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Deutsch-polnische Beziehungen - „Das Thema Flüchtlinge steht nicht im Vordergrund“

Angela Merkel hat die Flüchtlingskrise verursacht – mit dieser Aussage haben rechts-konservative Parteien im polnischen Wahlkampf punkten können. Um die Beziehung zu Polen nicht zu gefährden, muss Deutschland den Dialog verstärken, sagt Osteuropaexperte Cornelius Ochmann

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Ina Bullwinkel arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Sie hat Außenwirtschaft in Hamburg studiert.

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Herr Ochmann, die nationalkonservative Partei PiS um Jaroslaw Kaczynski muss jetzt in Polen die Regierung bilden. Was wird von der neuen Regierung zu erwarten sein?
Das hängt davon ab, welche Personen die Schlüsselministerien übernehmen. Dass die PiS nach acht Jahren in der Opposition jetzt wieder die Mehrheit errungen hat, zeigt: Diese Partei hat eine breite Basis und es bestehen unterschiedliche Flügel. Einerseits die Modernisierer, zu denen man die Kandidatin für das Amt des Premierministers, Beata Szydlo, zählt. Auf der anderen Seite gibt es Jaroslaw Kaczynski, den Anführer der Partei. Er strebt zwar keine Ämter an, steuert aber im Hintergrund alles. Das hat man am Wahlabend gesehen. Herr Kaczynski hat als erster das Wort ergriffen und sich bei allen bedankt.

Beata Szydlo steht eher im Schatten von Kaczynski in der Partei. Welche Politik ist von ihr zu erwarten?
Ich würde nicht sagen, dass sie im Schatten steht. Kaczynski hat sich zurückgezogen und agiert aus dem Hintergrund. Ich glaube auch nicht, dass er den Posten des Premierministers anstrebt. In der polnischen Geschichte gibt es eine gewisse Tradition: Der Mitbegründer des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges, Marschall Pilsudski, hatte auch nie ein Amt inne. Da schließt jetzt Kaczynski an. Ich glaube, dass Frau Szydlo zunächst freie Hand hat und sicherlich das Land reformieren wird.

Die deutsche Regierung ist europafreundlich, die PiS ist eher euroskeptisch – was meinen Sie, wie dies das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland beeinflusst?
Die deutsche Seite akzeptiert jede demokratisch gewählte Regierung in Polen. Wir hatten in den vergangenen Jahren sachliche Unterschiede etwa in der Energie- oder Klimapolitik, die auch jetzt nicht verschwunden sind. In demokratischer Tradition sollte man der polnischen Regierung hundert Tage Zeit einräumen, bevor man sie beurteilt. Ich sehe hier gewisse Themen wie den Klimagipfel in Paris, wo die polnische Position klar definiert werden muss. Hinzu kommt, dass Anfang des Jahres die europäischen Sanktionen gegenüber Russland auslaufen.

Die PiS hat im Wahlkampf offen mit Fremdenfeindlichkeit geworben. Was stört die Polen in ihrem Land?
Fast alle polnischen Parteien waren darauf ausgerichtet, den Zuzug von Flüchtlingen zu verhindern. Da gab es keine großen Unterschiede zwischen PO und PiS. Die anderen Parteien wie Kukiz‘15 oder KORWiN waren sogar noch schärfer. Deutschland hat eine andere Haltung als alle mitteleuropäischen Staaten – dazu gehören auch Ungarn, Tschechien, die Slowakei und die Balten. Was die Menschen in Polen sehr stört, ist die Art, wie die Bundeskanzlerin die Entscheidung getroffen hat. Deswegen wurde sie im Wahlkampf vor allem als Verursacherin der Flüchtlingskrise definiert. Da müssen wir den Dialog verstärken. Vor kurzem war die Ministerin für Flüchtlinge und Integration in der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in Warschau und hat mit den Menschen darüber diskutiert – das ist der richtige Weg.

Polen gilt als Land mit einer guten Wirtschaft und auch als erfolgreich, was die Integration von Einwanderern anbelangt. Warum fallen rechtskonservative Ansichten trotzdem auf fruchtbaren Boden?
Die polnische Entwicklung in den letzten zehn Jahren ist ausgezeichnet, Polen hat insgesamt ein Wirtschaftswachstum von über 25 Prozent. Aber es gibt Gewinner und Verlierer dieser Entwicklung. Natürlich gewinnen die großen Städte, aber im Osten Polens und auf dem Land sind viele Verlierer. Polen hat zum ersten Mal in zehn Jahren eine Arbeitslosenquote unter zehn Prozent, aber die Mobilität der Menschen ist nicht so stark ausgeprägt wie in Deutschland: In Städten wie Breslau oder Posen werden Arbeiter gesucht und 300 Kilometer weiter auf dem Lande haben Sie Arbeitslosenquoten von 30 Prozent. Diese Menschen spüren den Wirtschaftsaufschwung nicht. Hinzu kommen verschiedene Skandale und Abhöraffären. Und jetzt kam die Entscheidung der Bundesregierung hinzu, Flüchtlinge aufzunehmen und sie in Europa zu verteilen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Die abgewählte Regierung hatte sich sogar bereit erklärt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als per Quote von der EU-Kommission vorgeschrieben. Meinen Sie, dass sich diese Entscheidung jetzt mit der neuen Regierung zurücknehmen lässt?
Das sind  Einzelheiten, die mit der Regierung geklärt werden müssen. Natürlich ist die Stimmung im Land eher kritisch, aber das ist genauso wie in Deutschland. Wenn ich mir angucke, wie schnell die Stimmung in Deutschland gekippt ist und wie die Menschen heute gegen die Aufnahme von Flüchtlingen demonstrieren, dann würde ich jetzt nicht Schwarz-Weiß beurteilen: Deutschland ist gut und Polen schlecht. Die Gesellschaft ist gespalten und die Verlierer des Wandels sind natürlich gegen neue Belastungen.

Gibt es in Polen eine ähnliche Bewegung wie Pegida in Deutschland, dass sich da ein Widerstand in einer Gruppe geformt hat?
Das ist zum einen die Bewegung Kukiz‘15, die acht bis neun Prozent bekommen hat und im Wahlkampf Töne benutzt hat, die an Pegida erinnern. Zum anderen gibt es die KORWiN, die Partei um Janusz Korwin-Mikke, die auch sehr stark nationalistisch ist. Beide Parteien sind jetzt mit fünf und über acht Prozent im Parlament und sind rechts von der PiS einzuordnen.

Würde sich die Situation ein wenig entspannen, wenn Deutschland bei der Aufnahme der Flüchtlinge gemäßigter vorgehen würde?
Das Thema Flüchtlinge würde ich jetzt nicht im deutsch-polnischen Verhältnis betrachten. Es geht eher um Deutschland in der Europäischen Union. Hier würde mehr Dialogbereitschaft von der deutschen Seite sicherlich zu Entspannungen – nicht Entspannungen hier in Polen selbst – führen. Aber das Thema Flüchtlinge steht nicht im Vordergrund. Wir haben etliche andere heikle Themen, die für die neue Regierung genauso wichtig sind wie für die alte. Dazu zählt der Transformationsprozess in der Ukraine, die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegenüber Russland und die Implementierung von Minsk II. Da ist die deutsch-polnische Kooperation ein sehr wichtiges Thema.

Aber wenn die PiS eher eurokritisch ist, sind dann die gemeinsamen Verhandlungen der EU mit Staaten wie Russland schwieriger?
Zunächst einmal gibt es keine Verhandlungen zwischen EU und Russland. Es gibt das Normandie-Format und da sind Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine eingebunden. Aus Polen kommt die Kritik, dass die europäische Komponente hier nicht vorhanden ist, dass z.B. der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, nicht einbezogen wurde. Dies ist viel wichtiger als die angeblich EU-kritische Haltung der Regierungspartei, die sich sicherlich nach der Wahl zuerst definieren muss.


Das Interview führte Ina Bullwinkel

 

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