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(picture alliance) Das Papsttum, es überdauert die Zeit

Pro: Institution Papsttum - Gegenstimme zu Karl Marx

Das Papsttum ist eine der ältesten noch existierenden Institutionen, ein Exempel für Kontinutität von Formen von der Spätantike bis in die Gegenwart. Die päpstliche Autarkie, sie wirkt wie eine hartnäckige Gegenstimme zur Formel von Karl Marx, denn nein, noch ist nicht alles Heilige entweiht. Ein Kommentar

Wenn man in einer streng lutherischen Familie Münchens inmitten der katholischen Mehrheit aufwuchs in jener versunkenen Zeit, wo in Bayern die Volksschulen noch streng nach Konfessionen getrennt waren, dann gehörte das Staunen über die kaleidoskopische Stimmigkeit der katholischen Welt zu den Urerfahrungen des Nichtdazugehörens. Bayerisch sprach die Mehrheit, das Volk, die Leute auf dem Land, katholisch war die Mehrheit, farbenfroh und prunkvoll war ihre Religion, gipfelnd im Fronleichnamsfest, wo das Stadtzentrum im Blumen- und Fahnenschmuck fremdartig verwandelt war. Uns Beamten-, Arzt­ und Ingenieurskindern, aus Familien, zugereist oder als Flüchtlinge hergeweht, wurde das Wort Gottes nicht auf Bayerisch, sondern fränkisch oder norddeutsch gepredigt. Unseren Pfarrern, strengen Männern, die im Gottesdienst nicht gestickte Prunkroben, sondern ausgewaschene schwarze Talare trugen, ging es um Worte und Begriffe, nicht um Bilder. Vergessen habe ich, ob ich von der Existenz eines Papstes zuerst durch die 1958 in großer Öffentlichkeit, von der Boulevardpresse drastisch ausgemalten, spielenden Leidens- und Sterbensgeschichte Pius XII erfuhr oder erst im Konfirmationsunterricht.

Dort lernten wir, dass unser Luther den Fortschritt und die Freiheit des Denkens erkämpft hatte. Wenn dann am Sonntag die Gemeinde zu brausendem Orgelklang „Ein feste Burg“ sang, hatte man mit 14 Jahren das Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Dort die Papstkirche mit ihrer verwerflichen „Äußerlichkeit“; hier der einsame Gewissensringer. Von Wittenberg 1517 bis zur Erfindung der Demokratie in der „Declaration of Independence“ 1776 schien es im Siebenmeilenschritt zu gehen. Gut für die jugendliche Seele, dass ich damals noch nichts von Nietzsche wusste. Der hat die deutsche Reformation als Protest fortschrittsfeindlicher Geister gescholten, welche das Progressive am Renaissance-Papsttum, eben jene Verflachung und Auflösung der mittelalterlichen Religion in Kunst-„Veräußerlichung“, torpediert – und damit die Aufklärung mutwillig um zwei, drei Jahrhunderte verzögert hätten.

Ein ganzes Leben der Religionsneugier hat den Tunnelblick der evangelischen Diaspora geweitet zur panoramatischen Freude über alle Religion als Faszinosum. Das Papsttum ist mir bedeutend als Exempel für die Kontinuität von Formen von der Spätantike bis in die Gegenwart. Ob Zeremonialgewänder, ob Titel wie der des „Pontifex Maximus“, ob Organisationsstrukturen: Im Vatikan scheinen die Jahrhunderte transparent zu werden in ihren Schichtungen. Und nicht nur die Antike, sondern auch die uralte europäische Institution der Monarchie wird im Papsttum verständlich: die Entrückung und Heiligung, die dem „Erwählten“ einen „zweiten Körper“ verleiht – viel realer, als es der sterbliche Leib jemals sein kann. Das Papsttum ist die älteste noch existierende Institution. Völlig unabhängig von der geistigen Fasson des jeweiligen Erwählten wirkt es wie eine hartnäckige Gegenstimme zur Formel von Karl Marx, dass in der modernen Welt alles Ständische und Stehende verdampfe und alles Heilige entweiht werde.

2005, als der deutsche Papst gewählt war, bin ich aus Neugier in die Kindheitslandschaft Joseph Aloisius Ratzingers gefahren, nach Südbayern an den Inn und nach Altötting. Natürlich gab es Ridiküles von „Papst-Bier“ und „Papst-Salami“ (in Form eines Bischofsstabes) bis zu allen Arten von Papst-Merchandising auf Speisekarten, Spielzeugen und Kaffeetassen. Aber jenseits dessen, in den Kirchen und Kapellen, ahnte man auch die kulturellen Quellen des Mannes. Man wanderte über den bunten Teppich einer jahrhundertealten Volksfrömmigkeit. Was es mit dem Wesen des Heiligen und des Monarchischen auf sich hat, lehrte Altötting, wo in der Gnadenkapelle die Herzen der Wittelsbacher Dynastie in Silberurnen bestattet sind und wo die Schwarze Madonna ungebrochen Hunderttausende von Gläubigen anzieht, die im Umgang der Kapelle seit 500 Jahren die Votivbilder mit dem „Maria hat geholfen“ aufhängen.

In seine bayerische Kinderheimat fährt der Papst diesmal nicht. Aber sicher bin ich, dass wir auch an den aktuellen Schauplätzen ein Exempel erleben werden für die Hypothese, dass gerade das Übersinnliche vom Sinnlichen lebt. So vor allem sind Religionen zu erklären. Im aseptischen Labor des Rationalismus verflüchtigt sich ihre Substanz, und zu erzählen bleibt dann wenig übrig.

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