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Rechtspopulisten in Europa - Brüssel ist nicht Weimar

Der Vormarsch der Rechten macht Europa Sorgen. Schließlich wird im Mai ein neues Europaparlament gewählt – Populisten und Nationalisten könnten die großen Gewinner sein. Doch fast noch gefährlicher sind die Reaktionen in den EU-Hauptstädten

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Die Angst geht um im Brüsseler Europaviertel. Diesmal geht es nicht um die Pleite einer Großbank oder den Zusammenbruch des Euro – also um jene Gefahren, die Kanzlerin Merkel und die anderen EU-Chefs jahrelang in Atem gehalten haben. Die Finanzrisiken wurden – wenn auch nur notdürftig – gebannt, die Märkte haben wieder Vertrauen gefasst. Doch gleichzeitig hat das Vertrauen der Bürger in die EU massiv gelitten. Dies könnten sich Populisten und Nationalisten zunutze machen, so die neue Angst in Brüssel.

Bei der Europawahl im Mai könnten sie mehr als zehn Prozent der Stimmen einheimsen, fürchtet der grüne Europaabgeordnete Jan Philip Albrecht. Sein CSU-Kollege Manfred Weber rechnet sogar damit, dass Euroskeptiker vom linken und rechten Rand „bis zu 30 Prozent“ der 751 Mandate erhalten. Sorgen macht sich auch der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Hannes Swoboda. Je mehr EU-skeptische Abgeordnete in die Straßburger Kammer einziehen, umso schwieriger werde die Mehrheitsfindung, warnt der Österreicher.

Droht dem Europaparlament eine Blockade? Kommt es Ende Mai gar zu einem politischen „Erdbeben“, wie der Europaabgeordnete Nigel Farage von der nationalistischen britischen UKIP-Partei frohlockt? Und droht Brüssel dann eine feindliche Übernahme durch EU-Gegner? Die Meinungen sind geteilt. Bisher halten sich Optimisten und Pessimisten ungefähr die Waage.

Rechtsallianz gegen den „eurokratischen Super-Staat“


Einen ersten Höhepunkt hatte die neue europäische Angstwelle bereits Ende Oktober, als sich die beiden Rechtspopulisten Geert Wilders aus Den Haag und Marine Le Pen aus Paris zu einem Bündnis zusammenfanden. Die „Allianz der Patrioten“ will Gleichgesinnte aus Tschechien, Dänemark, Schweden oder Belgien (Flandern) um sich scharen. Auch Italiens Lega Nord und Österreichs Freiheitliche werden bereits eifrig umworben. Gemeinsam wollen sie den „eurokratischen Super-Staat“ (FN-Slogan) entmachten.

Nach zwei medienwirksamen Treffen in Paris und Den Haag wurde es aber schnell wieder still um das merkwürdige Bündnis der beiden ungleichen Politiker. Bis auf Hetze gegen Ausländer und vor allem gegen Muslime haben Le Pen und Wilders nicht viel gemein. Le Pens Front National gibt sich einen betont sozialen Anstrich und könnte bei der Europawahl zur stärksten Partei Frankreichs aufsteigen. Wilders PVV ist dagegen eher auf dem absteigenden Ast. Ein gemeinsames Programm haben sie bisher nicht zustande gebracht.

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Alles halb so wild, hieß es denn auch schnell. Die Entwarnung kam ausgerechnet aus dem konservativen Lager, das derzeit (noch) die Mehrheit im Europaparlament stellt und besonders anfällig für nationalistische Parolen scheint. In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde zwar der Aufstieg der Nationalisten und Populisten belegt. „Inzwischen haben sich die rechtspopulistischen Parteien fast überall in Europa als relevante politische Kräfte etabliert“, fanden die KAS-Forscher Karsten Grabow und Florian Hartleb heraus. Betroffen sei rund die Hälfte der 28 EU-Staaten.

Eine politische Lähmung drohe jedoch nicht. Denn die Parteien sind viel zu unterschiedlich, um gemeinsame Sache zu machen. Das Spektrum reiche von verfassungsfeindlichen, faschistoiden Gruppierungen wie der Jobbik  in Ungarn über Parteien im „verfassungsrechtlichen Graubereich“ wie der Front National in Frankreich bis hin zu gemäßigteren Gruppen wie der Dänischen Volkspartei. „Weimar droht nicht“, betonte Hartleb bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Daran könne auch die schwierige Lage in Griechenland und die anhaltende wirtschaftliche Krise in weiten Teilen Europas nichts ändern.

 

Brüssel ist nicht Weimar – diese Schlussfolgerung hat etwas Beruhigendes. Sie ist wahrscheinlich allein schon deshalb richtig, weil in Brüssel seit Jahren eine große Koalition herrscht, die Extremen keine Chance lässt. Fast alle wichtigen Entscheidungen im Europaparlament werden parteiübergreifend vorbereitet und getragen. Wechselnde Mehrheiten sind selten; nur die Liberalen wechseln gelegentlich das Lager. Die Nationalisten sind marginalisiert und dürften es selbst bei einem Wahlerfolg im Mai bleiben.

Die eigentliche Gefahr lauert möglicherweise nicht im EU-Parlament, sondern in den Mitgliedstaaten und ihrem EU-Organ, dem Ministerrat. Denn einige Länder könnten durch den Vormarsch der Rechten aus der Bahn geworfen werden. In Griechenland könnte der Vormarsch der rechtsextremen „Morgenröte“, aber auch der linken „Syriza“ der ohnehin schwachen Regierung den Todesstoß versetzen. In Frankreich könnte ein Sieg von Le Pen nicht nur zu einer Regierungs-, sondern sogar zu einer Staatskrise führen. Alarmierend ist auch die Lage in Belgien, wo ein Sieg der flämischen Nationalisten zu Lähmung und Spaltung führen könnte.

Offiziell geben sich die EU-Chefs noch gelassen. Doch in Wahrheit haben sie längst reagiert. Aus Angst vor Populisten und Nationalisten hat der Rat seine traditionell liberale Linie aufgegeben. So wurde die Flüchtlingspolitik nach dem Drama vor Lampedusa weiter verschärft – in der fatalen Hoffnung, den Ausländerfeinden so keine zusätzliche Munition zu liefern. Auch die Einwanderungspolitik steht schon im Bann der Ausländerfeinde. Der britische Premier David Cameron bereitet rechtlich umstrittene Maßnahmen gegen Bulgaren und Rumänien vor, die so zu EU-Bürgern 2. Klasse würden. In Deutschland, Frankreich und Holland gibt es ähnliche Überlegungen.

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Erneute Eskalation der Eurokrise?


Wenn das so weiter geht, dürfte die EU bis zur Europawahl deutlich nach rechts rücken. Der Vormarsch der Rechten würde damit zum Erfolg, noch bevor ein einziger neuer rechter Abgeordneter ins Europaparlament eingezogen ist. Und das ist noch nicht einmal das schlimmste Szenario. Richtig ernst könnte es werden, wenn nach der Wahl tatsächlich Regierungen in Ländern wie Griechenland oder sogar Frankreich stürzen. Dies könnte zu einer Kettenreaktion führen und die überwunden geglaubte Eurokrise erneut anheizen, fürchten Finanz-Analysten schon jetzt.

Schicksal ist das allerdings nicht. Schließlich hat ja noch nicht einmal der Europa-Wahlkampf begonnen. Erst im März, wenn alle großen europäischen Parteien-Familien ihre Kandidaten nominiert und ihre Programme formuliert haben, wird man klarer sehen. Vielleicht entdecken die Bürger dann ja doch noch ihre Liebe zu Europa. Das hoffen jedenfalls die unverbesserlichen Optimisten in Brüssel. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist so einer.

Die Rechten seien ein Problem, so der SPD-Politiker und Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten. Vor allem die „einseitige Sparpolitik“ treibe den Populisten und Nationalisten immer neue Anhänger zu. Dennoch sollte man die rechte Gefahr nicht übertreiben, warnt Schulz. Zu viele öffentliche Mahnungen und Warnungen könnten „eine selbst erfüllende Prophezeiung“ herbeiführen – und die Rechten weiter stärken.

Man könnte es auch anders formulieren: Der EU droht ein Teufelskreis der Angst, eine rechte Angstspirale. Und Brüssel ist mal wieder mittendrin.

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