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MH17-Katastrophe - „Frieden kann man nicht herbeischießen“

Der Vizechef des Auswärtigen Ausschusses, Franz Thönnes, fordert nach dem Absturz des malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine eine umgehende Waffenruhe in der Region. Vorrang vor schärferen Sanktionen hätten zunächst weitere Verhandlungen mit Russland, sagt er im Cicero-Online-Interview

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Cicero Online: Herr Thönnes, nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH017 sprach Angela Merkel vorsichtig von „schwersten unterschiedlichen Meinungen mit Russland“. Würden Sie auch so reden?
Franz Thönnes: Unterschiedliche Bewertungen und unterschiedliche Meinungen, ja. Das ist auch das, was ich in den vergangenen Monaten festgestellt habe.

[[{"fid":"63041","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":483,"width":345,"style":"height: 168px; width: 120px; margin: 5px 7px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]Hochrangige Demokraten im US-Kongress sprechen von einem „Terrorakt“, sogar einem „Kriegsakt“. Auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von „Terrorismus“.
Derartige Verbalradikalität hilft jetzt nicht.

Was dann?
Zunächst einmal möchte ich meine tiefe Anteilnahme gegenüber den Familienmitgliedern der Betroffenen ausdrücken. Der Vorfall zeigt, dass dies kein lokaler Konflikt mehr ist, kein begrenzter Bürgerkrieg, sondern mittlerweile eine internationale Dimension erreicht hat. Da spürt man schon eine Wut im Bauch. Aber das hilft uns nicht weiter – was hilft, sind Vernunft und ein kühler Kopf.

Experten zufolge konnte die Maschine nur mit einer Boden-Luft-Rakete heruntergeholt werden. Solch eine Waffe gibt es nur in einem schlagkräftigen Militär.
Es gibt derzeit eine Vielzahl von Informationen aus Medien und Geheimdienstberichten. Offen ist, ob Separatisten die Rakete aus der ukrainischen Armee heraus erbeutet oder über irgendwelche Kanäle erhalten haben. Diese und andere Fragen müssen schleunigst aufgeklärt werden.

Was sollte Deutschland jetzt tun?
Wenn es stimmt, dass die Black Box nach Russland gegangen ist, sollte Deutschland sehr, sehr schnell auf eine internationale Untersuchung drängen und gemeinsam mit der Europäischen Union Hilfestellungen, gleichzeitig aber auch den Dialog mit Russland offen halten.

Die Kanzlerin forderte einen Waffenstillstand – die auch die prorussischen Separatisten für zwei bis vier Tage einräumen wollen. Sie waren selbst OSZE-Wahlbeobachter in der Ukraine: Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Waffenruhe jetzt hält?
Das ist schwer abzuschätzen. Gegen die jüngste Waffenruhe, die der ukrainische Präsident Poroschenko ausgerufen hatte, hatten die Separatisten ständig verstoßen. Hier hat Russland eine große Verantwortung: Es muss glaubhaft nachweisen, dass es die Separatisten nicht mehr unterstützt, weder mit Gerät noch mit Logistik, noch mit Personen, die möglicherweise irgendwann in der russischen Armee oder im Geheimdienst tätig waren. Diese Katastrophe sollte endgültig ein Anlass sein, mit dem Morden und Töten aufzuhören.

Was erwarten Sie von der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates?
Ich appelliere an die Mitglieder des Sicherheitsrates, auf alle Beteiligten einzuwirken, damit ganz zügig eine Waffenruhe ausgesprochen wird. Nochmals: Wir brauchen schnellstmöglich eine und Verhandlungen zwischen allen Beteiligten. Frieden kann man nicht herbeischießen.

Ist es nicht Zeit für schärfere Sanktionen?
Der Frieden ist es allemal wert, dass man einen weiteren Anlauf für Gespräche nimmt. Da immer wieder von deutscher und europäischer – und auch amerikanischer – Seite gesagt worden ist, dass eine militärische Lösung keine Option ist, sind natürlich auch weitere Sanktionen möglich. Aber immer in dem Zusammenhang, dass alle Beteiligten an den Verhandlungstisch zurückkehren können.

Bislang sind die Sanktionen der Europäische Union eher zahm: Brüssel hat nur Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen die russische Seite verhängt, in dieser Woche kamen noch Unternehmen, die zur Destabilisierung der Ukraine beitragen, auf eine schwarze Liste. Das wirkt eher halbherzig.
Ich würde mich gerne erst einmal auf die Untersuchung des Tathergangs konzentrieren.

Die Grünen bezeichneten die Haltung der EU jüngst als „halbherzig“ und „unerträglich“.
Wenn Moskau seiner Verantwortung nicht nachkommt, wird es sicherlich auch stärkere wirtschaftliche Sanktionen geben. Aber Vorrang ist jetzt, dass das Töten aufhört.

Sollte jetzt nicht auch die Energieunion weiter vorangetrieben werden, um sich von Russland unabhängiger zu machen?
Es ist immer gut, möglichst viele Energielieferanten zu haben. Aber die Energieverträge wurden von privaten Unternehmen geschlossen und laufen teilweise Laufzeiten bis 2030. Hier kann man nicht auf schnelle Änderungen hoffen. Man sollte aber auch nicht Ängste schüren. Russland hat sich in der Vergangenheit – auch im Kalten Krieg – stets als zuverlässiger Energielieferant erwiesen.

Könnte die SPD mit ihren traditionell guten Beziehungen zu Russland – man denke an Gerhard Schröder oder Helmut Schmidt – hier eine besondere Vermittlerrolle spielen?
Wir haben mit Frank-Walter Steinmeier einen ausgezeichneten Außenminister. Er hat sich in den vergangenen Monaten persönlich sehr intensiv an mehreren Stellen um eine Beilegung dieses Konfliktes bemüht hat.

Herr Thönnes, vielen Dank für das Gespräch.

Franz Thönnes (SPD) ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag und Leiter des Gesprächskreises Russland/GUS der SPD-Fraktion. Er war als OSZE-Wahlbeobachter während der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine

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