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Abspaltung - Sind die Schotten noch ganz dicht?

Schottland, Katalonien und der ukrainische Donbas – in Europa sind die Separatisten auf dem Vormarsch. Politisch und ökonomisch sind die Unabhängigkeitsbestrebungen absurd. Den Regierungen in London, Madrid und Kiew sollten sie ein Warnsignal sein – und sie sollten einmal nach Deutschland schauen

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Andreas Theyssen ist einer der beiden Gründer der Website opinion-club.com, eines digitalen Debattierclubs, der auf Kommentare, Analysen und Glossen spezialisiert ist.

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Geographielehrer ist ein ganz mieser Job. In etwa so wie Steinkohlebergbaukumpel, Reisebüro-Angestellter oder Redakteur beim „Stern“. Geographielehrer müssen sich ständig neu erfinden, ständig Neues lernen, um in ihrem Fach up-to-date zu sein. Die Inder benennen ständig ihre Städte um, die Afrikaner ihre Staaten – und die Europäer zeichnen permanent die Landkarte ihres Kontinents neu.

Demnächst dürfen Geographielehrer wieder etwas Neues lernen. Die Schotten werden kommende Woche über ihren eigenen Staat abstimmen, die Katalanen wollen nun wirklich ernst machen mit der Abspaltung von Spanien, und die Russo-Ukrainer im Donbas sind schon seit Monaten dabei, sich aus der Ukraine zu verabschieden. Fehlt eigentlich nur noch, dass die Bayern mit ihrem Freistaat ernst machen, falls sie ihre Pkw-Maut nicht kriegen.

Wie viel Sinn macht Rückfall in mittelalterliche Kleinstaaterei?


Nun ist es jeder Region unbenommen, sich von ihrem bisherigen Heimatstaat zu verabschieden, vorausgesetzt dies geschieht mittels eines fairen Referendums, also in freier und geheimer Abstimmung. Wie man es definitiv nicht macht, wurde im Frühjahr auf der Krim demonstriert, wo das Referendum unter Aufsicht von Truppen aus einem Nachbarland stattfand.

Allerdings gibt es auch gute Gründe, den aktuellen Modetrend zu hinterfragen. Macht es beispielsweise Sinn, dass 4,2 Millionen Schotten in einem eigenen Staat leben, der weniger Einwohner hat als Berlin und Köln zusammen? Macht es Sinn, dass diese 4,2 Millionen komplette staatliche Strukturen finanzieren inklusive eines Diplomatischen Dienstes, um Schottland auch in Brüssel, London oder Washington zu vertreten? Macht er Sinn, dieser Rückfall in die mittelalterliche Kleinstaaterei, der Länder entstehen lässt wie Montenegro, Kosovo oder Moldau, die kaum auf eigenen Beinen stehen können?

Es macht wenig Sinn. Vor allem nicht, wenn man der Einheit Europas das Wort redet, sich aber nicht einmal im eigenen Land einigen kann. Insofern: Sind die Schotten noch dicht?

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Die Sehnsucht nach einem eigenen Staat hat viele Gründe. Es sind historische, ökonomische, teils von außen implementierte. Allen Separatisten gemein ist aber, dass sie mit ihrer aktuellen Zentralregierung unzufrieden sind, und dass die Zentralregierungen auch immer Anlass zur Unzufriedenheit gegeben haben. Denn sowohl Großbritannien als auch Spanien und die Ukraine sind Zentralstaaten, in denen (nahezu) alle Macht von der Hauptstadt ausgeht. Und dort wird offenbar schon seit langem so regiert, dass sich manche Regionen vernachlässigt oder übervorteilt fühlen.

Das Vereinigte Königreich sollte sich an Deutschland ein Beispiel nehmen


Gegen dieses Phänomen, das auch schon in Frankreich oder Italien zu beobachten war, gibt es übrigens ein Gegenmittel. Es nennt sich Föderalismus und lässt sich am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland wunderbar beobachten. Dort haben die Regionen eigene Regierungen, können eigene Gesetze erlassen, können über den Bundesrat der Zentralregierung Paroli bieten, wenn sie ihre Belange vernachlässigt sehen. Das macht politische Entscheidungen zwar langwieriger und manche Regionen wie das Saarland oder Berlin sind einfach zu klein, um als eigenständige Bundesländer zu agieren. Aber diese Form der Eigenverantwortung und der Beteiligung sorgt auch dafür, dass separatistische Bestrebungen in der Bundesrepublik so gut wie unbekannt sind. Selbst der Freistaat Bayern gehört immer noch zu Deutschland.

Im Fall Schottlands und – aus anderen Gründen – des Donbas mag diese Erkenntnis zu spät kommen. Aber alle anderen Zentralregierungen, die sich mit separatistischen Bestrebungen konfrontiert sehen, sollten sich einmal genauer die Verhältnisse in der Bundesrepublik anschauen. Oder der Schweiz. Oder der Vereinigten Staaten von Amerika.

Mehr zum Thema finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Cicero. Darin schreibt der ehemalige Bond-Darsteller Sean Connery, warum Schottland unabhänig sein muss. Die Ausgabe mit dem Titel „Das neue Nationalgefühl“ thematisiert, warum Staaten und Nationen heute wieder ihr Heil im Alleingang suchen. Die September-Ausgabe des Cicero können Sie HIER als App und am Kiosk erwerben.

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