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Liberalisierung in Saudi-Arabien - Der sinkende Stern der Sittenpolizei

Grenzen für Allahs Sittenpolizei. Das Königreich Saudi-Arabien entzieht der Religionspolizei erstmals viele ihrer Vollmachten. Das Land will sich angesichts der schwindenen Ölreserven nach außen hin öffnen

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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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James Bond hätte das wohl kaum besser gekonnt. Mit göttlichem Furor hechtete der fromme Sittenwächter vom Autodach auf den Mann. Dessen Frau in schwarzer Abaya versuchte verzweifelt, den Wüstling zurückzuschlagen, bis Umstehende dazwischen gingen. Ganze neun Sekunden dauerte das wackelige Handyvideo dieser skurrilen Stunteinlage der saudischen Religionspolizei. Was auf den ersten Blick aussah wie eine verworrene Parkplatzrangelei, bewegte anschließend tagelang das Königreich. Fast jeder in Saudi-Arabien kannte danach das Ehepaar aus Riad, den zum Islam konvertierten Briten Peter und seine Frau Abeer. „Abeer, ich bin an deiner Seite“, twitterten Tausende junger Frauen. Andere verspotteten den Täter als „fliegenden Haia“, wie die Religionspolizei im Volksmund heißt. Was war geschehen? Der attackierte Brite hatte in einem Supermarkt nicht bei einem Kassierer, sondern einer Kassiererin bezahlt. Für die drei patrouillierenden Zeloten der Schariapolizei war das ein unerhörter Kontakt der Geschlechter zwischen Nicht-Verheirateten.

Eingeschränkte Macht der Sittenwächter
 

Solche Szenen soll es nach dem Willen des Monarchen Salman in Zukunft nie mehr geben, der damit erstmals weit verbreiteter Kritik in seiner Bevölkerung Rechnung trägt. Die Kompetenzen der rund 5.000 verbeamteten Sittenwächter werden erheblich beschnitten. Sie dürfen keine Menschen mehr jagen oder verhaften, keine Personalien mehr feststellen und sind verpflichtet, wie es in dem Dekret heißt, so „höflich und freundlich“ wie einst der Prophet Mohammed zu agieren. In der Twitterwelt wurde der überraschende Schritt gefeiert - vor allem von jungen Frauen. „Endlich geschieht etwas“, schallte es aus dem Netz. Andere forderten, die verhasste wie verspottete „Kommission zur Förderung der Tugenden und Verhinderung der Laster“ gleich komplett abzuschaffen.

Denn nicht immer gingen deren Kommandoaktionen im Namen Allahs am Ende glimpflich aus. Im vergangenen Jahr stürzte in Qassim ein junger Mann von einem Hausdach zu Tode, als Moralwächter ihn nach einer wilden Verfolgungsjagd verhaften wollten. Zuletzt erregte im Februar ein Video die Gemüter, auf dem Religionspolizisten eine junge Frau in Riad zu Boden prügeln, weil sie angeblich nicht richtig verschleiert war.

Der Sohn des Königs will Saudi-Arabien modernisieren
 

Treibende Kraft hinter dem Vorgehen gegen solche religiösen Auswüchse ist nicht der alte König Salman, der persönlich als sehr konservativ gilt, sondern sein Sohn Mohammed bin Salman. Er ist als Vizekronprinz und Verteidigungsminister einer der mächtigsten Männer Saudi-Arabiens. Der 30-Jährige möchte seine Heimat öffnen und modernisieren, um sie weniger abhängig von den Öleinnahmen zu machen, und um ihr Ansehen im Ausland zu heben. Nach der Religionspolizei will die saudische Führung auch das Fatwa-Unwesen in den zahlreichen Satellitenkanälen einschränken sowie die krassen Missstände im saudischen Justizwesen anpacken.

Scharia-Richter urteilen willkürlich
 

Viele Scharia-Richter und Justizangestellte erscheinen nur sehr sporadisch zur Arbeit, lesen keine Akten und urteilen völlig willkürlich. Sie sollen nun mit einem speziellen elektronischen Überwachungssystem diszipliniert werden. Wer sich mit Fingerabdruck beim Betreten des Gerichtsgebäudes anmeldet, wird künftig per Handyortung kontrolliert, ob er sich während der Arbeitszeit auch tatsächlich in seinem Büro aufhält.

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