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Johannes De Bruycker

Flüchtlinge in Griechenland - Hier versagt Europa

Touristen soll der Anblick des Elends erspart bleiben: Am 1. Mai beginnt in Griechenland die Urlaubssaison. Bis dahin soll das provisorische Flüchtlingslager im Hafen von Athen aufgelöst werden. Die Flüchtenden sollen mit Bussen abtransportiert werden. Sie fürchten, das könnte eine Sackgasse sein

Autoreninfo

Olivia Kortas ist freie Journalistin in München. Sie hat politischen Journalismus mit dem Schwerpunkt Europäische Union an der HU Utrecht und der DMJX in Aarhus studiert.

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Im Schatten der hageren Bäume sitzt Murad, seine Hände locker im Schoß verschränkt. Die müden Augen funkeln auf, wenn er sagt: „Mein größter Traum war Deutschland. Aber Deutschland ist vorbei.“ Murad, der 32-jährige Jeside aus dem Irak, lebt seit fünf Wochen in Piräus. Er hat abgenommen, graue Stoppeln schimmern im schwarzen Bart. Oft sucht er unter den Bäumen Ruhe und etwas Abstand von den lauten Stimmen und Streitereien im Camp. Trotzdem: Gehen will Murad nicht. „Am Mittwoch kamen Polizisten und sagten, wir sollen bis zum 1. Mai von hier verschwinden. Ich warte bis zum letztmöglichen Tag.“

Hier im Hafen von Athen prallen Realitäten aufeinander. Touristen lehnen sich über die Reling einer sanft schaukelnden Motoryacht, blicken hinab auf Grüppchen von Syrern, Afghanen und Irakern. Hinter ihnen gähnen die trostlosen Passagierwartehallen und Bushaltestellen, in denen sie seit Tagen und Wochen schlafen. Die Flüchtenden stehen und sitzen auf dem heißen Beton und sehen zu, wie Schiffe am Horizont verblassen. Sie selbst kamen meist mit Fähren nach Piräus. Etwa von der Insel Lesbos, die Papst Franziskus am Samstag besuchte, bevor er von der schlimmsten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg sprach.

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Für die meisten wäre Griechenland nur eine Station auf ihrer Flucht in den Westen der EU. Doch weil die Grenzschließungen eine Weiterreise verhindern, stecken aktuell 53.800 Flüchtende in Griechenland fest. Davon 3.700 in Piräus.

„Die Behörden wollen keine Flüchtenden, wo Reisende verkehren“


Murad schüttelt entschlossen den Kopf. In die offiziellen Auffanglager gehe er auf keinen Fall. „Ich habe keinen Kontakt zu Leuten in den Lagern. Aber ich habe schon viele von dort nach Piräus zurückkehren sehen.“ Der Jeside runzelt die Stirn und blickt wachsam in Richtung der grauen Lagerhallen, deren Fassaden gigantische Graffitis bedecken. Nicht weit von hier schläft er selbst auf dem Boden einer stickigen Passagierwartehalle. „Auch in Piräus ist es nicht gut. Die Leute werden aggressiver, es gibt Messerstechereien. Aber hier sind wir wenigstens nicht abgeschottet“, sagt Murad.

Eva Cossé ist Griechenlandexpertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und veröffentlichte Ende März einen kritischen Bericht über Piräus. „Schon von Anfang an versuchen die griechischen Behörden, die Menschen im Hafen mit Bussen in die offiziellen Auffanglager zu bringen“, sagt sie. „Ohne Erfolg und das hat Gründe. Diese Lager sind schlecht.“ Doch laut Eva Cossé könne das provisorische Camp im Hafen Athens bald tatsächlich aufgelöst werden. „In der ersten Maiwoche sind hier Osterferien. Der Tourismus beginnt, deshalb wollen die griechischen Behörden keine Flüchtenden mehr dort sehen, wo Reisende verkehren“, so Cossé. Jetzt müsse man aufpassen, dass das Camp nicht mit Gewalt aufgelöst werde.

Bereits am Samstag war die freiwillige Helferin Kristina Alicia dabei, als einer der Busse kam, die die Menschen in die Auffanglager bringen sollen. „Die Leute werden nicht informiert. Die Busse kommen einfach, aber wohin sie fahren und warum, das wird den Menschen nicht gesagt“, ärgert sich die Belgierin. Bereits seit Wochen seien nur die freiwilligen Helfer und das Internet Informationsquellen der Flüchtenden im Hafen.

Für die Flüchtenden war Piräus mal das, was es eigentlich ist: ein Transitpunkt. Eine Station auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Daran erinnert sich Kristina Alicia noch genau. „Ich war dabei, als die Grenzen geschlossen wurden. Als sich diese Station plötzlich zu einem Lager wandelte“, erzählt sie. Das war nur wenige Tage, bevor Murad in Piräus ankam. Wenn Murad darüber nachdenkt, muss er schlucken. „Ich kam zwei Wochen zu spät, die Grenzen waren dicht“, sagt er. Seine Flucht hatte zu lange gedauert. Zwei Mal versuchte Murad vergeblich, in die EU zu flüchten. Erst beim dritten Mal klappte es.

Trotz schlechter Zustände bleiben die Menschen im Hafen


„Als ich hier ankam, dachte ich: Wow, gleich bin ich in Deutschland, ich habe es geschafft!“, erzählt der Iraker und weitet ungläubig die Augen. In Piräus erwartete ihn das Gegenteil. Anfangs gab es keine Toiletten, das Essen war knapp, freiwillige Helfer mussten improvisieren. „Die Zustände schockieren mich bis heute”, sagt Kristina Alicia, mittlerweile eine gute Freundin von Murad. Das provisorische Camp hat nur zwei Duschen und wenige Toiletten, die meisten davon sind mintgrüne Dixiklos. „Ich bin so dankbar, dass es Kristina gibt“, erzählt Murad. „Sie ermöglicht mir einmal die Woche eine Dusche im Hotel.“ Dann deutet er auf die leere kleine Plastikbox neben seinem Knie. „Wir bekommen jeden Tag nur Linsen und Nudeln. Darin sind keine Nährstoffe, das ist Fastfood.“

Trotz der Zustände fürchten viele der Flüchtenden eine Schließung des Camps im Hafen. Ihre einzigen Alternativen sind die offiziellen Auffanglager. „Zwar hat Human Rights Watch keinen Zugang zu den Camps. Aber aus Gesprächen mit Flüchtenden weiß ich, dass die Zustände miserabel sind“, erzählt die Aktivistin Eva Cossé. „Das sind sehr einfache Lager, mitten im Nichts, schlecht angebunden und teils ohne Internetverbindung.“ Auch Murad hörte Gerüchte: „Ich habe Angst, dass wir endgültig in Griechenland feststecken, wenn wir in die Auffanglager kommen.“

Deutschland hat nur 37 Flüchtende aus Griechenland aufgenommen


Momentan können sich die Menschen weder für eine Umverteilung in andere EU-Länder registrieren noch Asyl beantragen. Das bestätigt Eva Cossé von Human Rights Watch. „Das griechische Asylcenter ist zusammengebrochen“, sagt Kristina Alicia. Zu viele Menschen hätten Asyl beantragt. Für Griechenland ist das ein langfristiges Problem. „Auch für die Umverteilung können keine Anträge gestellt werden. Der ganze Prozess ist eingefroren, weil die Behörden überfordert sind“, so Cossé.

Monate hat es gedauert, bis sich die Regierungschefs der EU-Länder auf eine Entlastung der Ankunftsländer Griechenland und Italien einigten: 160.000 Flüchtende sollten von dort in andere EU-Länder umverteilt werden. Das war im November 2015. Daten von Mitte April zeigen: bisher sicherte diese Entscheidung nur 646 Flüchtenden eine Reise aus Griechenland in andere EU-Länder. Vereinbart wurden aber 66.400. Deutschland hat bislang 37 Flüchtende aus Griechenland aufgenommen.

„2006 bis 2011 habe ich für die US Army übersetzt. Ich wollte auch in Deutschland als Übersetzer arbeiten“, erzählt Murad. Er vermisst die Arbeit. Den ganzen Tag nichts machen zu können, das nagt an ihm. „Die Zeit vergeht langsam. 40 Tage fühlen sich an wie 40 Jahre“, Murad lächelt sauer. Seine Familie sitzt noch im Irak fest. „Ich habe ihnen versprochen, 24 Stunden am Tag zu arbeiten. So lange, bis ich genug Geld verdient habe, um sie in Sicherheit bringen zu können.“ Warum Murad in Piräus bleiben will? „Ich weiß nicht. Ich denke, dass ich Deutschland insgeheim nie aufgeben werde“, flüstert er und senkt den Kopf.

Fotos: Johannes De Bruycker

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