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Nach Krim-Votum - Eine EU-Annäherung der Ukraine wäre jetzt verfrüht

Im Konflikt um die Krim rückt das Wohl der Ukrainer immer mehr in den Hintergrund. Um eine weitere Spaltung des Landes zu verhindern, braucht es eine Föderalisierung des Landes. Eine überstürzte EU-Assoziierung oder gar ein Nato-Beitritt würden nur Öl ins Feuer gießen

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Es ist nicht leicht, dieser Tage über die Krise in der Ukraine zu schreiben, ohne in großes geopolitisches Theoretisieren zu verfallen. Zur Genüge ist beschrieben worden: Putin sieht die Nachfolgestaaten der Sowjetunion als russische Einflusssphäre, in der USA, NATO und im Zweifel auch die EU nichts verloren haben. Deshalb die massive militärische Reaktion auf den vom amerikatreuen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili gewagten Versuch, sich das abtrünnige Südossetien mit Gewalt zurückzuholen. Und deshalb die vom Militär und einem zweifelhaften Referendum unterstützte Rückhol-Operation auf der Krim.

Der Kollateralschaden des Krieges um Südossetien war übersichtlich, der politische und wirtschaftliche Schaden, den der Anschluss der Krim nach sich ziehen wird, ist viel gravierender. Dem Land droht ein Ausschluss aus der G-8, der politischen Führung Einreiseverbote und der Wirtschaft schmerzhafte Sanktionen.

In Kaukasus-Republiken drohen neue Konflikte


Das Vielvölkerreich Russland setzt mit dem Anschluss der Krim auch Fragen auf die Tagesordnung, die ihr höchst gefährlich werden können: Da ist einmal die Frage des Rechtes auf Selbstbestimmung von Tschetschenen und anderen Kaukasusvölkern. Russland hat zwei blutige Kriege geführt, um dieses Recht einzuschränken. Auch wenn die Tschetschenen momentan mit harter Hand von einem moskautreuen Vasallen regiert werden, könnten sie die Frage nach Unabhängigkeit in naher Zukunft erneut stellen.

Auch ein anderer fast vergessener Konflikt im postsowjetischen Raum könnte wieder aufflammen: Berg-Karabach, eine von Armeniern besiedelte Exklave auf aserbaidschanischem Territorium. Aus Sicht Bakus hält das Nachbarland Armenien ein Sechstel Aserbaidschans besetzt. In Folge der russischen Militäroperation auf der Krim könnte das inzwischen reiche und hochgerüstete Aserbaidschan es als sein legitimes Recht ansehen, sich das Gebiet mit militärischer Gewalt zurückzuholen. Das wiederum würde Russland in die Bredouille bringen: Moskau ist die traditionelle Schutzmacht und der wichtigste Verbündete der Armenier.

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Putin geht all diese Risiken ein, weil er das Vertrauen in den Westen endgültig verloren hat. Er fürchtete das realistische Szenario, dass die neue prowestliche Regierung in Kiew erst die Schwarzmeerflotte von der Krim werfen würde – und dort in wenigen Jahren NATO-Schiffe vor Anker gehen würden. Der Drang nach Osten von EU und NATO seit dem Ende der Sowjetunion lässt diese Annahme der russischen Führung als nachvollziehbar erscheinen.

Rufe nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht


Westliche Kommentatoren und Hitzköpfe wie John McCain drängen jetzt auf eine Konfrontation mit Russland. Andere denken angesichts des Erwachens des russischen Bären darüber nach, in Deutschland wieder die Wehrpflicht einzuführen.

Aber kehren wir von der abstrakten Sicht auf die Welt – wie sie Geopolitikern eigen ist – doch mal auf die Erde zurück. Und zwar in die Ukraine: Die Menschen dieses Landes sind vom Westen und Russland, aber auch von den eigenen Politikern, ins Zentrum eines geopolitischen Tauziehens geraten. Bislang profitiert davon niemand, weder die Ukrainer im Westen noch jene im Osten. Was ist zu tun, um den Bürgern des Landes eine stabile Zukunft zu ermöglichen, ja sie vor einem möglichen Abdriften in einen Bürgerkrieg zu bewahren?

Eliten haben die Gräben in der Ukraine vertieft


Die Bevölkerung des Landes ist heute – mit Ausnahmen – zweigeteilt. Die Spaltung vollzieht sich entlang von Symbolen. Die Ostukrainer sehen jene, die in Kiew die Macht übernommen haben, als Faschisten: Auf dem Maidan wurde nur Ukrainisch gesprochen. Ein wichtiges Idol war Stepan Bandera, der einst mit den Nazis paktierte, um den Traum einer unabhängigen Ukraine zu verwirklichen. Aus Sicht der Westler sind die Ostler unter dem Einfluss des russischen Fernsehens zu Zombies mutierte Sowjetnostalgiker, die bereit sind, ihr Leben für ein Lenin-Denkmal zu opfern.

Beide Sichtweisen sind falsch. Aber die Sehnsüchte sind real, und sie sind stärker geworden mit jedem Jahr, in dem die ukrainischen Regierungen den Menschen keine Perspektive bieten konnten: Im Osten erinnert man sich an die stabilen Jahre der Sowjetunion. Im Westen träumt man von einer goldenen Zukunft eines ukrainischen Nationalstaats unter der warmen Decke der EU.

Die ukrainische politische Elite hat mit viel Eigennutz immer wieder mit diesen Sehnsüchten gespielt – und die Spaltung dadurch nur verstärkt. Die Polarisierung erreichte mit dem Sieg des Maidans den Höhepunkt: Seine einzig gültige Sprache war Ukrainisch, und sein wichtigster Slogan hieß „Ruhm der Ukraine! – Den Helden Ruhm!“ – er stammt aus der nationalistischen Bewegung um Bandera vor dem Zweiten Weltkrieg. Symbolisch stürzten die Regierungsgegner überall im Land Lenin-Denkmäler.

Im Osten des Landes brodelt es nun: Prorussische Demonstrationen sind in Charkow und Donezk an der Tagesordnung, Russland heizt mit dem Anschluss der Krim und mit einer Propagandaschlacht im Fernsehen den Konflikt weiter an. Aber die Menschen im Osten des Landes sind anders eingestellt als jene auf der Krim. Sie wollen nicht den Anschluss an Russland. Aber sie sinnen auf eine Revanche gegenüber den siegreichen Westukrainern. „Mit eurem eigenen Speck hauen wir euch in die Fresse‟, hat es ein älterer, intelligenter Ukrainer in Charkow mir gegenüber jüngst auf den Punkt gebracht.

Die Krim ist für die Ukraine verloren


Die Krim ist für die Ukraine verloren, daran besteht kein Zweifel. Um nun einen weiteren Zerfall zu verhindern, um den zermürbenden Kampf zwischen West und Ost endlich zu beenden, muss das Land sich neu formieren. Die politische Lösung besteht in einer Föderalisierung des heute hochgradig zentralisierten Landes. Ja, die Menschen im Osten und Westen unterscheiden sich sprachlich. Sie unterscheiden sich historisch und kulturell. Eine Alternative zur Oktroyierung der einen Wahrheit, die die Gräben immer nur vertieft hat, ist die Einräumung von mehr Eigenständigkeit.

Die großen geopolitischen Spieler, in deren Händen das Schicksal der Ukraine liegt, sollten in diesem Sinne auf die ukrainischen Politiker einwirken. Und sie sollten in dieser Lage nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen. Das bedeutet insbesondere: kein NATO-Beitritt der Ukraine.

Das Assoziierungsabkommen wäre jetzt verfrüht


Der politische Teil der EU-Assoziierung soll noch in dieser Woche unterschrieben werden. Das ist verfrüht, weil die derzeitige ukrainische Regierung eine Revolutionsregierung mit fragwürdiger Legitimität ist. Diese Vereinbarung sollte erst nach einer Neuwahl des Parlaments und einer Normalisierung der Lage im Kiewer Regierungsviertel unterschrieben werden. Aber Brüssel will der neuen Regierung den Rücken stärken – und sehr viel mehr als die Unterschrift kann sie momentan nicht bieten.

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine soll frühestens nach den Präsidentschaftswahlen im Mai unterzeichnet werden. Dabei ist zu bedenken: Das Wohl der Ukrainer im Osten der Landes ist von engen wirtschaftlichen Verbindungen mit Russland abhängig. Und ein Abkommen, das die russischen Interessen ignoriert, wird Russland mit einer Wiederholung des Handelskrieges kontern. Wer verhindern will, dass die Gräben tiefer werden, sollte das Abkommen so formulieren, dass auch Russland einverstanden ist. Auch wenn es den Europäern momentan schwer fallen mag, sich wieder mit Russland an einen Tisch zu setzen.

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