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Rückeroberung von Palmyra - „Die dunkelsten Momente meines Lebens“

Der „Islamische Staat“ wütete in der Unesco-Weltkulturerbestätte Palmyra, dann eroberten die Truppen Assads die Stadt zurück. In diesem Moment musste der Chef der syrischen Antikenverwaltung, Maamoun Abdulkarim, vor Freude weinen. Im Interview erklärt er, dass mehr Überreste gerettet werden könnten, als erwartet

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

So erreichen Sie Martin Gehlen:

Wie ist momentan die Situation in Palmyra?
Wir können uns bisher kein komplettes Bild machen, weil es überall auf dem antiken Gelände noch Minen gibt. Ich habe momentan zwanzig Mitarbeiter vor Ort, die die Situation erkunden, um die gesamten Schäden zu ermitteln, die durch den „Islamischen Staat“, die Mafiabanden und die Raubgräber angerichtet wurden. Insgesamt jedoch ist die Lage besser als erwartet. Schätzungsweise achtzig Prozent der archäologischen Architektur sind intakt. Die Mehrheit der Gebäude sind in einem guten Zustand – die Stadtmauern, die Kolonadenstraße, das Theater, die große Agora, die Reste des Nebo-Tempels und das Lager des Diokletian. Ich beziehe mich dabei auch auf Informationen von russischen Journalisten und Videoaufnahmen, die durch Drohnen gemacht wurden.

Was sind die größten Schäden?
Zwei Tempel wurden in die Luft gesprengt, der Tempel von Baal und der Tempel von Baal Shamin, sowie der Triumphbogen und zahlreiche Grabtürme. Die meisten Steine dieser Gebäude jedoch wurden durch die Explosionen nicht pulverisiert. Auch das Fundament und Treppen sind noch vorhanden. Die Säulen sind umgefallen, aber nicht total zersplittert. Vieles lässt sich also retten und restaurieren. Wir wollen das machen in enger Zusammenarbeit mit der Unesco.

In welchem Zustand befindet sich das Museum von Palmyra?
Vor dem Angriff des „Islamischen Staates“ haben wir 90 Prozent der Exponate evakuiert und nach Damaskus gebracht – Statuen, Keramiken, Münzen und Gläser. Nicht mitnehmen konnten wir die 15 Tonnen schwere Löwenstatue. Sie wurde vom IS komplett zerstört, aber die Teile lassen sich wieder zusammenfügen. Sie ist nicht verloren, auch das ist eine gute Nachricht. Sie wurde früher schon einmal restauriert von polnischen Experten. Alle Reliefs im Museum wurden von den Wänden heruntergeschlagen, alle Statuen umgeworfen, ihre Köpfe abgeschlagen oder ihre Gesichter zerschmettert. Mindestens zwanzig Statuen lassen sich restaurieren, sie werden natürlich nicht mehr aussehen wie früher, aber immer noch eine lebendige Ausstrahlung haben.

Wie lange wird es dauern, bis die weltweit bewunderte „Perle der Wüste“ von Palmyra wiederhergestellt ist?
Das ist eine globale Aufgabe, Palmyra zählt zum Weltkulturerbe. Wenn wir über die Gebäude sprechen, die Tempel, die Grabestürme und den Triumphbogen, reden wir schätzungsweise über fünf Jahre, um das Meiste wieder fachmännisch zu restaurieren. In diesem Krieg wurden in Syrien so viele Denkmäler und Kulturschätze zerstört, Moscheen, Kirchen, Paläste und Museen. Aber wir haben die Fachleute für ihre Reparatur  Ingenieure, Architekten, Restauratoren und Archäologen.

Wie haben Sie persönlich als Chef der syrischen Antikenverwaltung diese Phase der IS-Barbarei in Palmyra erlebt?
Das waren die dunkelsten und härtesten Momente meines Lebens. Ich habe mich gefühlt wie in einem Gefängnis. Ich hatte das Gefühl, dass meine ganze Arbeit als Antikendirektor keinen Sinn mehr macht. Ich habe mich gefühlt, als wäre mein eigener Sohn eine Geisel des „Islamischen Staates“. Es verging kein Tag, an dem ich nicht an Palmyra gedacht habe. Als die ersten Bilder von der Befreiung Palmyras im Fernsehen liefen, habe ich vor Freude geweint. Zum ersten Mal war ich nicht total erschöpft aus Verzweiflung und Trauer, sondern aus Freude. Palmyra wurde nicht total ausradiert. Wir können Palmyra wieder aufbauen, und wir können es an die Generation unserer Kinder weitergeben.

Wann werden Sie selbst nach Palmyra fahren?
Dieser Traum wird bald in Erfüllung gehen. Momentan bin ich noch in Damaskus und auf Videobilder angewiesen. Denn die Armee muss alles erst absichern. Wahrscheinlich ist es mir aber schon in der nächsten Woche möglich, dorthin zu fahren und endlich alles mit eigenen Augen zu sehen.

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