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Putin und der vergessene Ukraine-Konflikt - Deutschlands Allianz mit dem Kriegstreiber

Putin kann sich ins Fäustchen lachen: Deutschland übernimmt am Donnerstag den OSZE-Vorsitz für 2016 – und kämpft an der Seite Russlands gegen den IS. Die Ukraine steht längst nicht mehr im Mittelpunkt der deutschen Außenpolitik. Dabei herrscht dort weiterhin Krieg

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Die Bedrohung ist da, nun zieht auch Deutschland in den Kampf. Zwar wird die Bundeswehr mit Beobachtungs-Tornados, Tankflugzeug, Schutz-Fregatte und Peschmerga-Lehrern vorerst als Helfer der wahren Krieger dienen. Doch bei aller Symbolkraft dieses Regierungsbeschlusses, der noch durch den Bundestag muss, bedeutet schon das im Ernstfall für die Piloten, Seeleute und Ausbilder: Sterben. Die Frage ist, ob für die Freiheit. Oder nur für Paris.

Das sagt sich nicht leicht für die Bundesregierung, die allein das Wort „Krieg“ vermeidet. Dennoch ist der geplante Einsatz ihr kriegerischer Ernst. So eindeutig hat diese Große Koalition nicht handeln wollen im anderen Krieg, dessen Ausbruch sie auch erlebt hat: den in der Ukraine. Da verteidigte Berlin westliche Werte nur verbal. Aussichten auf Nato und EU bot es der Ukraine keine an, kriegerische Unterstützung schon gar nicht.

Frankreich ist Deutschland näher als die Ukraine


Es ist einer demokratischen Regierung nicht vorzuwerfen, dass sie selbst bei Werte-Fragen die Interessen des eigenen Staates im Auge haben muss. Die Deutschen sind die engsten Partner der Franzosen. Beide Nationen sind Kern der EU und auch durch die Nato fest liiert. Frankreich mit Soldaten zu helfen, liegt in jeder Hinsicht näher als der Ukraine. Am Ende geht es jedoch gar nicht um Rache für Paris, sondern um Selbstverteidigung. „Wir stehen bereits im Fadenkreuz des IS“, sagte Verteidigungsministerin von der Leyen dem ZDF.

Daher scheint es sogar wieder erlaubt, mit Russland zu kooperieren. Außenminister Steinmeier stellt die Wiederaufnahme des Nato-Russland-Rats in Aussicht. Und SPD-Politiker im EU-Parlament fordern, Russland von schwarzen Listen zu streichen, sprich: Sanktionen aufzuheben.

Der Islamismus ist schließlich ein Feind aller. Assads Zukunft könne später geklärt werden, so ist in Berlin kaum mehr im Flüsterton zu hören. Frankreichs Außenminister spricht hörbar so, wenn er die „Warum nicht?“-Frage stellt nach einer gemeinsamen Front mit syrischen Regierungstruppen.

Das Problem heißt IS und nicht Krim


Für Deutschland kann diese bellizistische Nonchalance schon bald zu einem Problem an anderer Stelle werden, eben im Ukraine-Krieg. Hier wird Russland seine neuen westlichen Partner spüren lassen, was sie durch ihr Handeln ja selbst klar gemacht haben: In Zeiten des IS-Terrors gebe es Wichtigeres als Donezk und Luhansk. Das Problem heiße Raqqa und nicht Krim.

Deutschland wird am Donnerstag von Serbien den Vorsitz der OSZE für 2016 übernehmen. Als Steinmeier 2014 darauf hinarbeitete, schien das ein großer diplomatischer Plan zu werden. Denn die OSZE galt als das letzte intakte Scharnier nach Moskau. Russland ist Mitglied der Allianz der 57 Staaten für Frieden und Sicherheit in Europa. Trotz aller Sanktionen und neuer Eiszeit war der Draht in dieser Organisation zum Kreml gerade jetzt kurz und heiß. Steinmeier – dem immer viel daran lag, mit Putin im Gespräch zu bleiben – wollte ihn nutzen.

Ganz im Geist von Helsinki sollte das gehen, wo die KSZE-Gründung vor 40 Jahren auch zum Ziel hatte, aus Kalten Kriegern Gesprächspartner zu machen. Kooperation statt Konfrontation war so ein Schlagwort, das der Außenminister nutzt, Dialog statt Sprachlosigkeit, Diskurs statt Abschottung.

Bis vor Kurzen schien das tatsächlich ein möglicher Weg zur Verständigung. Im Spätsommer schwiegen die Waffen, das Abkommen von Minsk aus dem Februar schien irgendwie zu halten. Inzwischen allerdings fallen wieder Schüsse. Die hört bloß kaum jemand im Westen, weil der Kampf gegen den IS die nun größere Aufgabe zu sein scheint. Da interessiert auch nicht wirklich, ob die OSZE-Beobachter in der Ostukraine nun den Abzug schwerer Waffen von der Front bestätigen können. Sie können es nicht.

Der Ukraine droht ein eingefrorener Konflikt


Russland war auf die OSZE angewiesen, sie war auch sein einziges Dialogfenster gen Westen. Doch durch das neue Zwangsbündnis gegen den IS hat Putin ein Comeback als internationaler Partner. Er kann es sich im Kampf gegen den islamistischen Terror leisten, dass der separatistische weitergeht. Wenn es mit dem Schmieden der neuen Allianz gut läuft, könnte er auf die OSZE-Zusammenarbeit in der Ukraine möglicherweise verzichten.

Die große Gefahr besteht, dass aus dem Ost-Ukraine-Krieg ein sogenannter „frozen conflict“ wird: eingefroren, wie er ist. Putin hat da Erfahrung. Nach dem Grenzkonflikt mit Georgien gab es auch eine OSZE-Mission. Putin hat die Zusammenarbeit dort 2008 beendet – seitdem ist der prorussische Status quo Realität.

Nächstes Jahr muss unter deutscher OSZE-Präsidentschaft über die Fortsetzung der Missionen in der Ukraine entschieden werden. Es herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. Sagt Putin „Njet“, dann war es das mit dem Beobachten. Politische Analysten vermuten, er lehne wahrscheinlich die Grenz-Beobachtermission ab und stimme eventuell der anderen weiter zu, die den Waffenstillstand kontrolliert.

Wenn die Grenzen zu den ukrainischen Provinzen perforiert wären und trotzdem Ruhe herrschte, wäre das ein Sieg für Russland. Der IS könnte nun dazu beitragen.

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