

 

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