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Republik Moldau - Vor dieser Frau fürchtet sich Putin

Russland oder EU? Vor der Frage steht die Republik Moldau. Natalia Morar ist dort eine Meinungsführerin. Sie hat sich den russischen Staatschef Wladimir Putin schon einmal zum Feind gemacht

Oliver Bilger

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Oliver Bilger arbeitet als freier Journalist in Moskau und lebt zurzeit in der Republik Moldau. Foto: privat

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Nationales Sicherheitsrisiko. Kreml-Gegnerin. Persona non grata in Russland. Diese Begriffe wollen nicht so recht passen zu der zierlichen jungen Frau. Doch all das war Natalia Morar schon mal, im Winter 2007. Morar, damals erst 23 Jahre alt, hatte sich mächtige Feinde gemacht: die Clique um Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Als wäre das nicht genug, entfesselte die Journalistin zwei Jahr später einen Proteststurm gegen die Regierung der Republik Moldau, ihrer Heimat.

Heute ist sie Fernsehmoderatorin, betreibt ein Café und beobachtet mit klarem Blick die Entwicklungen ihres Landes. Ihre Stimme ist wieder gefragt. Ost oder West? Das ist die große Frage in der kleinen Republik zwischen der Ukraine und Rumänien. Dabei gehe es den Menschen vor allem um eines, sagt Morar heute: „Sie wollen ein besseres Leben.“ Aber der Reihe nach. Im Dezember 2007 kehrt Morar von einer Dienstreise zurück nach Moskau. Seit sechs Jahren lebt die gebürtige Moldauerin in der russischen Hauptstadt. Sie hat dort Soziologie studiert, es läuft ein Antrag auf die russische Staatsbürgerschaft.

Die junge Frau gefährdet Russlands nationale Sicherheit
 

Neben der Uni arbeitete die junge Frau für die Stiftung von Putin-Gegner Michail Chodorkowski und das Oppositionsbündnis „Anderes Russland“. Und sie berichtet für das russische Magazin The New Times kritisch über Korruption, den Geheimdienst FSB und anlässlich der Parlamentswahl 2007 über dubiose Finanzströme des Kreml – Tabuthemen in Russland. Am Flughafen endet ihr russisches Leben: Die dem FSB unterstellten Grenzbeamten lassen die Journalistin nicht mehr ins Land, es folgt die Ablehnung von Morars Gesuch auf Staatsbürgerschaft mit dem Verweis auf eine mögliche Bedrohung für den Staat.

Das mächtige Russland sieht in der jungen, grazilen Frau eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Also kehrt die Verstoßene zurück in ihre Heimat Moldau – und sorgt dort erneut für Aufsehen. Im April 2009 legt sie sich mit den regierenden Kommunisten in der Hauptstadt Chisinau an. Morar und Mitstreiter einer Oppositionsbewegung rufen über Twitter zum Protest gegen die Parlamentswahl auf. Morar rechnet mit 300 Teilnehmern. Es kommen schließlich 15.000 Menschen, die den Kommunisten Wahlfälschung vorwerfen.

Der Protest gerät außer Kontrolle, Demonstranten stürmen das Parlament, es gibt Verletzte und Tote. Morar distanziert sich von der Gewalt. Sie habe „die Wut der Menschen unterschätzt“, erklärt die Aktivistin später. Die Behörden wollen sie vor Gericht stellen. Das Wahlergebnis wird bestätigt, doch die Regierung scheitert wenig später beim Versuch, einen Präsidenten zu wählen. Eine proeuropäische Koalition gewinnt die Neuwahlen und lässt alle Anschuldigungen gegen Morar fallen.

Kommunisten könnten proeuropäische Koalition ablösen
 

Bis heute kann sich die Regierung an der Macht halten. Heute moderiert die 30-Jährige eine Talkshow im moldauischen Fernsehen. Es geht, wie sollte es bei ihr anders sein, um Politik. Morar diskutiert energisch mit der Elite des Landes – und zementiert ihre Meinungsführerschaft. Im Herbst wählt Moldau ein neues Parlament, und die russlandfreundlichen Kommunisten haben gute Chancen, die proeuropäische Koalition abzulösen.

Dass die regierende „Allianz für europäische Integration“ beim Kampf gegen die Korruption versagt, sei „die größte Enttäuschung für die Menschen“, sagt Morar. Die Koalition habe kaum etwas erreicht, verkaufe nur den Traum von der EU-Mitgliedschaft. „Heute wissen wir, dass es in einigen Bereichen so war wie unter den Kommunisten, wenn nicht sogar schlechter.“ Aber das Land warte auf Fortschritte: weniger Armut, neue Jobs, bessere medizinische Versorgung.

Moldau ist hin- und hergerissen zwischen Ost und West. In den kommenden Wochen wollen Chisinau und Brüssel ein Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Ein solches hatte den Konflikt in der Ukraine ausgelöst. Moldaus Regierung fährt einen klaren Europakurs, Russland aber will die ehemalige Sowjetrepublik nicht aus seiner Einflusssphäre lassen, droht mit Konsequenzen. Gleichzeitig hofft die abtrünnige Region Transnistrien auf die Abspaltung von Moldau und, wie die Krim, den Anschluss an Russland.

„Russland macht, was es will"
 

Das besorgt viele im Land. Näher ran an Europa will auch Morar. Allerdings sollte Moldau ihrer Ansicht nach nicht radikal werden gegenüber Russland. „Die russischen Interessen in der Region können wir nicht völlig vermeiden und ignorieren.“ Was geschieht mit dem Westkurs des Landes, wenn die Kommunisten gewinnen? Morar glaubt nicht, dass dann der Europakurs stoppt. „Nach dem Krimreferendum können die Kommunisten nicht mehr für die Zollunion mit Russland werben“, erklärt sie. „Russland kann nicht als stabiler Partner gesehen werden. Russland macht, was es will und wann es will.“ Putin entwickele sich immer mehr zu einem Diktator.

 Nach Russland darf Morar seit 2012 wieder einreisen. Dreimal war sie seitdem dort. Nach Moskau will sie aber nicht mehr zurück.

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