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(picture ailliance) Merkel ist bereits eine "lame duck" in Europa

EU-Gipfel in Brüssel - Merkel verliert ihre Macht in Europa

Beim EU-Gipfel sind die deutsche und die französische Agenda aufeinander geprallt. Für die Lösung der Eurokrise ist dies kein gutes Omen – auch wenn Merkel das Treffen wie üblich als Erfolg verkauft

Wenn man sich nicht auf eine gemeinsame Tagesordnung einigen kann, ist dies immer ein schlechtes Omen. Wenn man dann aber auch noch außerhalb der Tagesordnung spricht und versucht, die Veranstaltung komplett umzudrehen, wird es ärgerlich. Genau das ist beim EU-Gipfel in Brüssel passiert.

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Erst präsentierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble außer der Reihe – kurz vor Beginn des Gipfels, aus dem Flugzeug heraus – seine eigenen Ideen zur EU-Reform, mit denen er eine neue, deutsche Agenda setzen wollte. Und dann versuchte Frankreichs Staatschef François Hollande, einen Beschluss zur Bankenaufsicht herbeizuführen, der überhaupt nicht auf der Tagesordnung stand.

Beides war schlechter Stil. Und beides wirft die Frage auf, was überhaupt noch geht in dieser Bundesregierung und in dieser EU. War Schäubles Vorstoß mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt – und wenn ja, nahm sie damit bewusst in Kauf, EU-Ratspräsident Herman van Rompuy zu brüskieren?

Schließlich war van Rompuy von den Chefs beauftragt worden, einen „Masterplan“ für die Euroreform auszuarbeiten, nicht Schäuble. Dessen Vorschlag, einen Superkommissar für Budgetdisziplin zu schaffen, wurde denn auch schnell weggebürstet. Der Berliner Finanzminister hätte sich besser mit dem Brüsseler Zeremonienmeister abgesprochen, statt seine Ideen aus dem „Off“ zu präsentieren.

Für Verwirrung sorgte auch Frankreichs Staatschef. Obwohl Hollande genau wußte, dass sich Deutschland viel Zeit bei der Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht nehmen möchte, drängte er auf einen schnellen Beschluss mit einem ehrgeizigen Zeitplan. Auch hier stellte sich die Frage, ob dieser Vorstoß mit Merkel abgestimmt war – oder ob sich Paris um Berlin gar nicht mehr schert.

Fest steht, dass der französische Vorstoß die deutsche Kanzlerin in die Defensive brachte. Erst nach stundenlangen, außerplanmäßigen Verhandlungen konnte sie ihre Linie durchsetzen: Die gemeinsame Bankenaufsicht, die eines Tages in einer Banken- und Haftungsunion enden könnte, nimmt nicht schon am 1. Januar 2013 ihre Arbeit auf, wie dies Hollande gefordert hatte.

Vielmehr sollen die „Arbeiten zur operativen Umsetzung im Laufe des Jahres 2013 stattfinden“ – eine windelweiche Formulierung, die es Merkel erlaubt, die ungeliebte Bankenunion bis zur Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres hinauszuzögern. Erst danach dürfte die gemeinsame Aufsicht – der erste Schritt zu einer Bankenunion - ihre Arbeit aufnehmen.

Ein Sieg für Merkel ist dies trotzdem nicht. Schließlich war sie nach Brüssel gereist, um die deutsche Reformagenda durchzusetzen – und keine Beschlüsse zu fassen. Stattdessen wurde sie von Hollande vorgeführt und zu einem Zeitplan verpflichtet, den sie ursprünglich gar nicht wollte. Und der Schäuble-Plan, den sie sich bei ihrer Regierungserklärung vor dem Gipfel zu eigen gemacht hatte, ist wieder in der Schublade verschwunden.

Auf der folgenden Seite: Warum die Kanzlerin ihren Nimbus als Kutscherin Europas los ist

Dass die Kanzlerin die Einigung diesmal offensiv als Erfolg verkaufte, macht die Sache nicht besser. Zwar konnte sie so ein mediales Debakel wie beim letzten EU-Gipfel im Juni vermeiden, wo sich die Südländer als Siegerin gegen die deutsche „Madame Non“ präsentierten (voreilig, wie man jetzt sieht). Aber ihr Image als mächtigste Frau Europas, der alle folgen, ist dahin.

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Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker brachte die neue Lage auf den Punkt, als er sich über das Medienecho mokierte. „Ich habe mir heute Morgen die deutschen Fernsehnachrichten angeschaut, die französischen, die britischen und einige andere. Alle haben wieder gewonnen. Wir machen uns nur noch lächerlich.“ Der EU-Gipfel sei „kein Boxkampf“ zwischen Merkel und Hollande, sondern „eine seriöse Diskussion von 27 Mitgliedsstaaten.“

Vorbei die Zeiten, da Merkel gemeinsam mit dem französischen EX-Präsidenten Nicolas Sarkozy die EU durch die Krise führte. Zerstoben die Hoffnung, die Kanzlerin werde schon einen Draht zu Sarkozys Amtsnachfolger finden. Was sich schon beim Chaos-Gipfel im Juni andeutete, hat sich bei diesem Treffen bestätigt: Merkel führt nicht mehr, und Europa folgt nicht mehr.

Das liegt nicht nur an den deutsch-französischen Querelen. Es liegt auch daran, dass sich die Südländer, vor allem Spanien und Italien, viel lieber und viel enger mit Frankreich absprechen als mit Deutschland. Auch die EU-Kommission in Brüssel „tickt“ anders als die Bundesregierung in Berlin.

Hollande konnte sich beim Streit um die Bankenunion auf den EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier stützen, einen Franzosen. Merkel hatte kaum Verbündete – sieht man einmal von Nicht-Euro-Ländern wie Schweden oder Großbritannien ab, die eine gemeinsame Bankenaufsicht mit Sorge sehen, weil sie eine Bevormundung fürchten.

Zudem hat man in Brüssel erkannt, dass in Berlin der Wahlkampf begonnen hat. Hollande ging sogar so weit, Merkel indirekt eine Verzögerungstaktik aus Wahlkampfgründen zu unterstellen. Auch das war kein guter Stil - aber es saß. Denn in Brüssel denken viele wie Hollande. Schließlich steht Merkel nicht nur im Streit um die Bankenunion auf der Bremse. Auch bei neuen Finanzhilfen für die Krisenländer Griechenland, Spanien und Zypern zögert sie fällige Entscheidungen heraus.

Für die Pleitekandidaten soll nun ein neues, großes Hilfspaket geschnürt werden – nach dem EU-Gipfel. Und damit dieses Paket leichter durch den Bundestag geht, möchte Merkel alle Hilfsanträge bündeln. Wie es aussieht, werden ihr die 16 anderen Euroländer diesen Gefallen noch tun. Auf viel mehr Entgegenkommen darf die Kanzlerin aber nicht mehr hoffen.

Ab sofort gilt sie als „lame duck“, als lahme Ente. Europa hört zwar noch auf sie, doch es gehorcht nicht mehr.

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