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Gauck vs. Sotschi - Schweigen ist vielsagender

Joachim Gauck hat genau das Richtige getan. Vor allem bedarf es keiner Begründung seines Fernbleibens von den Olympischen Spielen

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die eigentliche Frage lautet doch erstmal: Warum sollte Joachim Gauck überhaupt nach Sotschi reisen? Steht in seiner Arbeitsplatzbeschreibung vielleicht irgendetwas von einer zwingenden Teilnahme an sportlichen Großveranstaltungen? Und wenn das so wäre, bestünde dann nicht auch Präsenzpflicht für den Bundespräsidenten bei anderen Mega-Events? Dem Oktoberfest, zum Beispiel? Irgendwelchen Formel-1-Rennen? Oder bei der Kreuzberger Traditionsdemo am 1. Mai?

Vielleicht können wir uns also zunächst darauf einigen, dass Deutschlands Staatsoberhaupt immer noch selbst darüber entscheidet, welchen Feierlichkeiten der Spaßkultur er die Ehre erweist. Alles andere wäre ja völlig grotesk und mit der vielzitierten „Würde des Amtes“ schlichtweg unvereinbar. Punkt.

Inszenierung eines quasidiktatorischen Systems


Was aber die Olympischen Spiele im Speziellen angeht, kann ich Gauck zu seiner Absage nur gratulieren. Denn es sind in diesem Fall eben gerade keine „Hochämter des Sports“, wie mein Kollege Alexander Kissler in hoffentlich nur vorgetäuschter Naivität schreibt. Die sportlichen Wettbewerbe dienen vielmehr als bloße Kulisse für die Großmannssucht und das neoimperiale Gehabe des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Tatsächlich handelt es sich, zumindest aus der Sicht des Gastgebers, um eine politische Kundgebung im denkbar größten Stil. Um das zu begreifen, muss man gar nicht erst auf die Olympischen Spiele des Jahres 1936 rekurrieren, die dem damals herrschenden Regime eine willkommene Möglichkeit boten, nicht nur Deutschland, sondern eben auch die zu dieser Zeit angesagte Ideologie im vermeintlich besten Licht einer staunenden Weltöffentlichkeit zu präsentieren.

Ich will jetzt überhaupt keine Vergleiche zwischen Nazi-Deutschland und Putin-Russland ziehen, denn dafür sind die Unterschiede in der Sache und in der Form viel zu groß. Aber es sei mir die Feststellung erlaubt, dass der russische Präsident seinem Staat ein quasidiktatorisches System aufgezwungen hat, das sämtlichen Werten der Aufklärung diametral gegenübersteht, angefangen bei Menschenrechten bis hin zu basalen Individualfreiheiten. Und in dieser Hinsicht, verehrter Herr Kollege Kissler, besteht mit Verlaub eben schon ein Unterschied zwischen dem Verbot von Mentholzigaretten in der Europäischen Union und der Inhaftierung beziehungsweise Drangsalierung von Regimekritikern in der russischen Föderation. Dass die Olympischen Winterspiele in Sotschi erwiesenermaßen einen Grad an Korruption erreicht haben, der sogar in der mit Korruptheit überreich gesegneten Geschichte dieser Sportveranstaltung neue Grenzen setzt, fällt da kaum noch ins Gewicht.

Russische Diskriminierung nicht mit dem Verstand vereinaber


In seinem Beitrag empfindet Kissler ganz offensichtlich Genugtuung darüber, dass in Russland niemand vom Staat Geld dafür bekommt, „dass er den Geschlechterunterschied für ein soziales Konstrukt erklärt“. Womit er sich halbwegs verdruckst einem Thema nähert, das seit mehreren Monaten erhebliche Irritationen nicht nur bei den für eine Teilnahme in Sotschi qualifizierten Sportlern sorgt. Es geht um das „Verbot der Propaganda nicht-traditioneller Beziehungen“, welches das öffentliche Auftreten gleichgeschlechtlicher Paare unter Strafe stellt (auch bekannt als Anti-Homo-Gesetz).

Diese flagrante Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen mag gutheißen wer will, mit Menschenrechten ist sie schlichtweg unvereinbar. Mit dem Verstand übrigens auch nicht, aber das ist ein anderes Thema. Und es ist ja durchaus kein Zufall, dass dieses Gesetz ausgerechnet noch rechtzeitig vor den Olympischen Spielen vom russischen Parlament verabschiedet wurde: Damit sich in Sotschi gefälligst auch der dekadente Westen dem neuen russischen „Werte“-Kodex unterwerfen möge.

Diese Provokation war vollumfänglich beabsichtigt. Soll das wirklich durch die Anwesenheit des deutschen Bundespräsidenten auch noch nobilitiert werden?

Nein, Joachim Gauck hat genau das Richtige getan, indem er den russischen Gastgebern eine Absage erteilte, nicht anders als Barack Obama und François Hollande. Dass er darauf verzichtet, sein Fernbleiben explizit zu begründen, spricht nicht nur für die politische Klugheit des deutschen Staatsoberhaupts, dessen Amtsführung keine Nebenaußenpolitik duldet. Sondern auch für die menschliche Größe, eine Provokation nicht im gleichen Stil zu erwidern. Manchmal kann Schweigen eben vielsagender sein als laute Worte.

Der Pro-Beitrag von Alexander Marguier ist eine Replik auf das gestrige Contra von Alexander Kissler.

 

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