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Katharina Eglau

Kurdische Peschmerga gegen den IS - „Wir haben Kampfmoral, aber kein Gerät“

Seit einem Jahr hält der „Islamische Staat“ die Stadt Mosul im Nordirak unter ihrer Kontrolle. Die kurdischen Peschmerga leisten mutigen Widerstand. Doch es fehlt ihnen an Ausrüstung und Rückhalt im Land. Eine Reportage aus dem Kampfgebiet

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Miktar Hassan wirkt noch benommen. Sechs Kameraden umringen das Bett des Peschmerga-Hauptmanns, einer am Kopfende fächelt dem Verletzten mit einer Pappe Luft zu. „Plötzlich standen die beiden Selbstmordattentäter vor uns“, berichtet er in die Runde. Den einen konnten seine Männer erschießen, der andere zündete seine Ladung und verletzte vier der überrumpelten Verteidiger. Sekunden später tauchten wie aus dem Nichts ein Dutzend weiterer IS-Kämpfer auf, die das Feuer eröffneten.

Fünf Stunden dauerten die Haus-zu-Haus-Gefechte in dem Dorf Sahl al-Maleh nördlich von Tal Afar, bis die Peschmerga, die eilends US-Kampfjets hereintelefonierten, die Eindringlinge vertreiben konnten. Offiziell gab es zehn Verwundete in den eigenen Reihen. Über die unbekannte Zahl von Toten, von denen der lokale Rundfunk spricht, will niemand hier im Krankensaal reden. 14 Dschihadisten-Leichen blieben in der Ortschaft zurück, deren arabische Bewohner dem IS bei seinem Hinterhalt geholfen haben sollen. Im Fernsehen am Abend werden Dutzende festgenommene Männer gezeigt, die auf dem Dorfplatz mit gesenkten Köpfen auf dem Boden hocken.

Miktar Hassan traf eine Kugel ins Bein, als er einen der Verwundeten in Deckung ziehen wollte. Seine Frau Nisal arbeitet einen Stock höher als Krankenschwester. Anderthalb Autostunden ist die helle, große Notaufnahme für Peschmerga-Kämpfer im Tawari-Hospital von Dohuk von der Front entfernt. Zwischen den zwanzig Betten wimmelt es von Angehörigen und Ärzten.

„Ich bin froh, dass er nicht gestorben ist“


Hastig routiniert macht der Bezirksparteichef von Kurdenpräsident Massoud Barzani die Runde und tätschelt jedem frisch Eingelieferten die Stirn. Ein Schwerverletzter mit Bauchschuss wird stöhnend in die Intensivstation gerollt. Einem 29-Jährigen, dessen vier jüngere Brüder ebenfalls Peschmerga sind, hat eine Panzerflak das halbe Ohr und einen Teil des Kieferknochens weggeschlagen. Ein Bett weiter – umringt von einem Dutzend weiblicher Verwandtschaft – wartet ein Abiturient auf die Notoperation, der aus einer alteingesessenen Dohuker Familie stammt und als Spotter Ziele für die US-Kampfjäger bestimmte. Er wurde von einem IS-Dschihadi in den rechten Fuß geschossen, der sich in einem Feld versteckt hatte und plötzlich vor ihm aufrichtete. „Ich bin froh, dass er nicht gestorben ist“, sagt seine Mutter.

1200 Peschmerga sind bisher im Kampf gegen den Islamischen Staat gefallen, mehr als 5000 wurden verwundet. Anfangs trieben die bärtigen Eroberer auch die kurdischen Einheiten vor sich her. Inzwischen hat sich die Front stabilisiert, an der es nach wie vor täglich zu Gefechten kommt. Vor allem die 60 schultergestützten, deutschen Milan-Raketensysteme haben geholfen, die zunächst hohen Verluste der Kurden zu begrenzen. Damals griff der IS mit monströsen Geschwadern von bis zu 20 durch Eisenplatten verpanzerten Sprengstoff-Lastwagen an, rollende Bomben, die mit herkömmlichen Panzerfäusten nicht zu stoppen waren. Milan dagegen trifft auf zwei Kilometer, weit genug entfernt von den kurdischen Linien, so dass die tödliche Ladung keinen Schaden anrichten kann.

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Nach eigenen Angaben haben die Kurden inzwischen 20.000 Quadratkilometer vom IS zurückerobert, auch wenn sie im vergangenen Sommer beim ersten Ansturm der Gotteskrieger in der Ninive-Ebene genauso kopflos davonrannten wie ihre Waffenbrüder von der irakischen Armee.

„Dieser Krieg kam für uns wie aus heiterem Himmel, inzwischen haben wir uns auf den Gegner besser eingestellt“, argumentiert Peschmerga-Minister Sayid Qadir Mustafa, der um die Schwächen seiner Streitmacht weiß. Der 56-jährige drahtige Mann tritt unprätentiös auf und hat im kurdischen Widerstand eine Musterkarriere vorzuweisen. 23 Jahre lang war er Partisan gegen Saddam Hussein. Den Kerker Abu Ghraib überlebte er nur, weil seine Schergen nicht den wirklichen Namen aus ihm herausprügeln konnten. Die größte Feuerprobe seines Lebens aber bestand er letztes Jahr im Sommer, als ihm – gerade frisch im Amt – mit seinen Leuten die Verteidigung von Erbil gegen die schwarzen Dschihadisten-Bataillone aus dem 80 Kilometer entfernten Mosul gelang.

Aussichten auf Rückeroberung immer geringer


Ein Jahr lang befindet sich die nach Bagdad zweitgrößte irakische Stadt jetzt schon in der Hand der Terrormiliz. Mehr als drei Millionen Iraker sind seitdem aus ihren Häusern vertrieben worden, die Hälfte hat in dem halbautonomen kurdischen Norden Schutz gesucht. Und anders als bei früheren Krisen ist völlig unabsehbar, wie lange das nervenzehrende Exil in Lagern, Rohbauten und Privatquartieren diesmal dauern wird. Denn solange der IS die Zwei-Millionen-Metropole beherrscht, können die Vertriebenen nicht zurück in ihre Dörfer und Stadtviertel. Und solange werden die Angriffe auf Peschmerga-Stellungen anhalten. „Die Befreiung von Mosul ist wichtig für die Zukunft des Irak und sie ist genauso wichtig für uns Kurden“, sagt Peschmerga-Minister Sayid Qadir Mustafa.

Veteranen wie er haben ihr Leben lang in den Bergen gekämpft, mit leichten Waffen, vielen Verstecken und Rückendeckung der Bevölkerung. Der kurdische Nachwuchs in Uniform jedoch hat sich an das Post-Saddam-Wohlleben gewöhnt, ist schlechter trainiert und bestenfalls noch eine Truppe von Grenzsoldaten. Militärische Offensivmanöver beherrschen die Teilzeit-Soldaten nicht, das endlos flache Terrain der Ninive-Ebene ist ihnen unheimlich. Mal nehmen Sandstürme oder plötzlich aufkommende Nebelbänke den Verteidigern die Sicht. Mal fällt ihnen die sunnitisch-arabische Bevölkerung in den Rücken, indem sie – wie in dem Dorf Sahl al-Maleh – mit dem IS gemeinsame Sache macht.

Und so werden die Aussichten für eine Rückeroberung Mosuls im Herbst, wie sie die Regierung in Bagdad angekündigt hat, immer geringer. Die irakische Armee ist nach den Rückschlagen in Ramadi demoralisiert und reibt sich in der Anbar-Provinz im Westen des Zweistromlandes auf. Ohne massive Hilfe schiitischer Milizen und der US-Luftwaffe geht praktisch nichts mehr bei den nationalen Streitkräften, denen kürzlich sogar Pentagonchef Ashton Carter wütend mangelhaften Kampfeswillen bescheinigte. Auch das im April zurückeroberte Tikrit, der bisher einzige größere Erfolg gegen den IS, wirft dubiose Schatten. Racheakte der schiitischen Milizen an den sunnitischen Einwohnern haben auch die letzten vertrieben. Die Viertel sind durch die Kämpfe in Schutt und Asche gelegt. Heute ist der Geburtsort von Saddam Hussein nur noch eine unbewohnbare Geisterstadt.

Trotz dieser miserablen Bilanz verfolgt Bagdad im Verhältnis zu den intakten Peschmerga-Streitkräften nach wie vor einen sehr ambivalenten Kurs. Einerseits braucht man die gut motivierten kurdischen Soldaten, um bei Mosul gemeinsam gegen den IS antreten zu können. Andererseits möchte man die Volksgruppe nicht mit guten Waffen aufrüsten, die bei einem künftigen Konflikt um die Unabhängigkeit von Kurdistan als Drohpotenzial gegen die Zentralregierung eingesetzt werden könnten.

Und so steht Bagdad im politischen Umgang mit den Kurden gleichzeitig auf der Bremse und auf dem Gas. Das ganze Jahr 2014, auch nach der IS-Offensive im Sommer, erhielt der Nordirak im Streit um seine Ölexporte keine Mittel mehr aus dem Nationalbudget, was eine Lücke von zwölf Milliarden Dollar riss. Sämtliche Peschmerga haben ihr letztes Gehalt im Januar 2015 bekommen, die übrigen kurdischen Beamten im laufenden Jahr noch überhaupt kein Geld. Gleichzeitig reiste Iraks Regierungschef Haider al-Abadi mit großem Pomp nach Erbil, um sich von Kurden-Präsident Massoud Barzani für eine Rückeroberung Mosuls die militärische Allianz in die Hand versprechen zu lassen.

Entlang der Front jedoch wird schnell klar, wie schwierig das ganze Unterfangen sein wird. Sämtliche Dörfer in der ehemaligen Kampfzone sind zerstört. Kreischend kreisen dunkle Vogelschwärme über den Ruinen. Inzwischen hat wilder Raps die entvölkerten Orte überwuchert. Überall in den gelben Blütenwogen lauern vom IS versteckte Sprengfallen und Minen. Die Bewohner der arabischen Dörfer sind meist nach Mosul geflohen, die kurdischen und jesidischen Bauern in die Gegenrichtung nach Kurdistan. Die Straßen im Sperrgebiet entlang der irakisch-syrischen Grenze sind aufgeplatzt und löchrig.

Zehn Kontrollpunkte müssen Besucher passieren, um zum Peschmerga-Kommando 12 südlich des Flusses Khabour zu gelangen. Am Eingangstor des Familiengehöfts, das einst einem reichen Stammesscheich gehörte, sind noch die aufgesprühten Parolen „Eigentum des Islamischen Staates“ zu lesen. Im Sandboden festgetreten liegen großkalibrige Duschka-Patronen. Die Wände sind voller Einschüsse von den heftigen Kämpfen kurz vor Weihnachten, als die Peschmerga die bärtigen Gotteskrieger von hier vertreiben konnten.

Peschmerga: „Die dem Tod ins Auge schauen“


Im Innenhof steht ein kurioses Sammelsurium von Fahrzeugen, zwei Lastwagen aus US-Beständen, ein Humvee mit kurdischer Standarte, ein nagelneuer Mercedes Unimog und eine Handvoll Privatautos. „Ohne die deutschen und amerikanischen Waffen hätten wir das nicht geschafft“, sagt Kommandeur Izadin Sadu, ein hochgewachsener Mann mit Oberlippenschnäuzer und makellos schwarz gefärbtem Haar. Ein Vierteljahrhundert lang ist der freundliche Haudegen bereits bei den Peschmerga, was auf Kurdisch „Die dem Tod ins Auge schauen“ heißt. Stolz zeigt er auf seinem vergoldeten Smartphone ein Video, auf dem er von der Ladefläche eines Pickups mit einem Maschinengewehr in die feindlichen Linien feuert. Selbst als ein IS-Geschoss krachend die Seitenscheibe durchschlägt, verzieht Izadin Sadu keine Miene und schießt unbeirrt weiter.

Momentan ist alles ruhig an dem 60 Kilometer langen Frontabschnitt. Die meisten seiner 3800 Peschmerga kommen auf eigene Faust zu ihren 10-Tages-Schichten oder werden von freiwilligen Taxis gebracht. Von Zeit zu Zeit steigt der 54-jährige Kommandeur aufs Dach, um das nahe syrische Territorium zu inspizieren. Die Dörfer drüben sind mit bloßem Auge auszumachen. Das Steiner-Fernglas aus Deutschland hat ihm sein Sohn gekauft, der in Lübeck studiert.

Kommt das Gespräch auf die irakische Armee, wird die Stimme des Kurdengenerals schneidend. „Sie haben alles Gerät, aber keine Kampfmoral. Wir haben Kampfmoral, aber kein Gerät.“ Durch eigene Kontaktleute weiß er, dass der IS sich auf eine mögliche Offensive gegen Mosul vorbereitet. Doch niemand kann sagen, was im Inneren der Stadt wirklich vorgeht, wie viele Bewohner mit den Dschihadisten unter einer Decke stecken. Schließlich war Mosul immer eine Hochburg des arabischen Nationalismus und eine wichtige Basis der Baath-Partei. Ohne die Kooperation von Zehntausenden ehemaligen Saddam-Getreuen wäre der Erfolg des selbsternannten Kalifen Abu Bakr Al-Baghdadi undenkbar gewesen.

Und so rechnen die Militärplaner in Bagdad bei einem Großangriff auf Mosul mit mindestens 800.000 weiteren Flüchtlingen – die nächste in der schier endlosen Serie von irakischen Tragödien. „Wir haben den Krieg nicht gewollt, der Krieg wurde uns aufgezwungen“, sagt Izadin Sadu. „Aber wenn der Befehl kommt, dann kämpfen wir mit.“

Fotos: Katharina Eglau

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