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„Russischer Frühling“ - Putin reicht Großmachtfantasten die Hand

Putin zieht Parallelen zwischen der Ukraine und dem Arabischen Frühling. Er bestätigt damit Großmachtfantasten, Rechtsradikale und Ultranationalisten. Denn im „Russischen Frühling“ erwacht überall das Gefühl der Bestätigung 

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Die Situation in der Ostukraine eskaliert weiter. Nach der Katastrophe um die Boeing MH17 der Malaysia Airlines werden die Untersuchungen in der Region um Donezk massiv blockiert. Internationale Regeln werden offenbar nicht eingehalten. Trotz internationaler Kritik hält Putin an seiner Unterstützung der prorussischen Separatisten fest – und ermutigt sie auf diese Weise sogar.

Dabei hatte nicht nur die Kiewer Führung Russland für den Abschuss des Passagierflugzeugs mit 298 Toten verantwortlich gemacht: Auch US-Außenminister John Kerry sprach am Wochenende von einer „außergewöhnlichen“ Masse an Beweisen. Moskau habe die Rebellen ausgebildet und mit Waffen versorgt, sagte er. „Das ist der Augenblick der Wahrheit für Putin.“

Ob die MH17 tatsächlich mit einem russischen Waffensystem zum Absturz gebracht wurde, muss jetzt untersucht werden. Eine Sache lieferte der Kreml aber in jedem Fall an die Rebellen: Sie alle eint eine Idee, an deren Entstehen Wladimir Putin großen Anteil hat. Eine Idee, die selbst wie eine Waffe wirkt.

Krim-Anschluss als „Wiedervereinigung mit Russland“ gefeiert


Es ist der 18. März, der russische Präsident hat zur Pressekonferenz in den Kreml geladen. Vor zwei Tagen haben die Krim-Bewohner für ihre Unabhängigkeit gestimmt. Putin spricht vor Abgeordneten der Staats-Duma, Mitgliedern des Föderationsrates und den Chefs der russischen Regionen. Feierlich bezeichnet er den Anschluss der Krim als „Wiedervereinigung mit Russland“.

Aber Putin bleibt nicht bei russischer Geschichte. Er vergleicht die zehn Jahre seit der Orangenen Revolution in der Ukraine mit dem Arabischen Frühling, der „vom Arabischen Winter abgelöst wurde“. Hier wie dort seien den Völkern Standards aufgezwungen worden, „die überhaupt nicht mit deren Lebensweise übereinstimmen“. Chaos und Gewalt herrschten dort – „statt Demokratie und Frieden“.

Aber Putin spricht nicht von den Ukrainern, die unter Viktor Janukowitschs antipluralistischer Politik litten. Er meint, dass „Millionen Russen in der Ukraine und auf der Krim“ unterdrückt würden.

Ihr Aufstand ist in seinen Augen ein natürlicher, ja physikalischer Prozess: „Wenn man eine Feder bis zum Anschlag zusammendrückt, schnellt sie irgendwann mit Kraft zurück“. Der Widerstand nach der Unterdrückung – in der Jahreszeitenmetaphorik: der Frühling nach dem Winter. Ein Russischer Frühling.

Putin argumentiert völkisch-nationalistisch


Der Vergleich von Arabischem Frühling mit der russischen Segregationsbewegung in der Ukraine ist ungeheuerlich. Erstens setzt Putin die autoritären Regimes Nordafrikas und des Nahen Ostens mit dem ukrainischen Staat gleich; damit spricht er letzterem jegliche demokratische Legitimation ab. Zweitens stellt er die ethnischen Russen auf der Krim und in der Ostukraine in eine Reihe mit den arabischen Völkern, die ihr Recht auf Teilhabe und mehr Demokratie einforderten – teils gewaltsam. Und genau aufgrund dieser ethnischen Einfärbung des Frühlings heißen ihn Nationalisten und Rechtsextremisten willkommen. Dabei sind deren Argumente gegen Ausländer und für ein großes Russland vor allem völkische.

Immer wieder hat der Kreml sich geweigert, gegen diese Gruppen vorzugehen. Im Gegenteil:  Wladimir Putin umarmte geradezu das rechtsnationale Milieu, aus dem viele seiner Wähler stammen. Russland sei ein „von Feinden umringter Turm“, lautet sein Mantra. Damit stößt er bei Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten auf offene Ohren.

Putin wird auch nicht müde zu betonen, dass Europa im Gegensatz zum orthodoxen Russland vom wahren Pfad abgekommen sei. Er beschwört damit den messianischen Mythos aus dem 19. Jahrhundert – und reicht orthodox-konservativen Russen die Hand. Großmachtfantasten und junge Neokonservativen sehen in ihm einen Retter Russlands, der das Land zu einstiger Größe zurückführen wird.

Im April demonstrierten in Moskau etwa 50 Rechtsextremisten für einen „Russischen Frühling“ – einen „Русская весна“ (Russkaja Vesna). Im Russischen gibt es zwei Wörter für das Wort „russisch“: „russkij“ bezeichnet ethnische und kulturelle, „rossijskij“ dagegen politische und staatliche Phänomene. Die Demonstranten hießen daher keinen „Frühling des russischen States“ willkommen, sondern einen der russischen Nation – ein Volkserwachen, das vergleichbar ist mit den Bewegungen im Europa des 19. Jahrhunderts. Passend dazu schwenken prorussische Separatisten in der Ukraine und Nationalisten in Russland die schwarz-gelb-weiße Flagge des zaristischen Russlands.

Der Begriff „Russischer Frühling“ ist im Internet ein Hit


Damit das Volk erwacht, werden aber auch Instrumente des 21. Jahrhunderts bemüht. Ein Youtube-Video, das die Ausrufung der Volksrepublik Donezk zeigt, trägt den Namen „Russian Spring“. Auf Twitter schreibt ein User, dass der „Unabhängigkeitskampf von Donbass in die heroischen Annalen der Geschichte eingehen wird – Russischer Frühling“. #Русскаявесна ist neben #Antimaidan einer der am häufigsten verwandten Twitter-Begriffe (Hashtags) von russisch-nationalistischen Profilen. Bei „Vkontakte“, dem russischen Äquivalent zu Facebook, findet man über 3.000 Videos unter dem Suchbegriff „Русская весна“.

Der Begriff verbreitet sich – auch dank der Hilfe von Kreml-Medien wie Russia Today. Der Sender zitiert beispielsweise Aleksej Chalyj, den Russland kurzzeitig als Bürgermeister von Sewastopol eingesetzt hatte, mit den Worten „die ersten Tage des Russischen Frühlings wurden zur alleinigen Machtstruktur, um die neue Regierung zu schützen.“

Wenn ukrainische Verschwörungstheoretiker und Nationalisten über den Russischen Frühling sprechen, dann geht es ihnen eher um dessen machtpolitische Dimension. Für sie ist es ein „Российская весна“ (Rossijskaja Vesna) – und steht daher für das Erwachen des russischen Hegemonialstaats, der die Ukraine in einer neoimperialistischen Art und Weise zu unterwerfen versucht. Andrij Parubij, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, vermutet hinter dem „Russischen Frühling“ eine Operation des Kremls, um alle acht südöstlichen Bezirke der Ukraine zu annektieren.

„Welle“, eine Plattform für geopolitische Nachrichten, schreibt, dass diese Operation „bereits Jahre andauert“. Diese Erzählung ergibt für jene Ukrainer Sinn, deren nationale Identität zu einem großen Teil aus der Abgrenzung zu Russland besteht – dem großen Nachbarn, der, wie häufig zu hören ist, ihre Unabhängigkeit zu unterminieren versucht.

Am Ende sind der staatlich-russische und der ethnische Frühling, der Rossijskaja Vesna und der Russkaja Vesna, vielleicht gar nicht so unterschiedliche. Die Website „rusvesna.su“ ist zum Beispiel eine ethnisch-nationalistische News-Plattform zur Ukraine. Die Top-Level-Domain „su“ steht für nichts weniger als die Sowjetunion.

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